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101-Jährige trickst Polizei aus - Die Situation für Heime und Senioren im Video

Die 101-jährige Ursula Kibat ist Anfang April aus der Seniorenresidenz an der Wilhelmstraße geflüchtet um ihrer Tochter zu gratulieren - jetzt ist sie wieder in Isolation.

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Die 101-jährige Ursula Kibat war nach ihrer abenteuerlichen Flucht durch Braunschweig mithilfe der Polizei in aller Munde. Nach der Rückkehr in ihr Pflegeheim sei sie rundum zufrieden gewesen, wie die Einrichtungsleiterin berichtet. | Foto: aktuell24 / Video: aktuell24

Braunschweig. Am 6. April türmte die 101-jährige Ursula Kibat aus der Seniorenresidenz an der Wilhelmstraße und überzeugte Polizisten, sie zu ihrer Tochter zu bringen, die an diesem Tag Geburtstag hatte. (Die ganze Geschichte aus Sicht von Tochter Marianne Siemann) Ihre abenteuerliche Flucht wird laut Dirk Oppermann, Sprecher der Polizei Braunschweig für die Seniorin keine weiteren Konsequenzen haben - man nehme es mit Humor. Einrichtungsleiterin Eva-Johanna Breyer hat Verständnis für die Dame, schildert jedoch die großen Herausforderung für alle Beteiligten im Heim, welche die Corona-Krise mit sich bringt.


Breyer und ihr Team hätten erst durch den Anruf von Tochter Marianne Siemann davon erfahren, dass ihr Schützling Ursula Kibat das Haus verlassen habe. Nach dem ersten Schreck steht sie der ungewöhnlichen Aktion wohlwollend gegenüber: "Ich persönlich finde es gut. Es hat sich mal eine 101-Jährige über die Gesetze hinweg gesetzt und das Haus verlassen, um ihren eigenen Wünschen nachzukommen. Das darf man einer 101-Jährigen zugestehen" Ein Rätsel bleibt jedoch, wie die 101-Jährige dieses Abenteuer überhaupt meistern konnte: "Ich habe mich gefragt, woher sie die Kraft hat. Die Dame ist sehr klein und zierlich, und unsere Notausgangstür ist extrem schwierig aufzuschieben. Auch ich brauche einen gewissen Kraftaufwand, und wenn da noch einen Rollator vor sich herschiebt?" Von Erschöpfung sei bei Kibat nach ihrer Rückkehr ins Heim keine Spur gewesen. "Ich finde sie wirkt sehr glücklich, dass ihr Schachzug mit dem Abhauen geklappt hat", berichtet Breyer lächelnd: "Sie ist stolz drauf. Als sie zurückkam, meinte sie, dass es schön ist, wieder zu Hause zu sein, sie es aber auch sehr schön fand, ihre Tochter zu sehen und ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Sie war an dem Tag ein rundum glücklicher und zufriedener Mensch", fasst die Einrichtungsleiterin zusammen.

Hohe Belastung für Bewohner und Pflegende


Ein Kraftakt sei laut Breyer auch das Bewältigen der sozialen Folgen der Corona-Krise für alle Beteiligten in der Seniorenresidenz: Das ist für beide Seiten extrem belastend. Für die Bewohner, weil sie ihre Angehörigen nicht sprechen und sehen können." Für die Mitarbeiter ziehen sich die Einschränkungen ebenfalls durchs ganze Leben: "Für die Mitarbeiter ist es eine massive Einschränkung, weil sie die Hygienevorschriften auch im privaten Bereich weiter beachten müssen, damit sie nicht als Risikofaktor für die Bewohner gelten. Es ist für alle Seiten schwierig, aber wir bemühen uns."

Zur Abhilfe gegen die drohende Vereinsamung habe man sich schon einiges überlegt. So könne man inzwischen Videotelefonie per Skype für Bewohner und Angehörige anbieten, ebenso wie Begegnungen am Gartenzaun mit reichlich Abstand und Mundschutz, um auch den direkten Kontakt - zumindest eingeschränkt - zu ermöglichen.

