Stadt Braunschweig will Beratungsstelle für Prostituierte einrichten

Das niederschwellige Angebot soll eigene Räumlichkeiten mit einem Café bekommen. In der Prostitution tätigen Menschen mit komplexen Problemlagen soll hier geholfen werden.

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Die meisten Braunschweiger Prostituierten arbeiten in der Bruchstraße. Archivbild
Die meisten Braunschweiger Prostituierten arbeiten in der Bruchstraße. Archivbild | Foto: aktuell24 (bm)

Braunschweig. Nicht erst durch die Corona-Pandemie befinden sich viele Prostituierte in einer prekären Situation. Sprachbarrieren, schlechter Gesundheitszustand oder ein Abhängigkeitsverhältnis zum Zuhälter sind nur einige der verbreiteten Probleme. Die Stadt Braunschweig möchte dem zumindest ein bisschen entgegenwirken und eine Beratungsstelle für Prostituierte einrichten. Mit einem entsprechenden Beschlussvorschlag beschäftigt sich der städtische Ausschuss für Soziales und Gesundheit am Freitag. Eine Entscheidung fällt im Rat Anfang Oktober.


Prostitution finde in Stadt Braunschweig sowohl in der Bruchstraße als auch in zahlreichen Wohnungen statt. Straßenstrich sowie Klubs gebe es seit 1986 in Braunschweig dagegen nicht mehr, heißt es in der Ratsvorlage. In der Bruchstraße betrage die Zimmerkapazität 210. Die Polizei schätze, dass maximal 300 bis 350 Frauen an einem Freitagabend in Braunschweig arbeiteten. Diese Zahl sei aber sehr ungenau. Um in der Prostitution arbeiten zu dürfen, bedürfe es einer behördlichen Genehmigung durch das Ordnungsamt. Voraussetzung zur Erteilung dieser Genehmigung sei eine gesundheitliche Beratung beim Gesundheitsamt.

80 Prozent ausländische Prostituierte


In der Braunschweiger Bruchstraße arbeiteten zu einem großen Teil (über 80 Prozent) ausländische Prostituierte. Sie seien in der Regel nicht krankenversichert oder hätten eine Krankenversicherung im Heimatland und befänden sich teilweise in einem schlechten allgemeinmedizinischen Zustand. Aufgrund der fehlenden Krankenversicherung werde ärztliche Behandlung nur im Notfall in Anspruch genommen. Prostituierte mit Kindern im Ausland, die von dem Verdienst der Mutter in Deutschland lebten, schickten ihren Verdienst zur Familie. Deshalb sei es schwierig, die Frauen von notwendigen, kostenpflichtigen ärztlichen Behandlungen zu überzeugen. Prostituierte, die in Braunschweig tätig sind, seien vorwiegend Bürgerinnen von EU-Staaten. Sie hätten Reise- und Aufenthaltsfreiheit in allen Staaten der EU. Jedoch hätten sie nur unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche auf Sozialleistungen.

Die Stadt Braunschweig hält derzeit keine spezialisierte Fachberatungsstelle vor. Seit Sommer 2021 gebe es ein Ausstiegsprojekt für Frauen, die ein Leben außerhalb der Prostitution führen möchten (ASUNA). Aktuell finde hauptamtliche (Phoenix aus Hannover, Gesundheitsamt, Migrationsberatungsstellen, Aidshilfe, Unter uns) und ehrenamtliche Beratungs- und Versorgungsarbeit statt, die sich während des Tätigkeitsverbots in der Corona Pandemie zum Teil notgedrungen etabliert habe. Alle Beteiligten koordinierten ihre Tätigkeiten mittlerweile auch über den Runden Tisch Sexarbeit. Allerdings seit deutlich, dass die Ehrenamtlichen professionelle Unterstützung für Beratungsgespräche benötigten, da die komplexe Problemlage die Kompetenzen und die Kräfte der Ehrenamtlichen überfordere. Übersetzungsleistungen seien fast immer nötig. Auch sei damit zu rechnen, dass die ehrenamtliche Nothilfe nach der Corona-Pandemie zurückgefahren oder beendet werde.

