Angela Merkel tourte durch Goslar

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Oberbürgermeister Oliver Junk und Ehrenbürger Sigmar Gabriel erklären der Bundeskanzlerin stolz Details zum früheren Goslarer Bergbau. Foto: Marvin König
Oberbürgermeister Oliver Junk und Ehrenbürger Sigmar Gabriel erklären der Bundeskanzlerin stolz Details zum früheren Goslarer Bergbau. Foto: Marvin König

Goslar. Die Bundeskanzlerin besuchte heute die Kaiserstadt Goslar. Während ihres Besuchs stellte sie sich nicht nur über eine Stunde drängenden Fragen der Goslarer Schüler, sie besichtigte auch das ehemalige Erzbergwerk Rammelsberg, die Kaiserpfalz und begab sich während eines Altstadtspazierganges unter die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Beim Empfang im Großen Heiligen Kreuz trug sie sich in das goldene Buch der Stadt Goslar ein.


"Es braucht ja keinen Anlass, um diese herrliche Stadt zu besuchen", antwortete der Goslarer Oberbürgermeister Oliver Junk auf die Frage, ob denn noch mehr hinter dem hohen Besuch stünde, als "nur" die Einladung des Oberbürgermeisters. Ehrenbürger Sigmar Gabriel habe allerdings auch vermittelt, wie er zugibt. "Die Kanzlerin hat wohl bilanziert, mir fehlt die Stadt Goslar - und deshalb kommt sie!" Viel Zeit für die Besichtigung der Welterbestätte bleibt allerdings nicht. Nach dem angenehmen Teil stellt sie sich den Goslarer Schülern und ihren drängendsten Fragen.

Bei dieser Fragestunde zeigte sich Merkel ungewohnt offen. Mit vornehmlich fünf Schülern setzte sich die Kanzlerin auf dem Podium zusammen, um sich ihre Fragen anzuhören. Der Dauerbrenner Klima stand dabei aber nicht nur im Saal am häufigsten zur Debatte. Auf dem Parkplatz vor der Kaiserpfalzwiese hatte sich "Fridays for Future" versammelt. Trotz der großen Distanz waren die Rufe der Protestierenden noch im Saal zu hören. Merkel nahm sich für die Fragen der Schüler viel Zeit - und gestand auch Fehler während der eigenen Kanzlerschaft ein.

Verkehr bremst Klimaziele aus


So fragt Phillip ganz offen, ob erst wieder eine große Katastrophe kommen müsse, bis die Politik den Klimawandel endlich ernst nehme. "Wir müssen schneller werden", antwortet die Kanzlerin. "Wo wir nicht gut vorankommen ist der Verkehr", gesteht sie ein. "Immer wenn neue Technologien erfunden wurden, haben sich die Menschen entschieden sich etwas größere oder einfach mehr Autos zu kaufen, und so war der Vorsprung wieder aufgebraucht." Merkel legt nach: "Wir erzeugen weltweit vielleicht zwei Prozent Treibhausgase. Immer noch zu viel, aber der Klimawandel wird nur gestoppt, wenn die anderen 98 Prozent auch in den Griff bekommen werden. Wir müssen Vorbild sein für neue Technologien, die dann woanders hin exportieren und dafür sorgen, dass diese dort eingesetzt werden", führt sie mit Verweis darauf an, dass man sich auch mit anderen Nationen zusammensetze, um diesen zum Beispiel eine ökologische, nachhaltige Landwirtschaft näherzubringen.

Auch auf das virale Video des YouTubers Rezo, vor allem auf den Umgang der Christdemokraten damit, kamen die Schüler zu sprechen. Pjotr fragt, wieso sich die CDU so schwergetan habe mit einer Antwort. "Man ist natürlich erstmal geschockt", antwortet Merkel. "Man muss aber erstmal offen reagieren und nicht gleich abwehrend. Ich habe mir das auch angesehen und da gibt es viele Punkte, wo ich denke "ja, darüber muss man reden", wie das Klimathema. Dann gibt es Aspekte wie Krieg und Frieden und vieles andere wo ich durchaus glaube, gute Argumente zu haben", verteidigt die Kanzlerin sich, muss aber eingestehen: "Das eigentliche Manko war, dass man es zu abwehrend gesehen hat. Und sich nicht einfach mal darauf eingelassen hat - das müssen wir lernen!"

Die Jugend zu gewinnen ist nicht einfach


Jasmin hakt nach. Sie bezieht sich dabei auf die elfseitige Stellungnahme zum genannten Video. "Ich bin da mal ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass sich viele Jugendliche diese elf Seiten durchgelesen haben." "Schade", antwortet die Kanzlerin reflexartig. "War wohl nicht so unterhaltsam." Jasmin ließ sich davon allerdings nicht beirren: "Nein, definitiv nicht. Welche Möglichkeiten gibt es noch junge Menschen für die Politik zu interessieren, denn wir haben auch eine Meinung und wollen die berücksichtigt wissen." Die Kanzlerin überlegt. "Junge Leute zu interessieren ist nicht so einfach. Es wird nicht wie früher alles gelesen, also müssen wir schauen, wie wir die Leute im digitalen Zeitalter erreichen."

