Amazon Verteilzentrum: Was blüht uns mit dem US-Versandriesen?

Verstopft Amazon die Straßen in der Region? Und wie werden die Mitarbeiter behandelt? Im Vorfeld des neuen Amazon-Verteilzentrums in Broistedt kommen viele Fragen auf.

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Droht Peine der Verkehrsinfarkt durch Amazon? (Symbolbild)
Droht Peine der Verkehrsinfarkt durch Amazon? (Symbolbild) | Foto: Pixabay

Lengede/Broistedt. Seit vergangenem Freitag ist es in Stein gemeißelt: Amazon errichtet sein zweites Verteilzentrum in der Region. Neben dem "Umschlagplatz" in Salzgitter-Bad wird nun auch ein 32.000 Quadratmeter großes Areal im Gewerbegebiet Lengede-Broistedt durch den US-Versandriesen bebaut. Anwohner und Anlieger äußern sich zurückhaltend bis skeptisch - auch von der Gewerkschaft ver.di hagelt es Kritik.


Eine Anliegerin des zurzeit noch leeren Geländes in Broistedt, die namentlich nicht genannt werden möchte macht sich vor allem Sorgen wegen des Verkehrs: "Ein unglaublicher Lärm durch die ganzen Zubringer und LKW", erzählt sie mit Verweis auf einen Kunden, der an einem DHL-Logistikzentrum in Salzgitter-Bad wohnt. Sie selbst habe erst durch die Medien von Amazons Plänen in dem kleinen Gewerbegebiet erfahren. "Die Biogasanlage wurde uns ja auch einfach vor die Nase gebaut", winkt sie ab. Andere Anlieger äußerten sich zurückhaltender. Begeisterung oder Wohlwollen war ihnen jedoch beim besten Willen nicht anzuhören.

Droht der Verkehrsinfarkt?


Die zusätzlichen Verkehrsströme durch Amazon werden nach Ansicht des Grünen Lengeder Ratsherren Bernd Hauck vor allem den Knotenpunkt zwischen der Carl-Zeiss-Straße und der Kreisstraße 74 erheblich belasten. Die Anlieferung der Pakete aus den Logistikzentren erfolge vor allem nachts - Zahlen von Amazon zufolge erwarte man im Schnitt zirka 18 LKW-Ladungen Pakete pro Nacht. "Die LKW sind gleichmäßig über die Nachtstunden verteilt, also zirka zwei LKW pro Nachtstunde. Vormittags rechnen wir mit etwa 230 Vans unserer Lieferpartner. Diese treffen in Wellen ein, werden beladen und in kleinen Gruppen auf die Straßen geschickt", so Amazon-Sprecherin Nadiya Lubnina im Gespräch mit regionalHeute.de. Als Spitzenwert weist die Pressesprecherin 57 LKW pro Nacht (5 LKW pro Stunde) aus. Für die "letzte Meile" an den Kunden müssen zusätzlich zwischen 230 und 600 kleineren Transportern das Logistikzentrum anfahren und wieder verlassen.

Was zunächst nach viel klingt, möchte Ulrich Jablonka, Ortsbürgermeister von Broistedt in Perspektive setzen: "Wenn wir auf 32.000 Quadratmetern mehrere mittelständische Unternehmen angesiedelt hätten, kämen da sicherlich auch schnell über 350 Fahrten pro Tag zusammen." Außerdem, so die Überzeugung des Ortsbürgermeisters, führen die Transporter ja auch nicht alle auf einmal. Weiterhin gibt er zu bedenken: "Der größte Teil wird ja auch nicht durch Wohngebiete fahren, sondern über die Umgehungsstraße nach Braunschweig." Amazon selbst betont, dass man mit intelligenten Routenplanern arbeite und gibt sich selbstbewusst in Sachen "Verkehrsströme":

"Wir glauben, dass wir eines der effizientesten Logistiknetzwerke aller Einzelhändler haben."

- Nadiya Lubnina (Amazon-Pressesprecherin)



Zur Begründung heißt es: "Dadurch, dass erfolgreiche Zustellung ab erstem Versuch ein wichtigstes Erfolgskriterium für unsere Verteilzentren ist, sorgt Amazon für weniger Verkehr rund um Verteilzentren, also auch in den Innenstädten." Ratsherr Bernd Hauck sieht das etwas anders: "Die Ergebnisse des von der Gemeinde geforderten und von Amazon beauftragten und bezahlten Verkehrsgutachtens für die schon heute stark belastete Kreuzung haben das Landesstraßenbauamt Wolfenbüttel und die Straßenverkehrsbehörde des Landkreises Peine zu kritischen Stellungnahmen veranlasst, die sie erst nach „ergänzenden Erläuterungen“ der Gutachter zurückgezogen haben." Amazon selbst und Ortsbürgermeister Jablonka berufen sich auf dieses Gutachten, welches dem Verteilzentrum in Broistedt "erträgliche" Auswirkungen auf den Verkehr bescheinige.

