Zwangsarbeit für Pflegekräfte? Gesetzesentwurf des Landes sorgt für Kritik

Ein ähnlicher Vorstoß war in Nordrhein-Westfalen vor kurzem gescheitert. Die Niedersächsische Landesregierung ist darüber gespalten.

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(Symbolbild)
(Symbolbild) | Foto: Rudolf Karliczek

Region. Im Pandemiefall sollen Ärzte und pflegerisches Personal auf Verfügung der Landesregierung zwangsweise zur Teilnahme an den Maßnahmen zur Eindämmung verpflichtet werden können. Hierzu können Grundrechte der Freiheit der Person, der Berufsfreiheit und der Eigentumsfreiheit eingeschränkt werden. So will es zumindest ein Gesetzesentwurf, den CDU und SPD in den Landtag eingebracht haben. Der Marburger Bund und die Pflegekammer halten diesen Vorstoß für einen Affront gegenüber den Beschäftigten, für gefährlich und verfassungsrechtlich bedenklich. regionalHeute.de hat im Landtag nachgefragt, was es damit auf sich hat.


"Dienstverpflichtungen bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen wird Kolleginnen und Kollegen aus dem Beruf treiben", meint Dennis Beer aus der Kammerversammlung der Pflegekammer Niedersachsen in einer Pressemitteilung. Er erklärt: "Hier kann es nur freiwillige Lösungen geben. Ein solcher Vorschlag ist ein Affront gegenüber allen Beschäftigten, die schon in der gegenwärtigen Corona-Pandemie über alle Maßen bereit sind, das System am Laufen zu halten."

Dennis Beer, Gesundheits- und Krankenpfleger und Mitglied der Kammerversammlung
Dennis Beer, Gesundheits- und Krankenpfleger und Mitglied der Kammerversammlung Foto: Pflegekammer Niedersachsen



"Es braucht attraktive Anreize und flexible Regelungen statt Dienstverpflichtung."

- Dennis Beer, Pflegekammer Niedersachsen



Der Marburger Bund hält eine solche Zwangsverpflichtung für nicht zielführend. "Es entspricht ärztlichem Denken und Handeln, in Notlagen zu helfen. Dies gilt auch und gerade für Pandemien. Eine drohende Zwangsrekrutierung wäre ein absolut falsches Signal und könnte demotivierend wirken", warnt Hans Martin Wollenberg, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen.

Verfassungsrechtlich bedenklich


Bedenken äußert der Marburger Bund Niedersachsen auch im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit einer entsprechenden Regelung. „Diese Verpflichtung stellt einen erheblichen Eingriff in Grund- und Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten im Gesundheitswesen dar. Dies betrifft nicht nur das Grundrecht der Berufsfreiheit, sondern auch die Freizügigkeit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Denn genügend Schutzausrüstung steht weiterhin nicht in allen Einrichtungen in ausreichendem Maße zur Verfügung“, kritisiert Andreas Hammerschmidt, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen. „Unter diesem Aspekt schaffen gesetzliche Regelungen zur Einführung möglicher Zwangsmaßnahmen erst recht kein Vertrauen.“

Idee in Nordrhein-Westfalen gescheitert


Ein ähnlicher Gesetzesentwurf hat es nach massivem öffentlichen Protest in Nordrhein-Westfalen (NRW) nicht durch den Landtag geschafft. "Die dort beschlossene, freiwillige Regelung ist unserer Ansicht nach absolut ausreichend. Wir fordern die Mitglieder des Niedersächsischen Landtages und der Landesregierung dazu auf, sich für eine freiwillige Regelung, ein sogenanntes Freiwilligenregister, einzusetzen und von Zwangsverpflichtungen abzusehen", sagt Hammerschmidt. „Die niedersächsische Politik kann und darf kein Interesse daran haben, dass der Eindruck eines Misstrauens gegenüber den Beschäftigten im Gesundheitswesen entsteht. Man braucht sie nicht zur Hilfe zwingen, Hilfe ist Teil ihres Berufsverständnisses – nicht nur in Pandemiezeiten. In diesem Zusammenhang werben wir für Vertrauen in die Beschäftigten. Sie haben dies mehr als verdient!“

Immerhin - Von der Beschneidung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit ist im Niedersächsischen Gesetzesentwurf keine Rede. Besonders dieser Teil erhitzte in NRW die Gemüter. Auch die Weiterleitung von Kontaktdaten an die Landesregierung, die in NRW vorgesehen war, findet sich im Gesetzesentwurf nicht, obwohl die entsprechende Durchsetzung einer solchen behördlichen Anordnung vermutlich auf das Gleiche hinauslaufen würde - auf dem Papier ist die Niedersächsische Fassung insgesamt deutlich "zahnloser" als ihr gescheiterter Vetter in NRW.

