Das Alte Haus: Eine Menü-Geschichte

von Andreas Molau




Das Alte Haus. Hier ist ein Menü wie eine Geschichte. Wir waren dabei und möchten einen kleinen Eindruck von den Protagonisten vermitteln.


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Die Mannschaft des Alten Hauses.[/image] Ein Menü ist eine Geschichte, ein Bild. Motiv, Plot, Entwicklung, Spannungskurve sind die Zutaten wie Farben und Formen. Charaktere reiben sich, tragen Konflikte aus, leiden, lieben. Es ist ein früher Abend in Braunschweig. Im Februar. Nicht Winter, nicht Herbst. Dunkler November in Dauerschleife. Die gefühlte Temperatur liegt immer unter dem realen Wert. Zu feucht, zu windig. Es ist halb sechs. Die Straßen sind überfüllt. Im Parkhaus Eiermarkt wird mal wieder gebaut. War das Ding nicht erst die ganze Zeit zu? Auf gut Glück in die Stadt. Tatsächlich. Am Altstadtmarkt gibt’s einen Parkplatz. Ein Wunder. Für fünfzehn Minuten besser doch ein Parkticket gezogen. Die städtischen »Fachkräfte« zum Aufspüren von Parksündern sind emsig. Die Straßenreinigung weniger. Splitt knirscht unter den eiligen Schritten. Der Tag – Termine, Telefonate, Ärger – ziehen in Gedanken vorüber. Da geht die Tür auf. Der Gastraum vom Alten Haus war noch verschlossen. Wir sind früh. Eine offene Geste, ein Lächeln. Die Geschichte dieses Abends hat längst das erste Kapitel geschrieben. Die Leinwand ist nicht mehr weiß.

Wir lassen uns überraschen

Wir lassen uns überraschen. Enrico Dunkel hatte nach dem letzten Treffen ein Essen vorgeschlagen. Kulinarisches Kennenlernen, nachdem wir so viel von diesem Menschen erfahren durften. Die Musik spielt im Hintergrund. Dezent genug, um das Gespräch nicht zu stören. Deutlich genug, um die Stille mit angenehmen Klängen zu erfüllen. Der Service heißt willkommen. Dunkelheit, Kälte und Stress verschwinden vor den Kulissen dieses Menüs, das mit einem Aperitif beginnt. Winterliche Anklänge von Zimt und Orange perlen im frischen Rieslingsekt. Zuerst Brot, etwas Butter und Schmalz dann ein großer geschwungener Löffel. Gruß aus der Küche. Wildschweinsülze mit Hagebuttengel. Fast ein Herbstgruß. Zart und aromatisch zergeht die Sülze auf der Zunge. Süßliche und ganz leichte Säure harmonieren perfekt miteinander. Spätestens jetzt ist man angekommen. Das Restaurant füllt sich allmählich. Ehepaare, jüngere und ältere. Eine Belegschaft vielleicht, die an einer Tafel die Tagesereignisse bewegt.

Entspannung und Anspannung

Entspannung und Anspannung. Was wird als nächstes kommen? Es ist ein Saibling. Erinnerungen an den längst vergangenen Urlaub am Starnberger See. Lauwarm wird er serviert mit einer salzigen Note. Darum herum gruppiert ein Ensemble von kleinen Hinguckern. Rote Beete, variiert als Gel, Baiser und Krokantblatt. Dazu Sellerie als Creme, in Salzkruste geschmort sowie Staudensellerie. Das erdig Süßliche der Roten Beete kontrastiert mit der Würzigkeit des Selleries, dessen Cremigkeit die leicht salzigen Noten des Saiblings umspielt. Der Riesling von der Nahe greift die Süße der Rübe auf und ergänzt sie mit dem knackigen Charakter der großartigen Traube. »Ein Teller und so viele Facetten des Geschmacks«, geht einem durch den Kopf. Diese Vorspeise regt an, stimmt ein, macht Lust. [wowslider id="147"]

