Eine Frage des Abstandes - Blutbuche in Waggum durch Neubau gefährdet?

Im Stadtteil gibt es Sorgen um das kürzlich erst ausgezeichnete Naturdenkmal. Die Verwaltung sieht den Naturschutz eingehalten. Baumschützer fordern dagegen den Rückbau des Wohnhauses.

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Die Blutbuche in Waggum ist 175 Jahre alt.
Die Blutbuche in Waggum ist 175 Jahre alt. | Foto: Alexander Dontscheff

Waggum. Bereits seit 175 Jahren steht am Bienroder Weg, Ecke Erlenbruch eine Blutbuche. Im September dieses Jahres wurde der Baum vom Rat der Stadt als Naturdenkmal ausgezeichnet. Doch möglicherweise kommt diese Entscheidung für die Zukunft des Baumes zu spät. Denn mittlerweile gibt es ein nahezu fertig gestelltes größeres Wohngebäude auf dem angrenzenden Grundstück. Die Bürgerinitiative Baumschutz und die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin im Stadtbezirk Wabe-Schunter-Beberbach Tatjana Jenzen sehen den Baum durch eine zu nahe Bebauung in Gefahr. Der erforderliche Mindestabstand werde eingehalten, teilt dagegen die Stadt Braunschweig auf Anfrage mit.



"Der Baum, der fünf Tonnen Sauerstoff im Jahr produziert, hatte eine Ortsbild-prägende Bedeutung und einen guten Zustand", erklärt Tatjana Jenzen gegenüber regionalHeute.de. Nach einem Eigentümerwechsel vor drei Jahren, habe man sich entschlossen, die Blutbuche auf die Liste der schützenwerten Naturdenkmäler setzen zu lassen, letztendlich um ihn vor einer Fällung zu bewahren. Dieses Verfahren habe drei Jahre gedauert.

"Etliche der tiefen Wurzeln gekappt"


Die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin kritisiert, dass bereits bei der Vorstellung des Bauantrags im Bezirksrat lediglich eine idealisierte Darstellung des Baumes dargestellt war. "Er war als Punkt gekennzeichnet. Tatsächlich sprechen wir aber über eine Krone von zirka 15 Metern. Bereits hier wurde protokollarisch festgestellt, dass der Baum bei der Planung des Gebäudes nicht berücksichtigt wurde", betont Jenzen. Während des Aushubes der Baugrube seien bereits etliche der tiefen Wurzeln gekappt worden, so dass es dem Baum in den kommenden trockenen Sommern schwerer fallen werde, sich zu versorgen, so die Befürchtung.

Die Fertigstellung des Baukörpers sei zirka einen Meter zu dicht am Baum erfolgt. "In etlichen Terminen mit Bauamt und Umweltamt vor Ort, sowie einigen Baustopps, wurde dann ein teilweiser Rückbau angeordnet. Dieser wurde entweder nicht ausreichend genug durchgeführt oder angeordnet, da die Äste bereits wieder direkt an den Baukörper ragen", berichtet Tatjana Jenzen. Weder dem Baum, noch dem Grundstück, noch dem Ort Waggum tue eine solche Maximalbebauung gut. Auch spätere Mieter oder Eigentümer würden sich fragen, warum sie in einer komplett verschatteten Wohnung leben. Die daraus entstehenden Konflikte seien vorprogrammiert. "Aus meiner Sicht, ein Komplettversagen der Baubehörde und des Umweltamtes", so Jenzen abschließend.

"Mindestabstand wird eingehalten"


Die Stadt Braunschweig bestätigt auf Anfrage, dass es einen zwischenzeitlichen Baustopp gegeben hat. "Nachdem Anfang dieses Jahres seitens der Stadt Braunschweig festgestellt worden ist, dass der Vorhabenträger nicht den in der Baugenehmigung festgelegten Abstand zwischen Stammmitte und Baukörper eingehalten hatte, wurde zunächst ein Baustopp verhängt. Die Freigabe erfolgte erst, nachdem der Bauherr eine Außenwand um 1,25 Meter zurück gebaut hatte", berichtet Pressesprecher Rainer Keunecke. Der Umfang des Rückbaus sei im Rahmen eines gemeinsamen Ortstermins mit dem Vorhabenträger auf Grundlage der vorliegenden örtlichen Gegebenheit bestimmt worden. Dabei sei auch der eigentumsrechtlich unabweisbare Anspruch auf angemessene Nutzbarkeit des Grundstücks zu berücksichtigen gewesen, in den die Anforderungen zum Schutz des Baumes einzupassen waren. Diese Situation sei im Rahmen gegenseitiger Rücksichtnahme aufzulösen gewesen. "Der sich daraus ergebenen Vorgabe ist der Vorhabenträger nachgekommen. Der naturschutzfachlich erforderliche Mindestabstand wird eingehalten", betont Keunecke.

"Baugenehmigungsverfahren hat Vorrang"


Der Status der Waggumer Blutbuche als Naturdenkmal spielte bei all dem keine Rolle. Die neue „Naturdenkmalsammelverordnung – Bäume“, in der der Baum entsprechend ausgewiesen ist, sei erst am 29. Oktober 2020 in Kraft getreten, so Keunecke. Im Falle der Blutbuche in Waggum ergebe sich der maßgebliche Abstand daher aus dem Baugenehmigungsverfahren und werde grundsätzlich nicht über die Naturdenkmalverordnung geregelt. Die getroffenen Vorgaben seien naturschutzfachlich ausreichend und gegenüber der im Nachgang erfolgten Unterschutzstellung als Naturdenkmal vorrangig.

Ist der Abstand ausreichend?
Ist der Abstand ausreichend? Foto: Alexander Dontscheff


Im Baugenehmigungsverfahren sei für den Baukörper der Buche ein Abstand von 7,60 Meter zur Blutbuche festgelegt. Der Abstand werde von der Stammmitte bis zum maßgeblichen Gebäudepunkt gemessen. Die fachlichen Einschätzungen des Abstandes orientierten sich hierbei an Vorgaben zum Baumschutz, wie sie zum Beispiel in der DIN 18920 „Schutz von Bäumen, Pflanzenbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen“ und der RAS-LG 4 „Richtlinien für die Anlagen von Straßen - Teil Landschaftsgestaltung, Abschnitt 4: Schutz von Bäumen und Sträuchern im Bereich von Baustellen“ enthalten sind. Entscheidend sei dabei immer der sogenannte Kronentraufenbereich eines Baumes, der je nach Größe und Wachstum des Baumes differiere.

"Es bleibt nur der Rückbau des Gebäudes"


Für die Bürgerinitiative Baumschutz ist dagegen klar: "Das Gebäude steht immer noch zu dicht an der Buche". "Die Äste kratzen ja jetzt schon an den Wänden. Wenn dort Menschen einziehen, sind die Konflikte vorprogrammiert", betont Sabine Sambou im Gespräch mit unserer Online-Zeitung. "Wenn die Stadt den Status als Naturdenkmal ernst nimmt und der alte prächtige Baum tatsächlich geschützt werden soll bleibt nur der Rückbau des Gebäudes!", lautet die Forderung der Bürgerinitiative. Um dem Nachdruck zu verleihen, habe man Ende September, Anfang Oktober drei Mahnwachen vor Ort abgehalten. Angesichts der aktuellen Corona-Situation seien derzeit keine weiteren Aktionen geplant. Grundsätzlich bleibe man aber natürlich an der Sache dran, so Sambou.


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