480 Tage Zeit für Kinder: Was wir von Schweden lernen können


„Für die Schweden ist Familie alles“, sagt der deutsche Auswanderer Alexander Marek. Symbolfoto: pixabay
„Für die Schweden ist Familie alles“, sagt der deutsche Auswanderer Alexander Marek. Symbolfoto: pixabay | Foto: pixabay

Ein riesiges Land mit wenigen Einwohnern – in Schweden müssen alle mit anpacken, damit die Wirtschaft wächst. Deshalb ist Familienpolitik hier Wirtschaftspolitik. Die Geburtenrate ist viel höher als in Deutschland. Und 86 Prozent aller Mütter sind berufstätig. Der deutsche Architekt Alexander Marek (45), der mit seiner Familie seit vielen Jahren in Stockholm lebt, erklärt das schwedische Erfolgsrezept.


von FOCUS-Online-Autor Ralph Grosse-Bley

Ziemlich erholt sieht der gebürtige Heidelberger aus, der mit zwei Partnern im Stockholmer In-Viertel Södermalm ein Architekturbüro (elf Angestellte) leitet. „Ich war mit der Familie gerade sieben Wochen in den Ferien – in der Toskana und in Finnland.“

Vier Wochen Urlaub am Stück


Sieben Wochen Urlaub im Sommer. Als Selbständiger. In Deutschland musst du dafür reich oder verrückt sein. Oder besser beides. Alexander Marek (45) ist es weder noch. Er ist Familienvater. Mit seiner Ehefrau (Finnin) hat er drei Töchter (12, 10, 5). Die Kinder haben zehn Wochen Schulferien im Sommer. Und jeder Schwede hat gesetzlich Anspruch auf mindestens vier Wochen Urlaub am Stück zwischen Juni und August. Da haben die Mareks einfach noch ein paar Tage vom Kinder-Konto drauf gepackt.

Das, was in Deutschland das Elterngeld ist, funktioniert in Schweden so: Für jedes Kind gibt es 480 (Arbeits-)Tage Elterngeld. Diese Tage können die Eltern acht Jahre lang in Anspruch nehmen, wie sie wollen. Vielleicht mal 150 Tage am Stück, mal 20 Tage, mal zehn – oder auch mal nur einen halben. „Das ist viel besser als in Deutschland“, sagt Marek, der vor gut 20 Jahren zum ersten Mal nach Schweden kam und 2002 dann auswanderte. Dass er auch als Unternehmer Elternzeit beanspruchen kann, das ist für ihn Lebensqualität.
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FOCUS-Online Autor Ralph Grosse-Bley (l.) beim Gespräch mit Alexander Marek. Foto: FOCUS Online



2012 war die Familie noch einmal für zwei Jahre in Deutschland, aus beruflichen Gründen. Die jüngste Tochter kam zur Welt – und Marek war unzufrieden: „Ich hatte fast nichts mehr von den Kindern, bin zu diesem typischen Wochenendvater geworden.“ Dieses deutsche Kind-oder-Karriere-Raster, das nervt ihn. Und erst recht das Gefühl, „dass man sich für seine Kinder schämen muss“.


In Schweden schämt sich keiner für seine Familie. „Die  ist der Grund für eine Gesellschaft“, sagt Marek. Und in  dieser Gesellschaft arbeiten so ziemlich  alle. „Wenn ich jemanden einstelle, ist es mir egal, ob es ein  Mann oder eine Frau ist. In Deutschland war die Entscheidung  bei zwei  Kandidaten schon eine andere.“ Wenn in Schweden  Nachwuchs  kommt, dann  ist die Frau nicht raus – dann teilen  sich die Eltern die 480 Tage – und arbeiten weiter.

Wie das funktioniert? „In Schweden übernimmt der Staat die Erziehung und  Betreuung, damit eben beide Eltern arbeiten können“, sagt Marek. „Außerdem ist die Struktur vielerorts  so, dass alle Positionen doppelt besetzt sind.“ Gleiche Voraussetzungen für alle. Das ist der Kern dieses Landes.

