Auswandern ins Chaos: Wie ein Paar aus der Region in den USA landete

Als Frieda Kage und Philipp Fricke 2019 in die USA auswanderten, schien die Welt noch in Ordnung. Sie trat ihre Stelle an der Elite Uni Dartmouth an, er fand einen Job in einem Industrieunternehmen. Etwas mehr als ein Jahr später brachen jedoch Corona und die US-Wahlen über die beiden herein. Ein Gespräch über das Auswandern in chaotischen Zeiten.

von


Philipp Fricke und Frieda Kage sind im Februar 2019 in die USA ausgewandert.
Philipp Fricke und Frieda Kage sind im Februar 2019 in die USA ausgewandert. | Foto: privat

Braunschweig/New Hampshire. Im Februar 2019 starteten Philipp Fricke und Frieda Kage ins Abenteuer Amerika. Kage, die zuvor am Helmholtz-Institut für Infektionsforschung als Wissenschaftlerin tätig war, hatte ein Forschungsstipendium am Ivy-League College Dartmouth in New Hampshire erhalten. Fricke, der zuvor in Schöningen gewohnt hatte, folgte seiner frisch angetrauten Frau ins Land der ungeahnten Möglichkeiten. Ein Jahr lang ging alles seinen Lauf. Dann, im März 2020, brach das Coronavirus über die USA herein. Ein Gespräch über das Auswandern, den Blick auf Deutschland und ein gespaltenes Land.


So viel, erzählen Frieda Kage und Philipp Fricke, bekämen sie in ihrem Dorf in New Hampshire von den chaotischen Zuständen im Rest des Landes nicht mit. Natürlich hätten sich einige Sachen geändert, die nachbarschaftlichen Feiern am nahegelegenen See fänden nicht statt, überhaupt sei das soziale Leben nicht mehr so ausgeprägt. Ansonsten sei COVID19 in New Hampshire einigermaßen unter Kontrolle. Auch, weil Frieda Kages Arbeitgeber, die Elite Uni Dartmouth, eng mit Kommunen und Bevölkerung zusammenarbeite. Überhaupt, so das Ehepaar, seien sie glücklich, in dieser Ecke der USA gelandet zu sein.

Das Dartmouth College zählt zum elitären Kreis der Universitäten der Ivy League, wie etwa Harvard oder das MIT. Die Molekularbiologin Frieda Kage forscht hier an Bestandteilen von Zellen.
Das Dartmouth College zählt zum elitären Kreis der Universitäten der Ivy League, wie etwa Harvard oder das MIT. Die Molekularbiologin Frieda Kage forscht hier an Bestandteilen von Zellen. Foto: pixabay


New Hampshire liegt in New England, den historischen englischen Kolonien, und ist entsprechend sehr europäisch geprägt. Sowohl die Städte, als auch die Landschaft könnten genauso in Europa liegen, auch die Kultur Neu Englands unterscheidet sich weniger von Mitteleuropa, als etwa im Süden oder im mittleren Westen. Die Umgewöhnung fiel also nicht allzu schwer. Das Paar wohnt in einem Haus an einem großen See, das Dorf ist von Wald umgeben. Von Anfang an sei die Stimmung fast freundschaftlich gewesen, Nachbarn und Vermieter immer hilfsbereit. Man hält zusammen im Dorf. Die "Neuen" wurden herzlich aufgenommen. "The Germans" fühlten sich von Anfang an wohl.

Auf der Arbeit wurde die beiden geschätzt, Fricke werde wegen "Deutscher Gründlichkeit" abwechselnd als hilfreich und zu penibel gesehen. Er und seine Frau hätten sich auch deswegen schnell in ihr neues Umfeld integrieren können. Vor der Pandemie habe Fricke bereits eine Fußballmannschaft in einem nahegelegenen Ort trainiert. Die Deutschen, erzählen die beiden, haben nach wie vor einen guten Ruf auf der anderen Seite des Atlantiks.

Ein gespaltenes Land


Auch als die beiden 2019 frisch verheiratet in die USA kamen, saß Donald Trump schon im Weißen Haus. Von der viel beschworenen Spaltung des Landes habe man damals allerdings nicht so viel mitbekommen. Am Dartmouth College sowieso nicht, berichtet Kage. Die Uni sei im sowieso eher demokratisch geprägten New Hampshire noch einmal herausragend. Bei Philipp Fricke, der sein Geld in einem Industrieunternehmen verdient, für das er Maschinen programmiert und wartet, sähe das etwas anders aus. Hier seien mehr Republikaner zu finden. Die Firma verbietet allzu offene politische Statements während der Arbeitszeit jedoch. Um des lieben Friedens willen.

Die politische Kultur in den USA, auch in Neu England, war für die Ex-Braunschweiger ohnehin ein völlig neues Feld. Über acht Monate seien die Medien völlig von Wahlkampf und COVID19 dominiert gewesen, kaum ein anderes Thema habe es auf die Tagesordnung geschafft. Die politische Positionierung sei sehr viel öffentlicher. Bei vielen Haushalten stehe gar ein Schild des bevorzugten Präsidentschaftskandidaten im Vorgarten. In Deutschland fast undenkbar. In ihrem Umfeld habe das Paar erlebt, wie Familien an politischen Themen fast zerbrochen seien.

