Vorschlag: Führerschein gegen kostenloses Busfahren eintauschen

Nachdem eine 95-Jährige Mitte Februar ihren Führerschein abgegeben hatte, bekam sie einen 100 Euro Gutschein als Dankeschön. Doch bald wurde der Ruf nach einem kostenlosen ÖPNV-Angebot in den sozialen Netzwerken laut.

von Julia Seidel


Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: Pixabay

Braunschweig. Mitte Februar gab eine 95-jährige Braunschweigerin in der Verkehrswacht Braunschweig ihren Führerschein ab. Nach 53 Jahren entschied sich die ältere Dame dazu das Autofahren aufzugeben. Als kleines Dankeschön erhielt sie Taxi-Gutscheine im Wert von 100 Euro (regionalHeute.de berichtete). Doch ist dies Motivation genug, damit auch andere diesem Vorbild folgen? In Reaktion auf unsere Berichterstattung wurde auf Facebook der Ruf nach einem kostenlosen ÖPNV-Angebot für Rentner laut. Demnach sollten Rentner, die freiwillig ihren Führerschein abgeben, kostenlos mit dem ÖPNV fahren dürfen. regionalHeute.de hat bei den Braunschweiger Ratsfraktionen nachgefragt wie Sie zu diesem Vorschlag stehen.


Grüne: ÖPNV könnte seniorenfreundlicher gestaltet werden



Dr. Elke Flake
Dr. Elke Flake Foto: Grüne

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Dr. Elke Flake sieht das Alter bei der möglichen Abgabe des eigenen Führerscheins nicht als ein ausschlaggebendes Kriterium an. Wichtiger sei die Frage, ob die jeweilige Person ihr Fahrzeug und die geltenden Verkehrsregeln noch sicher beherrschen würde. Ältere Menschen würden zwar in der Regel deutlich langsamer reagieren als jüngere, dafür würden jüngere Menschen eher zu überhöhter Geschwindigkeit und riskantem Verhalten im Straßenverkehr neigen. "Wenn ein Autofahrer im fortgeschrittenen Alter realisiert, dass er aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht mehr in der Lage ist, sein Auto sicher zu steuern, dann sollte er seinen Führerschein tatsächlich abgeben oder nicht mehr benutzen", so Flake.


Die Lösung, in diesem Fall ein kostenloses ÖPNV-Angbot zu schaffen, sei zwar denkbar, allerdings gäbe es jetzt schon deutliche Ermäßigungen für ältere Menschen (Seniorenticket) und Menschen mit geringem Einkommen (BS-Mobil-Ticket), die diesen Zielgruppen eine kostengünstige ÖPNV-Nutzung ermöglichen. "Ältere Menschen gehören nicht per se zu den unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, denen finanziell unter die Arme gegriffen werden muss. Die Hürden beim Umstieg vom privaten Auto auf öffentliche Busse und Bahnen sind eher psychologischer und technischer Art. Psychologisch, weil der Abschied von der gewohnten Mobilitätsform oftmals als schmerzlicher Verzicht oder Verlust persönlicher Freiheit erlebt wird. Technisch, weil der ÖPNV - auch in unserer Stadt und Region - immer noch nicht völlig barrierefrei ist, obwohl sich hier mittlerweile schon viel getan hat. Der ÖPNV könnte aber in mancher Hinsicht noch seniorenfreundlicher gestaltet werden, zum Beispiel durch eine bessere Ausstattung und Vertaktung der Busse und Bahnen", so die Fraktionsvorsitzende.

Bei der praktischen Umsetzung, sollte diese Lösung für sinnvoll erachtet werden, sieht Dr. Elke Flake kein Problem. "Möglich wäre zum Beispiel eine Anlehnung an das BS-Mobil-Ticket, das heißt die Aufnahme der Rentner ohne Führerschein in den Kreis der Berechtigten. Wobei diese Regelung dann aus Gerechtigkeitsgründen auch für Menschen im Ruhestand gelten müsste, die nie einen Führerschein besessen haben. Eine gute Alternative zur dauerhaften Kostenfreiheit bei Abgabe des Führerscheins wäre eine kostenlose Monatskarte oder ein kostenloses „Schnupperticket“. Finanzielle Anreize könnte man perspektivisch auch durch ein 30 Euro-Ticket für Seniorinnen und Senioren setzen, das wäre dann aber auch ein Thema für den Regionalverband Großraum Braunschweig", so Flake abschließend.