Arbeitsplätze in Qualität und Quantität


Der Lengeder Grünen-Ratsherr Bernd Hauck kritisiert den Grundstücksverkauf der Gemeinde an den Versandriesen: "Die geringe Arbeitsplatzdichte von 80 Arbeitsplätzen auf 8.000 Quadratmetern würde von jedem mittelständischen Gewerbebetrieb überboten. Das heißt, hier ist eine wertvolle Gewerbefläche veräußert worden, ohne dass der Ertrag an Arbeitsplätzen in angemessener Relation zur Größe der veräußerten Fläche steht." Der Broistedter Ortsbürgermeister Ulrich Jablonka sehe den Vorteil jedoch nicht unbedingt in der Masse, sondern auch in der Vielfalt der gebotenen Arbeitsplätze: "Wir sind froh, dass wir so ein Unternehmen nach Broistedt locken konnten", konstatiert Jablonka und argumentiert: "Auch ungelernte Kräfte brauchen schließlich Arbeitsplätze." Amazon böte diese seiner Meinung nach. Auch für das örtliche Logistikgewerbe böten sich Chancen.

Mitarbeiter unter Druck


An der Qualität der Arbeitsplätze hegt Sandra Schmidt, Gewerkschaftssekretärin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Landesfachbereich Handel jedoch ihre Zweifel: "Amazon geht vor allem da hin, wo die Arbeitslosenquote hoch ist. So lässt es sich leichter rekrutieren", erklärt die Gewerkschafterin. "Das Einstiegsgehalt liegt zwar über Mindestlohn, das muss man Amazon zugestehen. Aber dann geht es halt auch nicht mehr weiter nach oben." Besonders kritisch sei dies im Zusammenhang mit dem immensen Leistungsdruck zu sehen, der in den Logistikzentren herrsche. "Ein Algorithmus gibt die Arbeitsbedingungen vor. Es wird exakt verglichen, wie viele Pakete wurden gestern bearbeitet, wie viele heute. Und wenn die Schlagzahl nach unten geht, gibt's ein Gespräch mit dem Vorgesetzten", so die Gewerkschafterin.

"Krank sein darf man sich in der Probezeit bei Amazon nicht leisten."

- Sandra Schmidt (Gewerkschaftssekretärin bei ver.di)



Besonderes Anliegen der Gewerkschaft sei, endlich den Abschluss von Tarifverträgen für die Angestellten zuzulassen: Schmidt: "Uns geht es nicht darum, das Verteilzentrum zu verhindern. Wir fordern für die Mitarbeiter faire Arbeitsbedingungen mit guten Tarifverträgen."

"Amazon ist sicher einer der besten Arbeitgeber"


"Wir zahlen am oberen Ende vergleichbarer Jobs", entgegnet die Unternehmenssprecherin Lubnina auf den Vorwurf der Gewerkschaft und fügt hinzu: "Außerdem bieten wir Zusatzleistungen und hervorragende Möglichkeiten zur Weiterentwicklung." Man sei stolz darauf, ein sicheres und positives Arbeitsumfeld für alle Mitarbeiter anzubieten. "Geschichten über Arbeitsbedingungen in unseren Logistikzentren sind ungenau und irreführend", konstatiert die Sprecherin und bezieht sich damit auf die Berichte über den extremen Leistungsdruck im Amazon-Versand. Man habe - wie in allen Unternehmen - natürlich auch Erwartungen an die Leistung der Mitarbeiter. Lubnina hierzu: "Bei uns werden Produktivitätsrichtwerte nach objektiven Gesichtspunkten festgelegt und über längere Zeiträume evaluiert. Hierbei wird insbesondere auch die durchschnittliche Leistung der Belegschaft selbst berücksichtigt." Dass es eine Überwachung der Mitarbeiter gebe, verneint die Sprecherin. Sie beschreibt das Verhältnis zu den Mitarbeitern als "Förderung und Coaching". Zum Thema Tarifverträge gibt Amazon jedoch keine Stellungnahme ab.

Einfach mal selbst bei Amazon reinschnuppern?


An Amazon scheiden sich offensichtlich die Geister. Das Unternehmen selbst möchte aber keinesfalls als Unternehmensriese im Geheimen agieren: "Fragen sie einfach die über 8.000 Kollegen, die seit mehr als fünf Jahren bei uns sind und jeden Tag hervorragende Leistungen für die Kunden erbringen", lädt Lubnina ein. "Wir ermutigen jeden, selbst hinter die Kulissen zu blicken und unser Logistikzentrum zu besuchen." Tatsächlich kein leeres Versprechen - Führungen durch ein bestehendes Logistikzentrum lassen sich bei dem Konzern ganz bequem online buchen. Inwiefern diese Führungen dann einer realistischen Darstellung der Arbeitsbedingungen bei Amazon entsprechen, wird man selbst beurteilen müssen.


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