Wahleinsprüche zurückgewiesen - Jetzt kann geklagt werden

Kurzfristig zog einer der Beschwerdeführer seinen Wahleinspruch zurück. Aus taktischen Gründen, wie sich herausstellte.

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Geteilte Abstimmung: Der Block der SPD (links), sowie FDP, AfD und die fraktionslosen Ratsmitglieder Niklas Prause und Henning Wehrmann stimmten für die Ablehnung der Wahleinsprüche.
Geteilte Abstimmung: Der Block der SPD (links), sowie FDP, AfD und die fraktionslosen Ratsmitglieder Niklas Prause und Henning Wehrmann stimmten für die Ablehnung der Wahleinsprüche. | Foto: Marvin König

Goslar. Mit einer Mehrheit von 21 zu 17 Stimmen hat der Rat der Stadt Goslar die Wahleinsprüche gegen die Wahl der künftigen Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner zurückgewiesen. Dabei hatte der Rat nur noch über drei von vier Wahleinsprüchen zu entscheiden. Der Linke Ratsherr Rüdiger Wohltmann hatte seinen Wahleinspruch im Vorfeld der Sitzung kurzfristig zurückgezogen. Die Beschwerdeführer können nun vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ratsentscheidung klagen.


Für die Verwaltungsvorlage, die eine Zurückweisung der Wahleinsprüche empfahl, stimmten neben SPD, FDP und AfD auch die fraktionslosen Ratsmitglieder Henning Wehrmann und Niklas Prause. Die 17 Stimmen für die Zulässigkeit der Einsprüche stammten von der CDU, der Gruppe "Grüne PARTEI 42" und der Linken. Dem Votum nach können die Beschwerdeführer jetzt binnen eines Monats gegen die Entscheidung des Rates vor Gericht ziehen. Klageberechtigt wären demnach die CDU-Verbände in Stadt und Landkreis sowie der Privatmann Uwe Zinkler. Axel Bender, Vorsitzender des Stadtverbandes in Goslar, schloss eine Klage gegenüber regionalHeute.de nicht aus. Man müsse sich jedoch zunächst beraten. Zu diesem Zweck, so Bender, habe er für den heutigen Mittwochabend eine Vorstandssitzung einberufen.


Ratsherr Rüdiger Wohltmann (Linke) zog seinen Wahleinspruch kurzfristig zurück - aus taktischen Erwägungen, wie er selbst erklärt. Grund dafür sei die Mandatsrückgabe durch SPD-Ratsfrau Urte Schwerdtner (regionalHeute.de berichtete), wodurch der für sie nachrückende Ratsherr Manfred Dieber einen Sitz und somit eine Stimme erhielt, wohingegen Schwerdtner als vom Wahleinspruch Betroffene nicht hätte abstimmen dürfen. Wohltmann hätte als Einsprucherheber - und somit ebenfalls Betroffener - ebenfalls nicht abstimmen dürfen: "Ich habe meine Stimme wieder gültig gemacht, weil ich mit einer sehr engen Entscheidung rechne."

Kann eine Wahl eingeklagt werden?


Die anwesenden Vertreter der CDU äußerten ihre Bedenken. Ohne gerichtliche Klärung, so der CDU-Ratsherr Axel Siebe, könnten künftige Bewerber auf das Amt des Oberbürgermeisters die Durchführung einer Wahl im Jahr 2026 einklagen. Allein um diese Möglichkeit zu vermeiden, sollte ein unabhängiges Gericht die Angelegenheit klären.

Was ist geschehen?


Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Goslar wählten am 12. September das neue Verwaltungsoberhaupt der Stadt Goslar. Nachdem keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hatte, ging es planmäßig zwei Wochen später in die Stichwahl zwischen Amtsinhaber Dr. Oliver Junk (CDU) und Urte Schwerdtner (SPD). Dort siegt Schwerdtner mit 63,8 Prozent der Stimmen eindeutig über den Amtsinhaber, soll aber erst im Januar ihr Amt antreten - statt im November.

