Braunschweig. Der Herrenabend des Technikervereins Braunschweig von 1887 hat Tradition. Über 130-mal hat er schon stattgefunden. Hier kommen männliche Vertreter des Braunschweiger Stadtlebens zusammen, um bei Eisbein und Getränken ins Gespräch zu kommen und sich über die Geschicke der Stadt auszutauschen. Nur Männer? Nicht mehr zeitgemäß, sagen SPD und Grüne und fordern ein Umdenken.
In einem politischen Antrag machen die Ratsfraktionen darauf aufmerksam, dass ein solches Zusammentreffen im Jahr 2023 "nicht mehr tragbar sei". Denn: "wenn der Herrenabend von Ritualen lebte, die in immer gleicher Form bereits seit über hundert Jahren fortgeführt werden, sei eine Anpassung an geänderte gesellschaftliche Bedingungen überfällig."
Oberbürgermeister soll klären
Der geschlechtsbezogene Ausschluss von Frauen sei eine "diskriminierende und frauenfeindliche" Praxis. Mittlerweile würden Schlüsselpositionen der Stadtgesellschaft, in örtlichen Unternehmen und Institutionen auch durch Frauen bekleidet, die vom „Herrenabend" aber weiterhin ausgeschlossen werden, so SPD und Grüne. Diese gezielte Ausgrenzung führe mittlerweile dazu, dass eine Teilnahme an der Veranstaltung für einige Geladene nicht mehr tragbar sei.
Die Ratsfraktionen nehmen den Oberbürgermeister Dr. Thorsten Kornblum in die Pflicht. Es sollten laut Antrag nun Gespräche mit den Verantwortlichen folgen, um die Problematik klar anzusprechen. Dabei sollte insbesondere auch darauf hingewiesen werden, dass an ähnlichen Traditionsveranstaltungen in anderen norddeutschen Städten längst Frauen teilnehmen dürften. SPD und Grüne nennen als Beispiele die Osnabrücker Grünkohlmahlzeit des Verkehrsvereins Osnabrück, die Bremer Eiswette des Vereins Eiswette von 1829 und den Herrenabend des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden.
Der Verein verteidigt sich
Auf Anfrage von regionalHeute.de äußerte sich der Technikerverein zu dem politischen Antrag. Diesen betrachtet der Vorstand als "obsolet", da der Oberbürgermeister bereits mit dem Verein im Gespräch sei. Sowohl das letzte Gespräch mit dem Oberbürgermeister dazu als auch die laufenden Diskussionen um diese große private Traditionsveranstaltung im Braunschweiger Land hätte der Vorstand zum Anlass genommen, auf der letzten Mitgliederversammlung im März diesen Jahres mit den Mitgliedern die Aussprache darüber zu suchen. Das für den Vorstand bindende Votum der Mitgliederversammlung sei eindeutig: "Herrenabend bleibt Herrenabend." So der Verein.
Eine lange (Herren)Tradition
Der Herrenabend des Technikervereins Braunschweig von 1887 e.V. habe im Braunschweiger Land eine über die regionalen Grenzen bekannte weit über 100-jährige Tradition. Nach Auflösung des Deutschen Technikerverbandes im Jahr 1919 hätten die Mitglieder des Zweigvereins Braunschweig den Technikerverein Braunschweig im gleichen Jahr solitär wiederbegründet und unter anderem diese Tradition, wie auch andere Traditionen des Vereins, fortgeführt. An diese Traditionen sehen die Mitglieder sich gebunden, so der Verein.
Vorstand und Mitglieder des Technikervereins Braunschweig von 1887 e.V. würden bei all der Diskussion aber wiederholt mit Bedauern sehen, dass die Gesamtheit der Aktivitäten des privaten Vereins nicht genug Beachtung finden würden. Man reduziere es häufig nur auf den "Herrenabend". Dabei würde der Verein sich umfänglich für die Menschen einsetzen als gemeinnütziger Verein. So fördere man seit über eineinhalb Jahrzehnten Studenten der Technischen Universität Braunschweig mit Stipendien und stelle somit eine Verknüpfung des akademischen Nachwuchses in technischen Berufen zu einer großen Breite in den technischen Bereichen der in der Wirtschaft tätigen Unternehmer und Arbeitnehmer her. Auch Frauen würden hier ausdrücklich zum Kreis der Stipendiaten zählen.
Darüber hinaus habe der Verein über das Jahr ein lebendiges Vereinsleben, das Frauen ausdrücklich einschließt. Man engagiere sich immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen im Interesse der Braunschweiger Bürgergesellschaft.
Bezogen auf den Herrenabend werde oft die jährliche inhaltliche gesellschaftspolitische Themensetzung beziehungsweise Positionierung des Vorstandes im Rahmen des Herrenabends außer Acht gelassen.
Was soll dieser Antrag?
Der Vorstand und die zum Teil aufgrund des gegenständlichen Antrags von SPD und Grünen "aufgewühlten Mitglieder" fragten sich, wohin die Antragsteller, insbesondere die Grünen, die Verwaltung der Stadt Braunschweig treiben möchten, so der Verein: "Soll der Oberbürgermeister nun der oberste Sittenpolizist der Stadt Braunschweig werden, der private Initiativen und Engagements abseits jeder Toleranz nach dem Gutdünken des Grünen Weltbildes kontrolliert und gegebenenfalls maßregelt?"
Der Vorstand des Technikervereins Braunschweig von 1887 e.V. sieht darin einen, insbesondere von den Grünen getriebenen, erheblichen Eingriff in die freiheitliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. "Es wäre bedauerlich, das Amt und die Person des Oberbürgermeisters dafür zu missbrauchen, das private Leben zu reglementieren", so der Vorstand.
Weiterhin bliebe die Frage offen: "Soll nach Vorstellung der Antragsteller der Oberbürgermeister ebenso den Präsidenten der Braunschweiger Schützengesellschaft 1545 bezüglich des Herrenfrühstücks der Schützen, den Präsidenten der Union Kaufmännischer Verein von 1818 e.V. bezüglich des Herrenessens, die Präsidenten der nicht gemischten Serviceclubs oder die Präsidentin der Braunschweiger Karneval Gesellschaft von 1872 e.V. bezüglich der Weiberfastnacht zu maßregelnden Gesprächen bitten?"
Die Stellungnahme des Vereins endet mit dem Hinweis, dass seit Jahren, ebenso privat organisiert, parallel zum Herrenabend Damenveranstaltungen stattfinden: "Das wird auch in diesem Jahr so sein."
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