So mache die Kanzlerin zum Beispiel auch einen Podcast mit einer Länge von drei Minuten. Auf die Frage, wie viele Schüler diesen schon einmal gesehen haben, müssen die meisten passen. "Ich lade euch ein, das zu schauen. Wir müssen einfach besser zueinander finden. Immerhin wachst ihr in einer ganz anderen medialen Welt auf. Wir sind nur mit zwei Fernsehsendern aufgewachsen." Viele im Saal Anwesende nicken. "Gebt uns mal Rückmeldung, ob's grottenlangweilig war", scherzt die Kanzlerin. Die Schüler lachen.

Dezentralisierung gegen die Landflucht


Bei der einstündigen Fragerunde kamen noch viele weitere - nationale wie internationale - Themen auf den Tisch. Ben fragt, wie man es schaffen wolle, dass die Menschen in Städten wie Goslar bleiben, statt in die Großstädte zu ziehen. Laut der Bundeskanzlerin stehe hierfür schon zur Debatte, ob man Ortskernen nicht Gelder geben kann, um sie zu sanieren. "Damit Familien sich willkommen fühlen." Auch Dezentralisierung sei dabei ein wichtiger Punkt. So sollten gerade auch in Städten wie Goslar Einrichtungen wie zum Beispiel Zentren zur Cyberabwehr entstehen, um neue Berufsperspektiven für die Jugendlichen vor Ort zu schaffen. "Man sollte dieser Konzentration in die Großstädte nicht nachgehen, sondern mehr in die Fläche gehen."

Nach abschließenden Fragen aus dem Publikum wird die Kanzlerin mit Applaus verabschiedet. Ein Schüler äußert eine gewisse Skepsis, dass das ja alles ganz gut klinge. Er zweifele aber daran, dass das auch so umgesetzt wird.

Der abschließende Altstadtspaziergang verläuft, bis auf wenige aggressive Zwischenrufe ruhig. Man macht Fotos, reicht sich die Hand. Allzu viel dürfte die Bundeskanzlerin bei der Menschentraube aus interessierten Anwohnern, die sich um sie scharte, wohl nicht mitbekommen haben.

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Bei ihrem Besuch besichtigte die Kanzlerin auch Goslars historische Altstadt. Foto: Marvin König


Eintragung der Kanzlerin ins goldene Buch


Beim Empfang im Großen Heiligen Kreuz gibt sich Oberbürgermeister Junk mit einem Grußwort die Ehre. "Es macht uns stolz, dass Sie sich so viel Zeit für ihren Besuch nehmen", leitet er ein. Beinahe beiläufig fügt die Kanzlerin ihre Unterschrift den anderen im goldenen Buch der Stadt Goslar hinzu und blättert interessiert. Junk fährt fort: "Den Gründungsort der CDU, das Odeon Theater haben wir ausgespart - es befindet sich aktuell in einem nicht vorzeigbaren Zustand. Aber das werden wir noch ändern." Junk richtet seinen Dank für diese Gelegenheit auch an Gabriel, für seine Unterstützung dabei die Kanzlerin nach Goslar zu holen. Doch warum das Große Heilige Kreuz? "Das Große Heilige Kreuz bot Obdach und Versorgung, Pflege und geistigen Trost. Hier haben sich Goslarer Bürger erstmals der Armenfürsorge zugewandt", erklärt Junk. "Es dokumentiert kommunale Selbstverwaltung." Man könne weiterhin stolz darauf sein, wie Goslar mit der Flüchtlingskrise umgegangen ist. "Auch, wie diese Stadt mehrfach und sehr eindrucksvoll aufgestanden ist gegen Rechtsextreme", fügt Junk hinzu.

Er bezieht sich auch auf die Schülerdiskussion in der Kaiserpfalz. "60 Minuten, viele Fragen - aber zum Thema, wo finde ich einen Ausbildungsplatz, wo finde ich Arbeit, sind keine Fragen gestellt worden. Das war vor 10 bis 15 Jahren noch anders", stellt der Bürgermeister fest. Auch wenn man nicht alles gut und richtig finden müsse, was sie getan hat. Insgesamt sei sie für ihre Haltung aber viel zu selten gelobt worden.

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Bundeskanzlerin Merkel, Oberbürgermeister Junk und Ehrenbürger Gabriel im Großen Heiligen Kreuz. Foto: Marvin König


Für Goslar muss man sich Zeit nehmen


Merkel habe sehr lange einen Besuch in Goslar geplant. "Ein schneller Besuch wird der Stadt nicht gerecht", habe Sigmar Gabriel ihr gesagt. "Er hatte recht", muss die Kanzlerin zugeben. Besonders lobt sie das Goslarer Ehrenamt, die Blumen, die von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gepflegt werden. "So etwas macht eine Heimat schön", stellt Merkel fest.

Zum Schluss führte die Kanzlerin unter Ausschluss der Öffentlichkeit Gespräche mit den geladenen Gästen und trug sich in das Goldene Buch der Stadt Goslar ein. Kurz vor den Gewitterschauern konnte die Kanzlerin unter den neugierigen Augen der Öffentlichkeit im Hohen Weg ihre Abreise antreten. Als Nächstes geht es für Merkel nach Brüssel - nach diesem sicherlich auch für eine Bundeskanzlerin interessanten Besuch geht es mit dem Tagesgeschäft weiter.


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