Diese eine Besonderheit resultiert aus der Städtefusion mit Vienenburg im Jahr 2013. Dadurch wurden außerhalb der Reihe Neuwahlen nötig. Nach zwei Jahren im Amt wurde Junk (ohne Gegenkandidat) wiedergewählt und ist - als einer der letzten Oberbürgermeister mit einer Amtszeit von acht Jahren - bis heute im Amt. Das Land Niedersachsen verkürzte die Amtszeit von Oberbürgermeistern im Jahr 2013 für folgende Wahlen wieder auf fünf Jahre. Aufgrund der späten Amtseinführung sieht das Kommunalverfassungsgesetz vor, eine Wahl im Jahr 2026 zu überspringen, damit die Wahlen im Jahr 2031 in Niedersachsen wieder am gleichen Tag stattfinden. Aufgrund dieser Situation hätte der Rat eigentlich über den Wahltag entscheiden müssen. Dieses Versäumnis gestand die Stadt Goslar als "formalen Wahlfehler" ein. Ein Wahleinspruch kann aber nur dann Erfolg haben, wenn durch diesen Fehler ein wesentlich anderes Wahlergebnis zustande kommen würde. Eine Möglichkeit, die drei unabhängige Rechtsexperten ausschlossen, mit denen sich der Rat der Stadt Goslar im Vorfeld der gestrigen Ratssitzung beriet.

Fehlender Ratsbeschluss mit Folgen?


Ratsherr Siebe führte in seiner Rede auch ein vermeintlich unzusammenhängendes Urteil über die Nebeneinkünfte eines Hauptverwaltungsbeamten aus Bad Sachsa an, bei dem nur das Fehlen einer Ratsentscheidung einen großen Unterschied bei den anwendbaren Rechtsnormen und den entsprechenden Rechtsfolgen nach sich zog und schlägt eine Brücke zur Situation in Goslar. War es eine allgemeine Wahl, weil der Ratsbeschluss über den Wahltag fehlte? "Der Rat hat auch die Möglichkeit, den Wahleinsprüchen teilweise zuzustimmen. Hier könnte sich die Möglichkeit ergeben, die Wahl für ungültig zu erklären, wenn sie über den 31. Oktober 2026 hinausgeht", regt der Rechtsanwalt und Notar an - vergeblich.

"Ich sehe nicht, was eine Neuwahl bringen soll"


Ratsherr Niklas Prause (fraktionslos)
Ratsherr Niklas Prause (fraktionslos) Foto: Marvin König



"Eine Stimme gegen diese Vorlage wäre eine Stimme gegen diese Experten. Ich sehe nicht, was eine mögliche Neuwahl bringen soll."

- Ratsherr Niklas Prause (fraktionslos)



Sein Rededebüt vor dem Rat feierte am gestrigen Dienstag auch der 18-jährige Einzelkämpfer Niklas Prause, der es mit 839 Stimmen im September in den Stadtrat schaffte. Prause glaube nicht an einen Einfluss des formellen Fehlers auf die Wahl, dafür seien die kleinen Parteien bei der Oberbürgermeisterwahl zu unbedeutend gewesen und auch im Kampf zwischen SPD und CDU habe sich in zwei Wahlgängen ein klarer Vorsprung für die SPD-Kandidatin Schwerdtner ergeben. Er stimme daher für die Zurückweisung der Wahleinsprüche, auch wegen der von den Rechtsexperten bescheinigten Aussichtslosigkeit des Unterfangens und den möglichen Kosten für die Stadt im Falle eines Rechtsstreits: "Eine Stimme gegen diese Vorlage wäre eine Stimme gegen diese Experten. Ich sehe nicht, was eine mögliche Neuwahl bringen soll." Von der Hand zu weisen sei allerdings nicht, dass die Parteien möglicherweise andere Kandidaten aufgestellt hätten, wenn die überlange Amtszeit von fast zehn Jahren im Vorfeld bekannt gewesen wäre. Den großen Vorsprung von Schwerdtner, so Prause abschließend, hätten diese aber wohl auch nicht aufholen können.

"Grüne PARTEI 42" will gerichtliche Klärung


Sabine Seifarth (Grüne) bekräftigte für ihre Ratsgruppe "Grüne PARTEI 42" die Auffassung, dass der Rat als Organ mit dem Themenkomplex des Wahlfehlers zur rechtlichen Klärung ans Verwaltungsgericht herantreten sollte. Da der Hauptpunkt der Wahleinsprüche sich aber gegen die Lange Amtszeit Schwerdtners richtet, hält Rechtsanwalt Stephan Kahl (FDP) diesen Schritt für sinnlos: "Wir haben mittlerweile fünf bis sechs Juristen gehört, die das ganze beurteilt haben. Wir als Rat müssen juristisch in der Lage sein, das nach Einholung der Einschätzung von renommierten Verwaltungsrechtlern beurteilen zu können."