Isolation führt zu Depressionen


Für die Hochrisikogruppen, wie sie in Seniorenresidenzen zu finden sind, gelten zurzeit besonders harte Einschränkungen. Zwar können sie sich innerhalb ihrer Einrichtung frei bewegen, dürfen diese jedoch nicht verlassen. Bei jeglichem Kontakt zur Außenwelt muss erneut eine zweiwöchige Isolation eingehalten werden, um jegliche Gefahr für die anderen Bewohner ausschließen zu können. Doch der Weg aus der Einrichtung lasse sich laut Breyer nicht immer vermeiden: "Es wird dann schwierig, wenn die Isolation sich durch einen zweistündigen Krankenhausaufenthalt um weitere 14 Tage verlängert." Die Einrichtungsleiterin nennt ein Beispiel: "Sie sind gestürzt, kommen für zwei Stunden ins Krankenhaus und haben dann wieder 14 Tage Isolation, von der sie gerade dachten, sie hinter sich zu haben." Diese Härte habe für das psychische Wohlbefinden der Bewohner bisweilen drastische Konsequenzen: "Das führt zu Depressionen bei den Bewohnern und da bedarf es einer Einzelbetreuung durch die Betreuer und Ergotherapeuten, die versuchen, diese Gefühle aufzufangen." Auch Ursula Kibat befindet sich nun wieder in 14-tägiger Quarantäne. Breyer hat jedoch den Eindruck, dass sich die Aktion für die Seniorin gelohnt hat: "Sie ist wirklich stolz darauf. Und das ist auch richtig so."

Polizei nimmt es mit Humor


Grundsätzlich seien Einsätze, bei denen orientierungslose Personen nach Hause gebracht werden für die Polizei etwas recht Alltägliches. "Dass wir aber als Taxi missbraucht werden, um der Tochter zu gratulieren, ist mir persönlich nicht bekannt gewesen", gesteht sich der Braunschweiger Polizeisprecher Dirk Oppermann ein und schildert den Einsatz aus Sicht der Polizei: "Die Kollegen wurden zu einem Einsatz in die Innenstadt gerufen, bei dem eine offensichtlich orientierungslose ältere Dame unterwegs war. Die Kollegen haben sie auch angetroffen und mit ihr gesprochen. Dabei stellte sich raus, dass die Dame 101 Jahre alt war." Die Beamten schlussfolgerten, dass die Dame wahrscheinlich aus der nahegelegenen Seniorenresidenz stamme.

Dies bestritt sie laut Oppermann jedoch vehement: "Das tat sie so eindrucksvoll und nachgiebig, dass die Kollegen das auch glaubten und sie nach Hause brachten." Die Tochter informierte die Beamten dann, dass sie sehr wohl im Altenheim lebe. Jedoch erst seit zwei Wochen. "Sie vermisste ihre Tochter. An dem Tag ganz besonders, weil da hatte die Tochter Geburtstag", so Oppermann weiter.

Immerhin konnte Kibat ihrer Tochter Marianne Siemann gratulieren: "Vor Ort konnten wir leider nicht so viel für die Dame zu tun. Natürlich hatte sie die Gelegenheit aus dem Auto heraus ihrer Tochter zu gratulieren. Die so ersehnte Umarmung konnten wir aufgrund des Besuchs- und Kontaktverbotes jedoch nicht zulassen." Anschließend brachten die Beamten die Seniorin zurück ins Altenheim. "Sie hat es geschafft, auch wenn sie leider ihren Plan nicht gänzlich vollenden und ihre Tochter in die Arme schließen konnte", schlussfolgert der Polizeisprecher. Die eingesetzten Polizisten hätten gerne geholfen: "Die Kollegen haben geschmunzelt und fanden die Situation nachvollziehbar. Sie haben ihr sehr gerne geholfen. Es war ja eigentlich eine schöne Situation."


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