Die Kunst der Zwischenräume

Auf den nächsten Teller zum Beispiel, der ein altes Thema ganz neu aufgreift. Das Ensemble von Entenvariationen ist als Müsli konzipiert. Es dominieren erneut Kontraste. Das knusprig Knackige in den Chips von der Entenhaut, mit dem gepoppten Getreide sowie einem anderen Riesling. Das Weiche, Harmonische von der Leber mit dem Entenleberschaum, dem Gel von Blutorangen und den marinierten Blutorangensegmenten. Die Südfrüchte finden sich in den Aromen des Weines wieder. Ein perfekter Traum, der Zeit zum Nachhall hat. Das Schönste an einem Kunstwerk, in der Musik kann man das vielleicht am besten erleben, sind die Räume zwischen den großen Motiven. Sie tragen die Melodie noch etwas, bis eine neue Idee kommt. Bei dem Menü im Alten Haus kündigt ein grauer Burgunder diese an. Er ist deutlich Säure betonter als die bisherigen Weine und hat ein Bouquet von frischen Birnen. Das stimmt ein auf eine Suppe, über der ein Spieß mit Garnelenfleisch liegt. Das Ganze duftet so verheißungsvoll, dass ich probiere, bevor der Fotoapparat einen bleibenden Eindruck vermitteln kann. Die bittere Artischocke vermittelt zwischen den milden Garnelen und einem süßen Schaum.

Form und Inhalt

Die Gespräche werden lebhafter. Man spricht über schöne Momente, gemeinsame Stunden. Die Geschichte hat längst eine Eigendynamik entwickelt. Man ist drin. Der Chardonnay aus der Pfalz erinnert mit dem Duft von Zitrusfrüchten an den letzten Italienurlaub. Das Zitronige ist in der Sauce und den Perlen aufgegriffen, die um den Skrei gruppiert sind. Die Nishiki Reiscreme zergeht auf der Zunge, eine besondere Alge nimmt den frischen Geschmack auf und kontrastiert gleichzeitig durch ihre knackige Konsistenz. Schon der blau gemusterte Teller ist ein Erlebnis. Mit viel Fantasie wird aus dem Muster ein Korbblütler. Sonne ist eingefangen, die sich mit den Tiefen des Meeres verbindet. Ein Sorbet von Birne, Zitrone und Bergamotte erfrischt im Zwischengang. Auch hier der Dessertteller, eine eigene Anfertigung für Enrico Dunkel, ein echter Hingucker. In einem Holzgestell ist die spitz zulaufende Glasschüssel frei beweglich.

Abstecher nach Italien

Ein Roter aus den Abruzzen läutet den Hauptgang ein. Ein Bouquet von Kirschen und Schokolade erdet. Und wieder kommen perfekte Harmonien auf den Teller. Das Piemonteser Kalb im Zentrum. Unsagbar zart. Das Tatar in einer extra Schüssel frisch. Dazu Cardoncelli Pilze eine »falsche« Marone und schwarze Knoblauchcreme, die das Beißende ihre Grundstoffes verloren hat. Die Sauce über dem Fleisch ist die Essenz alles Guten. Nussige, salzige Aromen. Alles greift ineinander und traurig, wer dazu nicht diesen Wein trinken könnte.  Zwei Desserts beenden das kulinarische Spektakel. Ein nachempfundener Bratapfel mit allen Erlebnissen eines behaglichen Winterabends, der von einer Riesling-Auslese in den Himmel gehoben wird. Und schließlich folgt ein Sauvignon Blanc, der wie eine ganze Stiege Maracuja duftet. Ein Kokos-Mango-Ei, daran muss Kolumbus gedacht haben, harmoniert mit einem Dessert von Kokos, Mango und Passionsfrucht.

Der Nachklang

Ein Menü ist eine Geschichte. Ein Theaterstück. Fast fünf Stunden hat das Ensemble auf der Bühne alles gegeben. Enrico Dunkel in der Küche mit seinem Mitarbeiter. Der Service am Tisch. Immer wieder kommt aber auch der Chef höchstpersönlich an den Tisch. Er tröpfelt etwa noch bei dem Bratapfel ein besonderes Aroma über das Kunstwerk, erklärt geduldig und freut sich. So, als würde er jetzt selbst genießen dürfen. Auf dem Rückweg zum Auto sind die Schritte trotz des opulenten Menüs viel leichter. Der Abend ist viel heller. Die gefühlte Temperatur viel angenehmer. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Manchmal ist es Genuss und Erlebnis. Im Alten Haus bestimmt. So etwas lässt sich gar nicht vergelten. Und lieber möchte man einmal, zweimal zwischendurch beim Essengehen einsparen, als sich so einen Abend entgehen lassen. Das Kulinarisch38-Porträt über das Alte Haus Das Alte Haus Alte Knochenhauerstraße 11 38100 Braunschweig Telefon: 0531 6180100.


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