Kein unabhängiger Zugang zu den Beratungsangeboten


Die Beratungsangebote in Braunschweig deckten viele Einzelaspekte der Notlagen von Prostituierten ab. Allerdings überfordere die Kombination von Bedarfen (zum Beispiel Wohnungslosigkeit + Gewalterfahrungen + Drogenprobleme + keine Krankenversicherung + fehlende Sprachkenntnisse + Status der Selbstständigkeit) das Fachwissen der einzelnen Disziplinen. Viele Frauen in der Prostitution verfügten über keinen eigenen Wohnraum und leben derzeit quasi in ihrem Arbeitsumfeld. Hinzu komme, dass sie häufig die Stadt wechselten. In der Bruchstraße lebten rund ein Drittel der dort arbeitenden Frauen hauptsächlich vor Ort, im Gegensatz zu den Frauen in der Wohnungsprostitution. Soziale Bezüge bestünden hauptsächlich zum Milieu. Sie verfügten deshalb oft über keinerlei Ortskenntnisse. Für den Weg von der Bruchstraße zum Gesundheitsamt ließen sie sich von Dienstleistern aus dem Milieu fahren. Demnach sei ein unabhängiger Zugang zu den Beratungsangeboten nicht gegeben. Deshalb sei für Braunschweig ein spezialisiertes und verlässliches Beratungsangebot vor Ort, neben der Ausstiegsbegleitung, wichtig.

Die Beratungsstelle solle einen niederschwelligen Zugang der in der Prostitution tätigen Menschen mit komplexen Problemlagen in Braunschweig ermöglichen. Sie solle für alle in der Prostitution tätigen Menschen und deren Angehörige, auch ohne Anmeldung und anonym, Hilfe und Unterstützung in prekären Lebenslagen bieten. Grundsätzlich müsse die Arbeit von Wertschätzung und Respekt geprägt sein. Konzeptionell und organisatorisch sei es wichtig, einen Schutzraum für Frauen anzubieten.

Einrichtung eines Treffpunktes


Ziel sei die Einrichtung eines Treffpunktes in der Nähe der Bruchstraße, der den betroffenen Frauen Hilfe und Unterstützung gibt, aber auch soziale Kontakte ermöglicht, um sich in Braunschweig und Deutschland besser zurechtzufinden. Zu den Aufgaben solle auch die Koordination und Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern von Behörden und Fachberatungsstellen sowie weiterer Träger, Vereine und Initiativen zählen, die sich für die Belange und Bedürfnisse von Prostituierten einsetzen und ein Netzwerk für diese Zielgruppe bilden. Für Personal, Räumlichkeiten und andere Ausgaben wird mit Kosten von etwa 250.000 Euro jährlich gerechnet.

Da viele Frauen in der Prostitution außer dem Milieu kaum soziale Bezüge hätten, sei die aufsuchende Arbeit häufig der erste Schritt zur Kontaktaufnahme, unterstützt von praktischen Give-aways mit den mehrsprachigen Kontaktdaten. Bereits vorhandene Strukturen und Kontakte der Streetworkerinnen des Gesundheitsamtes, von Phoenix, der Aidshilfe oder der Ehrenamtlichen könnten hier genutzt werden. Auch ein offenes, mehrsprachiges Café-Angebot zu angepassten Uhrzeiten unterstütze die Anbahnung von Gesprächen. Vertrauensbildend seien auch alltagspraktische, hilfreiche Angebote wie: Waschmaschine, Dusche, kostenloses WLAN, ein PC mit Internetzugang, Drucker und Scanner oder etwas zu Essen. Niederschwellig sei auch die digitale Kontaktaufnahme über einen mehrsprachigen Internetauftritt mit einem Rückrufangebot oder einem Anrufbeantworter in den gängigsten Sprachen.


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