Eine Frage der Entfernung: Gemeindebürgermeister sagt Ja zu mehr "Impftourismus"

Es sei "zynisch und Realitätsfern", den Leuten "Impftourismus" vorzuwerfen. Gemeindebürgermeister Andreas Busch äußert sich gegen das Wohnortprinzip bei den Impfungen.

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In so manchem Impfzentrum - wie hier in Salzgitter - herrschte vergangene Woche gähnende Leere. Der Grund: Die Impfdosen fehlten. Salzgitteraner wurden beispielsweise nach Goslar und Peine verwiesen. Sehr zum Ärger der dortigen Bürgermeister.
In so manchem Impfzentrum - wie hier in Salzgitter - herrschte vergangene Woche gähnende Leere. Der Grund: Die Impfdosen fehlten. Salzgitteraner wurden beispielsweise nach Goslar und Peine verwiesen. Sehr zum Ärger der dortigen Bürgermeister. | Foto: Rudolf Karliczek

Region. Nach dem gescheiterten Impfstart in Niedersachsen wurde "Impftourismus" in der Diskussion zum geflügelten Wort. Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk sprach gar von einer "Rentnerlandverschickung". Nur 20 Prozent der Geimpften im Impfzentrum der Kaiserstadt waren demnach Goslarer - Der Rest kam aus dem Umland. Für viele Bürgerinnen und Bürger vom Land könnte das "Wohnortprinzip" jedoch sogar längere Wege bedeuten, meint Andreas Busch, Bürgermeister der Gemeinde Lehre aus dem Landkreis Helmstedt.


Wolfsburger wurden nach Goslar und Lüneburg verwiesen, Salzgitteraner nach Goslar und Peine. Die jeweiligen Oberbürgermeister äußerten sich entsetzt. Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs: "Es kann nicht sein, dass die Bürger aufgerufen werden, weitere Wege, Ausflüge und Kontakte zu vermeiden, sich zurückzuziehen und dann aufgefordert werden, 100 Kilometer in ein anderen Impfzentrum zu fahren." Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk äußerte sich ähnlich.

In vielen Impfzentren waren schlicht noch gar keine Impfdosen vorhanden, da in Niedersachsen strikt nach Plan gearbeitet wird und die zweite Dosis aufgrund zu erwartender Lieferengpässe zurückgehalten werde. Sozialministerin Carola Reimann erklärte heute in einer Pressekonferenz, dass Niedersachsen gerade deshalb bei den erfolgten Zweitimpfungen auf den vordersten Rängen mitspiele.

Unverständnis vom Lande


"Geschockt", äußerte sich Andreas Busch am Dienstag in einer Pressemitteilung zur Diskussion um das Wohnortprinzip bei der Impfstoffvermittlung. Bürgerinnen und Bürger dürften demnach nur noch im Impfzentrum ihrer eigenen Kreisstadt geimpft werden. "Dazu eine Anekdote aus meinem Dunstkreis. Einer ältere Dame aus Lehre wurde bei der Impfhotline dem Impfzentrum Braunschweig zugewiesen. Eine weitere ältere Damen aus Flechtorf wurde über die Impfhotline dem Impfzentrum Wolfsburg zugewiesen. Aussage des Impfzentrum dazu: 'Ist doch auch der kürzeste Weg.'" Tatsächlich ist die Gemeinde Lehre selbst rund 30 Kilometer von der eigenen Kreisstadt entfernt. Die Städte Wolfsburg und Braunschweig liegen hingegen in unmittelbarer Nähe. Der Gemeindebürgermeister rechnet vor, dass es vom Ackerweg in Essenrode nur 17,3 Kilometer zur Stadthalle in Braunschweig und 18,3 Kilometer zum Congresspark in Wolfsburg sind - jedoch 39,1 Kilometer zur Kanthalle in Helmstedt.

Andreas Busch, Gemeindebürgermeister in Lehre. (Archivbild)
Andreas Busch, Gemeindebürgermeister in Lehre. (Archivbild) Foto: Alexander Dontscheff



"Würde man so gegen 10 Uhr in der Gemeinde mit dem ÖPNV starten, wäre man eineinhalb bis zwei Stunden für die einfache Fahrt zur Kanthalle unterwegs", erklärt Busch und erläutert abschließend: "Kleines Beispiel dazu: Fährt man von Lehre, Haltestelle Rathaus, ins Impfzentrum nach Helmstedt, so braucht man dazu 1 Stunde und 49 Minuten. Mit dem Bus geht es zum Bahnhof Gliesmarode, von dort aus zum Hauptbahnhof Braunschweig, mit dem Zug nach Helmstedt und dort mit dem Bus zur Kanthalle. Ins Impfzentrum Braunschweig braucht man nur 35 Minuten, also 74 Minuten weniger. Wer solchen Menschen dann ‚Impftourismus‘ vorwirft, ist zynisch und handelt realitätsfern. Es ist für mich schleierhaft, wie ich das als Bürgermeister erklären soll."


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