Stephan Kahl (FDP)
Stephan Kahl (FDP) Foto: Thomas Stödter


"Es wäre ein Armutszeugnis für die Fraktionen einzugestehen, dass die Kandidaten eigentlich B-Ware sind. Das finde ich den eigenen Kandidaten gegenüber auch eine bodenlose Frechheit."

- Stephan Kahl (FDP)



Dass über die Wahlzeit nicht aufgeklärt wurde, stelle keinen formellen Wahlfehler dar: "Mit normalem Menschenverstand eigentlich nicht begreiflich, dass die Aufklärung über die Wahldauer nicht zu den normalen Aufgaben eines Wahlleiters gehört. Aber es gibt eben keine formelle Regelung dazu." Ohne formelle Regelung sei die Wahlzeit an dieser Stelle auch nicht angreifbar, so Kahl. Weiter widerspricht er an einer Stelle auch den Ausführungen von Niklas Prause: "Zu dem Argument mit den anderen Kandidaten: Wo hätte man diese Kandidaten hergezaubert? Es wäre ein Armutszeugnis für die Fraktionen einzugestehen, dass die Kandidaten eigentlich B-Ware sind. Das finde ich den eigenen Kandidaten gegenüber auch eine bodenlose Frechheit."

"Keine Lust mehr auf diese Selbstbeschäftigung"


Für die Oberbürgermeister-Partei spricht der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Mahnkopf und lobt noch einmal den Vorschlag der FDP, deren Ratsherr Christian Rehse die Vertagung über die Wahleinspruchs-Entscheidung und die Beratung mit Rechtsexperten bei der konstituierenden Sitzung im November überhaupt erst ins Spiel brachte. "Insbesondere das offensichtliche Ziel der Wahleinsprüche, die Wahlzeit zu verändern oder zu begrenzen ist von allen drei Experten gleichlautend beantwortet worden: Der Rat kann keinen Einfluss auf die Dauer der Amtszeit nehmen. Über die Amtszeit entscheidet allein der Gesetzgeber, nicht die Kommune", leitet Mahnkopf ein und erklärt weiter: "Es kann und darf nicht Aufgabe der Stadt sein, noch immer, nicht nachvollziehbare Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Wahl unter der Überschrift: 'Was nicht sein soll, kann auch nicht sein' in Form einer Klage zum Verwaltungsgericht mit städtischen Mitteln zu finanzieren, zumal die Klage vor dem Verwaltungsgericht nicht der richtige Weg ist, um die gesetzliche Regelung zur Wahldauer zu überprüfen."

Martin Mahnkopf, Fraktionsvorsitzender der SPD. (Archivbild)
Martin Mahnkopf, Fraktionsvorsitzender der SPD. (Archivbild) Foto: Anke Donner



"Die Bürgerinnen und Bürger haben keine Lust auf diese politischen Spielchen und Selbstbeschäftigung."

- Martin Mahnkopf (SPD)



Den Einsprucherhebenden bleibe die Möglichkeit vorm Verwaltungsgericht zu klagen - allerdings auf eigene Kosten. Auch, dass an der öffentlichen Informationsveranstaltung zur rechtlichen Beurteilung der Wahleinsprüche kaum Bürgerinnen und Bürger teilgenommen hätten, spreche eine eindeutige Sprache: "Die Bürgerinnen und Bürger haben keine Lust auf diese politischen Spielchen und Selbstbeschäftigung. Sie wollen, dass wir jetzt gemeinsam mit der Sacharbeit beginnen."

Ein mögliches juristisches Nachspiel hätte im übrigen keine Folgen auf den Amtsantritt der neun Hauptverwaltungsbeamtin. Mit Wirkung zum 31. Dezember tritt Oliver Junk als Oberbürgermeister der Stadt Goslar ab. Am 1. Januar beginnt die Amtszeit der neuen Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner.


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