Der Wolfenbütteler Landtagsabgeordnete Frank Oesterhelweg.
Der Wolfenbütteler Landtagsabgeordnete Frank Oesterhelweg. Foto: Alexander Dontscheff



"Man muss das Richtige tun"


Der Wolfenbütteler Politiker und Landtagsvizepräsident Frank Oesterhelweg (CDU) sieht im Scheitern des in seiner Gesamtheit recht ähnlichen Gesetzesentwurfes in NRW kein Vorzeichen für Niedersachsen: "Wir machen Politik für Niedersachsen, nicht für NRW. Nur weil ein "ähnlicher" Entwurf dort gescheitert ist, also kein identischer, muss er ja nicht verkehrt sein." Der Politiker ist außerdem der Überzeugung, dass man Gegenwind auch mal aushalten müsse: "'Großen öffentlichen Protest' nehme ich sehr ernst. Trotzdem wären verantwortungsbewusste Politiker schlecht beraten, immer gleich bei einem solchen Protest einzuknicken, wenn sie von der Sache her überzeugt sind, das Richtige und Notwendige zu tun."

"Für uns ist die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen von allergrößter Bedeutung, und selbstverständlich auch die Gesundheit der in der Gesundheitswirtschaft tätigen Beschäftigten. Dies ist nicht verhandelbar!"

- Petra Emmerich-Kopatsch, Landtagsabgeordnete (SPD)



"Wir gehen von der Streichung dieser Passage aus"


Weniger überzeugt zeigt sich Petra Emmerich-Kopatsch (SPD), Landtagsvizepräsidentin und Abgeordnete aus Seesen: "Ich sehe nicht, dass dieser Paragraf tatsächlich mit dem Gesetz verabschiedet wird. Es wird im Rahmen der Beratung herausgenommen werden, zumal nicht notwendig, da bereits im Katastrophenschutz-Gesetz geregelt ist, dass jeder Mensch zur Mithilfe verpflichtet werden kann." Verfassungsrechtlich sehe sie im Gegensatz zum Marburger Bund keine Probleme, da die Regelung nur für einen Pandemiefall gelten würde.

Die Seesener Landtagsabgeordnete Petra Emmerich-Kopatsch.
Die Seesener Landtagsabgeordnete Petra Emmerich-Kopatsch. Foto: regionalHeute.de



Man habe jedoch ohnehin eine große Bereitschaft zum freiwilligen Einsatz bei den Gesundheitsberufen erlebt, sodass man auf eine Verpflichtung verzichten kann." Emmerich-Kopatsch schildert das weitere Vorgehen: "Die SPD-Landtagsfraktion diskutiert derzeit und wird die erste Anhörung abwarten, grundsätzlich gehe ich aber von der Streichung dieser Passage aus. Für uns ist die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen von allergrößter Bedeutung, und selbstverständlich auch die Gesundheit der in der Gesundheitswirtschaft tätigen Beschäftigten. Dies ist nicht verhandelbar."

"Katastrophen laufen nicht nach Drehbuch ab, deswegen wird es immer Defizite und vorübergehend die Einschränkung von Grundrechten geben."

- Frank Oesterhelweg, Landtagsabgeordneter (CDU)



Alles hat seine Reihenfolge


Auch Oesterhelweg plädiert für das Abwarten der Beratungen in dieser Angelegenheit: "Im Laufe der Diskussion und der Beratungen werden Für und Wider vorgebracht, dann wird angehört, diskutiert und abgewogen, dann ein Gesetz beschlossen ... und dann gegebenenfalls noch juristisch entschieden. Das ist die richtige Reihenfolge!"

Sollte es nach den umfangreichen Anhörungen am 4. Juni, bei denen auch Verbände ihre Bedenken äußern können und dem anschließenden Beschluss des Landtages verfassungsrechtliche Bedenken geben, "dann kann und muss die Angelegenheit vom Staatsgerichtshof geklärt werden. Das ist selbstverständliches und verbrieftes Recht aller Bürgerinnen und Bürger", erinnert Oesterhelweg und argumentiert: "Katastrophen laufen nicht nach Drehbuch ab, deswegen wird es immer Defizite und vorübergehend die Einschränkung von Grundrechten geben - die Pflicht zur Hilfeleistung für fachlich kompetente Personen kann dadurch nicht aufgehoben werden. Anderen Berufsgruppen wie Feuerwehrleuten, Polizisten und Soldaten geht es nicht anders."

Freiwilligkeit: Das Für und Wider


"Ich gehe davon aus, dass die abschließende Gesetzesvorlage ohne jede Verpflichtung verabschiedet wird", so das schlichte Fazit von Emmerich-Kopatsch. Auch Oesterhelweg halte eine freiwillige Lösung grundsätzlich für erstrebenswerter, wenn damit eine Gefahrenlage in den Griff zu bekommen sei. "Die Politik wäre allerdings schlecht beraten, aus den Erfahrungen der Corona-Krise keine Schlüsse zu ziehen und nicht für weitere, vielleicht viel schlimmere Krisenfälle vorzubeugen", abschließend nennt er ein Beispiel: "Wir kennen ein solches Vorgehen - jeder Vergleich, auch dieser, mag hinken - aus anderen Bereichen. So kann zum Beispiel in Gemeinden, in denen die örtliche Freiwillige Feuerwehr nicht mehr die notwendige Stärke erreicht oder sich beispielsweise auflöst, eine Pflichtfeuerwehr eingesetzt werden. Auch die Grundrechte der dann benannten Feuerwehrleute werden dadurch eingeschränkt."


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