Corona und der Blick auf Deutschland


Bereits im März hatte New Hampshire als Bundesstaat einen sechs Wochen andauernden Lockdown erlassen, in enger Absprache mit den Universitäten des Staates. Entsprechend milde fällt die Pandemie in dem Bundesstaat aus. Lockerungen, wie in Deutschland habe es aber über den Sommer nicht gegeben, jedenfalls nicht in dem Maße. Stattdessen sei auch Frieda Kages Arbeitgeber weiterhin in Kontakt mit der Bevölkerung, veranstaltete digitale Townhall Meetings, bei denen die Bevölkerung auf den aktuellen Stand gehalten werden, auch ein Newsletter werde verschickt. Deswegen und auch wegen des hohen Bildungsniveaus glauben die beiden, sei die Bevölkerung derart diszipliniert.

Das Dorf, in dem das Ehepaar lebt, liegt zwischen einem See und tiefen Wäldern in New Hampshire. Diesen See haben die beiden quasi vor der Tür.
Das Dorf, in dem das Ehepaar lebt, liegt zwischen einem See und tiefen Wäldern in New Hampshire. Diesen See haben die beiden quasi vor der Tür. Foto: privat


Die Präventionsmaßnahem seien entsprechend vielfältig. Wo bei Frickes Arbeitnehmer vor dem Betreten des Unternehmensgeländes bei jedem Angestellten Fieber gemessen würde, teste die Dartmouth Universität wöchentlich ihre Mitarbeiter. Selbst die Studenten der Uni würden regelmäßig getestet, hätten sogar unterschreiben müssen, dass sie sich impfen lassen würden, sobald ein Impfstoff zu Verfügung stünde. Der Betrieb konnte an der Uni dadurch schnell wieder aufgenommen werden.

Frieda Kage ist Molekularbiologin und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit den Bestandteilen von Zellen. Die zuvor am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig angestellte Wissenschaftlerin hat wenig Verständnis für das, was in Deutschland vor sich gehe. Nicht nur, dass die Zahlen derartig in die Höhe schnellen, auch den Widerstand gegen den Infektionsschutz kann sie kaum nachvollziehen. Zu Anfang der Pandemie, erzählt sie, hätten die Amerikaner vor allem Deutschland und Südkorea als Vorbilder gesehen. Sie habe mit Stolz über Maßnahmen ihres Heimatlandes sprechen können. Das habe sich mittlerweile geändert. Deutschland würde nicht mehr als Vorbild dienen, würde an manchen Stellen sogar als Negativbeispiel herangezogen.

Kage und Fricke wurden herzlich in ihrer Gemeinde aufgenommen. Bevor die Corona-Pandemie die USA erreichte, fanden am See regelmäßig Feiern der gesamten Nachbarschaft statt. Das änderte sich im März schlagartig. Pandemie und Wahlkampf hielten im beschaulichen New Hampshire Einzug.
Kage und Fricke wurden herzlich in ihrer Gemeinde aufgenommen. Bevor die Corona-Pandemie die USA erreichte, fanden am See regelmäßig Feiern der gesamten Nachbarschaft statt. Das änderte sich im März schlagartig. Pandemie und Wahlkampf hielten im beschaulichen New Hampshire Einzug. Foto: privat


Deutschland würde als Beispiel dafür genommen, wie Lockdowns und Beschränkungen nichts brächten, immerhin gingen die Zahlen trotz allem in die Höhe. Über die stellenweise fehlende Disziplin, Maskenverweigerer und Öffnungen würde, wenn überhaupt nur am Rand gesprochen. In New Hampshire dagegen seien weiterhin strenge Grenzen gesetzt, die Bevölkerung sei jedoch diszipliniert, auf Verstöße werde schnell hingewiesen, auch von der Bevölkerung. Das helfe ungemein.

Zwischen Amerika und Schöningen


Auch, wenn das Ehepaar sich trotz allem gut in den USA eingelebt hat, haben die beiden doch Heimweh. Beide haben Familie und Freunde in Deutschland zurückgelassen, gerade Fricke war beim FSV Schöningen ehrenamtlich als Trainer, Funktionär und Spieler aktiv. Ohnehin sei ihr Visum an Kages Arbeitsplatz gebunden. Die Möglichkeit in Dartmouth zu arbeiten habe sie über ein Fellowship-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen. Und eine Möglichkeit an einer Uni der sogenannten "Ivy-League" zu arbeiten, lässt man sich eben nicht entgehen.

Und doch ist ihre aktuelle Arbeitsstelle auf maximal fünf Jahre begrenzt. Danach läuft das Stipendium endgültig aus. Ursprünglich war es sowieso nur auf zwei Jahre begrenzt, die DFG hat bereits einer halbjährigen Verlängerung zugestimmt. Alles Weitere läge in den Händen der DFG und dem Dartmouth College. Doch für immer wollen die beiden wohl nicht auf der anderen Seite des großen Teichs bleiben. Am Ende, so scheint es, ist die Heimat wohl doch am schönsten. Vor allem nach einer Pandemie.


mehr News aus der Region