AfD: An persönlichen Bedürfnissen und Einkommenssituation orientieren


Für die AfD-Fraktion in Braunschweig habe die Entscheidung der 95-Jährigen durchaus einen Vorbildcharakter. Wer bemerke, dass die eigenen Kräfte und Fähigkeiten nicht mehr zum sicheren Autofahren ausreichen, treffe mit der Rückgabe des Führerscheins die richtige Entscheidung. Doch längst nicht jeder könne dies so eindeutig erkennen und sich selbst beurteilen. Gerade im höheren Alter sei das eigene Auto oft eine wichtige Hilfe, um Besorgungen, Arztbesuche oder Reisen noch selbst bewältigen zu können, wenn man "nicht mehr so gut zu Fuß" ist.

Führerschein und Auto seien für die unabhängige Alltagsbewältigung unverzichtbar. Sich selbst möglichst fit zu halten, Vorsorge zu treffen und sich regelmäßig untersuchen zulassen liege in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen und sollte selbstverständlich sein, so die Fraktion.

Von regelmäßigen zwangsweisen Überprüfungen und dem möglichen Entzug der Fahrerlaubnis halte die AfD daher nicht allzu viel. Darüber hinaus würde es eine intensive Debatte geben, welche Schwächen eigentlich zum dauerhaften Verlust der Fahrtüchtigkeit führen, und welche nicht.

Starke Fehlsichtigkeiten seien zum Beispiel leicht erkennbar, aber auch gut durch Sehhilfen auszugleichen. Dagegen würden Anfallsleiden oder Kreislaufschwächen vor ihrem ersten akuten Auftreten manchmal unentdeckt bleiben und wären nur durch sehr gründliche Untersuchungen festzustellen, bevor es zu Gefährdungen im Straßenverkehr kommen könne. Die AfD setzt in der Hinsicht mehr auf Appelle an die Vernunft als auf restriktive Maßnahmen.

Für die Braunschweigerin, die nun lieber auf das Fahren verzichtet, hätte sich die AfD mehr als den symbolischen Gutschein gewünscht. Für ihre Mobilität würden 100 Euro nicht weit reichen. Im Stadtgebiet sei eine kostenlose oder stark vergünstigte und langwährende Nutzerkarte für den ÖPNV sinnvoller, in eher ländlichen Gebieten ein Taxigutschein mit wesentlich höherem Wert, falls dort kein öffentlicher Nahverkehr ausreichend vorhanden sei. Dies wäre eine gute Entscheidungshilfe, sollte aber an den persönlichen Bedürfnissen und der jeweiligen Einkommenssituation orientiert sein.

BIBS: Interessante Angebote schaffen, ÖPNV attraktiver machen


Grundsätzlich hält es die BIBS-Fraktion für eine sehr gute Idee bei freiwilliger Abgabe des Führerscheins ein kostenloses ÖPNV-Angebot zu schaffen. Wolle man den ÖPNV attraktiver machen, sollte man gerade sozialen Gruppen, wie Schülern, Rentnern oder Arbeitslosen interessante Angebote machen, die in besonderer Weise von einem gut organisierten ÖPNV profitieren könnten und auch mehr als andere auf den ÖPNV angewiesen seien.

Die Abgabe des Führerscheins ab einem gewissen Alter dagegen werde nicht als sinnvoll angesehen, da die Reaktionsfähigkeit und Fitness individuell sehr unterschiedlich seien und somit eine geringere Fahruntüchtigkeit nicht mit dem Erreichen eines bestimmten Alters in Zusammenhang gebracht werden könne. Dennoch sei die Lösung denkbar, sollten Stadt und Land bereit sein für die Förderung der ÖPNV-Nutzung mehr Geld in die Hand zu nehmen. So würde eine Schwierigkeit bei der Umsetzung solcher grundsätzlich guten Ansätze meist darin liegen, dass regionale Verkehrsverbünde solche Lösungen beschließen. Das heißt, es sei schwer für die Stadt Braunschweig, solche Ideen allein umzusetzen. Die Situation diene dann aber auch gern als Argument, solche Vorschläge schon im Ansatz regelmäßig abzublocken.

SPD: Argumente für den Umstieg schaffen


Christoph Bratmann.
Christoph Bratmann. Foto: regionalHeute.de

Für die SPD-Ratsfraktion Braunschweig antwortete Fraktionsvorsitzender Christoph Bratmann: „Grundsätzlich verfolgt die SPD-Ratsfraktion das Ziel, ein attraktives ÖPNV-Angebot zu schaffen, das für Menschen jeden Alters eine realistische Alternative zum Auto bietet. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger dabei jedoch nicht durch Verbote zum Verzicht auf das Auto zwingen, sondern setzen darauf, dass schon ein gut funktionierender ÖPNV für sich ein starkes Argument für einen Umstieg bietet – nur so kann auch eine gesellschaftliche Akzeptanz erreicht werden. Auch ältere Menschen werden sicher eher bereit sein, das Auto stehen zu lassen, wenn ihr Wohnort gut mit Bus und Bahn erreichbar ist – ein Ausbau des ÖPNVs ist damit auch ein Beitrag zur steigenden Sicherheit im Straßenverkehr. Mit unserem Mobilitätskonzept zum anstehenden Haushalt haben wir daher auch einen weiteren Anstoß zum Ausbau des ÖPNVs gesetzt."

