Auf bedenkliche Gesundheitsrisiken für Anwohner von agrarindustriellen Großställen mit Intensivtierhaltung verweist die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mit Bezug auf eine Studie der Universität Utrecht im Auftrag der niederländischen Regierung. Hiernach seien Anwohner intensiver Geflügel- und Schweine-Tierhaltungsanlagen und Bewohner von Intensiv-Regionen erhöhten Konzentrationen von Feinstaub, spezifischen Mikroorganismen und Endotoxinen ausgesetzt und trügen ein erhöhtes Risiko von Atemwegserkrankungen.
Die AbL sieht sich durch die neuen holländischen Erkenntnisse in ihrer Forderung nach einem Genehmigungsstopp für agrarindustrielle Großställe auch in Deutschland bestätigt. Einige niedersächsische Landkreise forderten im Antragsverfahren für Großmastanlagen von den Investoren bereits jetzt – mit Blick auf den vorsorgenden Gesundheitsschutz – die Vorlage von Keimverbreitungs-Gutachten. „Die alarmierenden Ergebnisse aus Holland belegen erneut die Notwendigkeit eines raschen Genehmigungsstopps für Agrarfabriken“, so AbL-Agrarindustrie-Experte Eckehard Niemann, „die verantwortlichen Landes- und Bundespolitiker müssen jetzt entsprechende Vorgaben für die Genehmigungsbehörden erlassen.“ Angesichts neuer und zunehmend resistenter Keime in der Massentierhaltung dürfe man die Emissionen aus agrarindustriellen Großställen nicht länger auf die leichte Schulter nehmen. Nur eine standort-angepasste, artgerechte Tierhaltung in mittelständisch-bäuerlichen Strukturen sei für Anwohner und Umwelt verträglich.
Im Rahmen der anhaltenden Diskussion in Holland über den Stopp von „Mega-Ställen“ („megastallen nee“) hatten staatliche Stellen und Institute der Universität Utrecht im Auftrag des Gesundheits- und des Agrarministeriums seit 2009 „Mögliche Effekte der Intensiv-Tierhaltung auf die Gesundheit von Anwohnern“ untersucht („Mogelijke effecten von intensieve-veehouderij op de gezondheid von omwonenden“, IRAS Universiteit Utrecht, NIVEL, RIVM, 7. juni 2011).
Die Wissenschaftler konnten bei ihrer Literatur-Recherche nur wenige vorhandene Studien finden. Diese jedoch hätten deutliche Hinweise auf eine höhere Belastung der Luft in der Nähe von Geflügel- und Schweineställen durch Feinstaub, Endotoxine, Mikroorganismen, Coli-Keime und multiresistente MRSA-Bakterien ergeben. Eine deutsche Studie habe bei Anwohnern von Intensiv-Tierhaltungen eine verringerte Lungenfunktion gefunden.
Zusätzlich werteten die Forscher nun die Unterlagen von Hausärzten in niederländischen Intensiv-Tierhaltungsregionen (Nordbrabant und Limburg) und Befragungsergebnisse von dortigen Patienten aus und verglichen die Ergebnisse mit Kontrollgruppen außerhalb dieser Regionen. Außerdem wurde die Luft in 500 bis 1000 Meter Entfernung rund um die Ställe beprobt.
Im Ergebnis stellt nun auch die niederländische Studie deutlich höhere Konzentrationen von Feinstaub in der Nähe von Intensivtierhaltungen von Geflügel, Schweinen und auch Ziegen fest, ebenso erhöhte Werte von Endotoxinen und von viehspezifischen MRSA-Bakterien in einem Radius von 1.000 Metern. Vor allem in der Nähe von Geflügelställen können diese Endotoxine laut Studie zu Beeinträchtigungen der Atmungsorgane führen.
Die generelle Zahl von Erkrankungen ist in Intensivtierhaltungs- und Vergleichsregionen kaum unterschiedlich. Allerdings beobachteten die Hausärzte in den viehdichten Regionen und rund um die Ställe häufiger Fälle von Lungenentzündung, Q-Fieber und atopischem Ekzem bei Kindern – dagegen weniger oft Stirnhöhlen-entzündungen oder Bronchitis.
Die Belastung mit Feinstaub für sich allein führte bisher offenbar nicht generell zu erhöhten Erkrankungen der oberen Luftwege, speziell allerdings zu mehr Fällen von Lungenentzündungen und Q-Fieber-Erkrankungen. Insbesondere in der Nähe von Intensivtierhaltungen von Ziegen und auch Geflügel fand man eine starke Erhöhung der Zahl von Lungenentzündung und mehr Fälle von Pneumonie.
In direkter Nähe von Ställen fand man überraschend eine geringere Zahl von Asthma-Erkrankungen. Betrachtete man jedoch gezielt solche Anwohner, die bereits an chronischen Luftwegs-Erkrankungen (Asthma bzw. COPD-Syndrom aus Lungenemphysem und chronischer Bronchitis) litten, dann erkrankten diese in viehdichten Regionen häufiger an Infektionen als vergleichbare chronisch Kranke außerhalb dieser Regionen. Im Umkreis von Tierhaltungsanlagen ist demnach für Menschen mit Asthma oder dem COPD-Syndrom (aus Lungenemphysem und chronischer Bronchitis) das Risiko von gesundheitlichen Komplikationen erhöht.
In ihren Empfehlungen fordern die Wissenschaftler unter anderem
- zielgerichtete Studien über die Konzentrationen von Endotoxinen und Mikroorganismen in
der Nähe von Geflügel- und Schweinebetrieben,
- die Erstellung von Beurteilungskriterien über den Zusammenhang zwischen dem
Vorkommen dieser Keime und deren Gesundheitseffekte,
- nähere Untersuchungen über die Komplikationen von Menschen, die bereits an Asthma
und COPD erkarkt sind,
- genauere Untersuchungen über Lungenentzündungen in der Nähe von Ziegen- und
Geflügel-Intensivbetrieben sowie
- die Schaffung eines Registier- und Auswertungsnetzes für Symptome und Erkrankungen
von Menschen und Tieren.
Konkrete Angaben über gesundheits-unschädliche Mindestabstände oder unbedenkliche Maximalkonzentrationen sind nach Einschätzung der niederländischen Experten bisher nicht möglich, dazu seien weitere Untersuchungen erforderlich.
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