12 neue Fälle gemeldet: Landeskirche kämpft weiter gegen Missbrauch

Nach der Veröffentlichung einer Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie haben sich weitere Betroffene gemeldet. Die Fälle würden vor allem die Regionen Königslutter, Salzgitter und den Harz betreffen.

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Symbolfoto | Foto: Pixabay/regionalHeute.de

Region. Die Landeskirche Braunschweig will die Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in ihrem Bereich weiter vorantreiben, heißt es in einer Pressemitteilung der Ev.-luth.Landeskirche in Braunschweig.



Jeder Fall sei einer zu viel, sagt Landesbischof Dr. Christoph Meyns, denn er zerstöre Leben. „Die Kirche aber muss dafür sorgen, dass Menschen vor sexualisierter Gewalt geschützt und Betroffene in den Mittelpunkt gestellt werden,“ so Meyns. Nach Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie im Januar hatte er Betroffene öffentlich ermutigt, sich bei den zuständigen Stellen zu melden, um ihren Fall bekannt zu machen: „Wir wollen uns der Verantwortung für geschehenes Leid stellen.“

Betroffene meldeten sich


Seitdem hätten sich bei der Landeskirche zwölf Betroffene neu gemeldet mit Vorfällen aus den Jahren zwischen 1949 und 1998. Außerdem sei es in zwei Fällen in jüngerer Zeit um Vorwürfe von Distanzverletzungen gegangen, die zu arbeits- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen geführt hätten, so der Landesbischof. Aktuelle Fälle seien nicht bekannt. Man würde sie jedoch konsequent Polizei und Staatsanwaltschaft übergeben.

Fünf der Betroffenen hätten sich bis jetzt an die Anerkennungskommission von Kirche und Diakonie in Niedersachsen-Bremen gewandt. Diese Kommission, die unter anderem mit externen Juristen besetzt ist, überprüfe Fälle, die zumeist juristisch verjährt sind. Sie entscheidet, in welcher Höhe Anerkennungsleistungen von der Kirche zu zahlen sind.

In den genannten Fällen hätten die Antragstellerinnen und Antragsteller Anerkennungsleistungen bis zu 50.000 Euro erhalten. Zum Teil seien Anträge noch nicht entschieden worden oder es wurden bisher keine gestellt.

Region besonders betroffen


Bei den Beschuldigten soll es sich um Personen handeln, die als Pfarrer oder Kirchenmusiker in der Landeskirche gewirkt haben und überwiegend mittlerweile verstorben oder hochbetagt und schwer krank sind. Die Fälle würden vor allem die Regionen Königslutter, Salzgitter und den Harz betreffen, heißt es weiter.

Selbst wenn aufgrund einer juristischen Verjährung keine strafrechtlichen Maßnahmen mehr möglich sind, können von der Kirche Disziplinarverfahren auch gegen Pfarrer im Ruhestand geführt werden. Sanktionen können bis zum Verlust der Ordinationsrechte und der Pensionsansprüche führen. In den betreffenden Fällen mussten Disziplinarverfahren allerdings eingestellt werden, da die betreffenden Personen nicht mehr verhandlungsfähig waren.

Auch die Kirchenleitung habe sich in früher Zeit nicht immer angemessen verhalten, so Landesbischof Meyns. Vorwürfe sexualisierter Gewalt hätten konsequent verfolgt werden müssen. Stattdessen habe die Leitung in einzelnen Fällen Rücksicht gegenüber Beschuldigten geübt und der Sorge vor einem Ansehensverlust der Kirche Vorrang vor den Belangen der Betroffenen eingeräumt. Dadurch habe die Kirche Schuld auf sich geladen: „Das müssen wir bekennen.“

Für die ForuM-Studie hatte die Landeskirche Braunschweig alle rund 2.500 Personalakten von Pfarrerinnen und Pfarrern von 1946 bis 2020 ausgewertet. Dabei waren 15 Fälle unterschiedlicher Art aus der Vergangenheit ermittelt worden. Darunter Verdachtsfälle ohne ausreichende Gewissheit ebenso wie Fälle von außerehelichen Beziehungen zu minderjährigen Frauen sowie ein Fall nach Paragraph 175 StGB (sexuelle Handlungen zwischen Männern).

Hinzu kamen acht Fälle, die ebenfalls bereits von der niedersächsischen Anerkennungskommission bearbeitet worden waren. Dabei handelte es sich um fünf Fälle aus Heimen und Krankenhäusern in diakonischer Trägerschaft und drei aus Kirchengemeinden. Auch hier erhielten betroffene Personen finanzielle Leistungen sowie weitere Hilfeleistungen, wie Zuschüsse zu Kuren und Therapiekosten.

Maßnahmen der Kirche


Angesichts dieser Erkenntnisse habe die Landeskirche Braunschweig verschiedene Maßnahmen ergriffen: So hat 2023 eine neue Fachstelle Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ihre Arbeit aufgenommen, an die sich Betroffene wenden können. Die Fachstelle ist unter anderem erreichbar über die Internetpräsenz www.praevention-lk-bs.de. Hier findet sich auch ein umfangreiches Informationsangebot.

Bereits 2022 ist ein Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in Kraft getreten. Es soll vor allem Kinder, Jugendliche und Heranwachsende noch besser schützen. Auf dieser Grundlage finden in allen Bereichen der Landeskirche Schulungen zum Thema statt. Alle beruflich Beschäftigten und ehrenamtlich Mitarbeitenden sind verpflichtet, daran teilzunehmen. Außerdem werden konkrete Schutzkonzepte für die jeweiligen Bereiche erarbeitet.

Nicht zuletzt wird derzeit eine neue unabhängige Aufarbeitungskommission für Niedersachsen und Bremen aufgebaut, die Anfang 2025 ihre Arbeit aufnimmt. Sie soll Strukturen identifizieren, die in der evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt ermöglichen, begünstigen oder deren Aufdeckung erschweren. Außerdem hat sie die Aufgabe, den administrativen und verfahrensrechtlichen Umgang mit Betroffenen zu untersuchen.

Für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema sind drei Veranstaltungen im Oktober und November sowie im Februar 2025 vorgesehen. So findet am 29. Oktober im Theologischen Zentrum Braunschweig eine Akademieveranstaltung zur ForuM-Studie statt. Dort werden neben Landesbischof Meyns der Leiter des Forschungsverbundes ForuM, Prof. Dr. Martin Wazlawik (Hannover), Theologieprofessor Dr. Notger Slenzka (Berlin) sowie Pfarrer Matthias Schwarz (Pohlheim) als Betroffener erwartet.

Und am 21. November steht das Thema auf der Tagesordnung der Landessynode im Hotel Königshof in Königslutter. Geplant ist außerdem ein Fachtag für Landessynodale am 8. Februar 2025. Landesbischof Meyns ruft Betroffene weiter auf, sich an die zuständigen Stellen zu wenden, um ihren Fall bekannt zu machen.


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