Die Frage, ob und wenn ja ab wann sich Senioren einem erneuten Führerscheintest unterziehen sollten oder unter bestimmten Voraussetzungen ihre Fahrerlaubnis abgeben können, müsse auf Bundesebene entschieden werden. Eine Möglichkeit könnte aus Sicht der SPD sein, ab einem gewissen Alter regelmäßig die Fahrtauglichkeit mit Testes zu überprüfen – dies müsste jedoch zunächst entsprechend gesetzlich geprüft und verankert werden.

Mit Blick auf das ÖPNV-Angebot für Senioren gebe es in Braunschweig bereits die Möglichkeit, eine um etwa zehn Euro vergünstigte Monatskarte zu erwerben, wobei diese Preise in erster Linie durch den Verkehrsverbund Region Braunschweig festgelegt werden. Körperlich beeinträchtige Menschen würden dazu im Nahverkehr natürlich ebenfalls Unterstützungsleistungen erhalten, die im SGB IX geregelt sind – dazu gehöre beispielsweise eine unentgeltliche Nutzung von Bus und Bahn. Voraussetzung hierfür sei der Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit der entsprechenden Kennung und zusätzlich eine gebührenpflichtige Wertmarke. Von der Eigenbeteiligung an der Wertmarke könne man unter bestimmten Voraussetzungen auch befreit sein.

Auch sozial schwächer gestellte Menschen könnten über das BS-Mobil-Ticket vergünstigte Tickets erhalten. Die SPD-Ratsfraktion unterstützt diese Ausweitung des BS-Mobil-Tickets. Ziel sei es, möglichst viele Menschen zur Nutzung von Bus und Bahn zu gewinnen.

Die Linke: Freiwillige Abgabe mit kleinem Bonus honorieren


Verkehrspolitische Sprecherin der Linken Anke Schneider: „Die Linksfraktion setzt sich generell für einen kostenlosen ÖPNV ein, was natürlich auch Rentner einschließt. Und natürlich ist es sinnvoll, dass Menschen, die sich unabhängig vom Alter aus verschiedenen Gründen nicht mehr in der Lage sehen, ein Fahrzeug sicher zu führen, den Führerschein freiwillig abgeben. Wenn das mit einem kleinen Bonus honoriert wird, sei es nun ein Gutschein für die Taxibenutzung oder für den ‚klassischen‘ ÖPNV, begrüßen wir das. Der generellen Festlegung eines Alters, an dem der Führerschein abgegeben werden müsse, sehen wir kritisch, da es sich dabei um eine Form von Altersdiskriminierung handelt.“

Aktualisiert:


FDP: Kein Massenandrang für dieses Angebot zu erwarten


Verkehrspolitischer Sprecher der FDP, Mathias Möller: „Grundsätzlich ist es eine persönliche Entscheidung, den Führerschein abzugeben. Es ist, auch wenn man länger nicht mehr gefahren ist, eine große Hürde, dieses Stück Freiheit aufzugeben. Besonders wenn die körperlichen Voraussetzungen sich verschlechtern, kann es aber ein richtiger Schritt sein. Wer sich freiwillig dafür entscheidet, verdient Respekt."

Aus Sicht der FDP spreche nichts dagegen, für einen solchen Fall seitens der Braunschweiger Verkehrs-GmbH (BSVG) eine Art Belohnung anzubieten. Vorstellbar wäre etwa ein Jahresticket für den Verkehrsverbund als Geschenk. "Dies wäre aber als Werbemaßnahme für die BSVG zu sehen – vielleicht überzeugt das Jahresticket die Kunden, auch nach Ablauf des Jahres weiter vor allem Busse und Bahnen zu nutzen", so Möller weiter. In Anbetracht des großen Einschnittes, den die Führerscheinabgabe individuell bedeuten könne, sei vermutlich kein Massenandrang an so ein Angebot zu erwarten.

"Allerdings ist dies kein Thema, worüber die Politik entscheiden müsste. So etwas liegt allein im Ermessen der BSVG“, so Möller abschließend.



Sowohl die CDU-, als auch die P2-Fraktion haben auf unsere Anfrage zum Thema nicht reagiert.


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