Jeder zahlt Steuern nur für sich


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Der Schwede Alexander Marek bei der Arbeit. Foto: Ralph Grosse-Bley/Focus Online



Der Staat schert sich nicht darum, ob Eltern verheiratet sind oder nicht. Es gibt keine steuerlichen Anreize für Ehepaare. Sie werden nicht gemeinsam veranlagt, jeder zahlt Steuern nur für sich. Das hat den Vorteil, dass kein gut verdienender Mann auf die Idee kommen kann, wie in Deutschland die günstige Steuerklasse 3 zu nehmen, und die Ehefrau in die ungünstige Steuerklasse 5 zu schieben. Damit die Frau erst recht das Gefühl hat, ihre Arbeit sei wenig wert. “Die Frauen haben hier ein ganz  anderes Selbstvertrauen“, sagt Marek.

So kommt es, dass die Geburtenrate in Schweden 2016 bei 12,1 lag (Lebendgeborene pro 1000 Einwohner) und in Deutschland nur bei 8,6. Und so guckt den Unternehmer Alexander Marek auch niemand  schräg an, wenn er sich mal früh aus einer wichtigen geschäftlichen Besprechung verabschiedet, weil er seine Kleine aus dem Kindergarten abholen muss: „Da fragt keiner, wo denn die Mutter ist.“

In der Firma ist es für Marek in den letzten Jahren gut gelaufen. Es ist viel gebaut worden, die Schweden kauften wie verrückt Immobilien. Marek: „In Schweden wird nicht infrage gestellt, wenn man seine Hauskredite nicht tilgt.“ Reihenhäuser, die Mareks Büro entworfen hat, sind binnen eines Jahres 100.000 Euro teurer geworden. „Da hätte ich vielleicht selbst eins kaufen sollen“, sagt Marek und lacht. Hat er aber nicht und so lebt er auf einer kleinen Insel in der Mitte Stockholms, direkt am Wasser.

„Für die Schweden ist Familie alles“


Aktuell beschäftigt ihn ein Prestigeprojekt in einem denkmalgeschützten Bau in bester Stockholmer Lage, wo der Quadratmeter Wohnfläche später mal gut 20.000 Euro kosten soll. Daneben plant Marek viele andere Projekte im Wohnbau, aber auch städteplanerisch, in denen oft soziale Aspekte im Vordergrund stehen.

Das Geschäft brummt, die Familie ist happy. Gibt es denn da nichts, was Marek vermisst? „Doch, die Berge fehlen mir und die Familie in Deutschland!“ Und vielleicht sind auch die sozialen Kontakte zu den eher kühlen Schweden noch ausbaufähig. Nachbarn, denen Marek auf der Straße, im Supermarkt oder sonstwo begegnet, nehmen ihn manchmal gar nicht wahr. „Das ist komisch, aber für die Schweden ist die Familie alles, da bleibt man gern unter sich.“

Das hat Marek auch gemerkt, als er für den Kindergarten seiner Tochter mal ein Fest anregte. „Jeder sollte was zu essen mitbringen.“ Für ein großes buntes Buffet. „Aber dann haben alle da gesessen und nur gegessen, was sie selbst mitgebracht haben.“

In Schweden will er trotzdem bleiben. Die Zeit in Deutschland hat den Mareks gezeigt, wo sie hingehören. In Heidelberg hatte Mareks Frau, eine  Psychologin, Probleme, einen guten Arbeitsplatz mit vernünftiger Bezahlung (in der ungünstigen Steuerklasse 5) zu finden. „Dazu kam noch die Verantwortung für die Kinder, und ich war nie da - das hat unsere Ehe  auf eine Probe gestellt.“ Die Probe haben sie  gemeistert  - aber die Erkenntnis der Mareks  war: “So lange das System in Deutschland  solche Abhängigkeiten schafft, ist an eine  Rückkehr nicht zu denken.“ Gleichberechtigung, das scheint der Schlüssel zum Glück.

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