Beim Sterben sich selbst überlassen? Familie erhebt schwere Vorwürfe gegen Pflegeheim

Eine Familie prangert den Umgang mit einer sterbenden Angehörigen in einem Bad Harzbuger Pflegeheim an. Nach dem Tod der alten Dame habe man entsprechende Stellen informiert. Auch die Polizei ermittelt nun.

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Symbolfoto | Foto: Public Domain

Bad Harzburg. Eine Familie erhebt schwere Vorwürfe gegen ein Pflegeheim in Bad Harzburg. Die im Sterben liegende Mutter, beziehungsweise Großmutter, sei über Tage hinweg nicht mehr ausreichend betreut und versorgt worden und war "beim Sterben sich selbst überlassen", erklären die Tochter und die Enkelin der kürzlich Verstorbenen. Der Fall liegt nun bei der Polizei - die Familie hat Anzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Unterlassung, und Misshandlung eines Schutzbefohlenen erstattet.


Gibt man einen Angehörigen in eine Pflegeeinrichtung, legt man dessen Leben in die Hände fachlicher Kompetenz und hofft, dass man die richtige Entscheidung getroffen hat, dass dem Menschen die Pflege zuteil wird, die er benötigt und dass die verbleibenden Wochen, Monate oder Jahre so angenehm wie möglich für denjenigen sind. So war es auch bei der Familie P., die sich mit einem Brief an unsere Redaktion wandte, um auf die Missstände in einem Pflegeheim aufmerksam zu machen. Die Vorwürfe reichen von mangelnder Körperhygiene, über unzureichende medizinische Versorgung bis hin zu nicht fachgerechter Pflege. Dass sich die Familie nun an die Öffentlichkeit wendet, habe nichts mit Rache oder Profit zu tun. Auch wolle man dem Heim keins reinwürgen, wie sie betonen. Es ginge ausschließlich darum, zu verhindern, dass solche Dinge, wie sie sie erlebt haben, wieder passieren.

"Ich will um Gottes Willen nicht die Arbeit der Pflegeheime in Frage stellen und sagen, dass es überall solche Missstände gibt. Und ich will auch nicht irgendwie Profit aus der Sache schlagen. Ich will nur, dass es anderen Menschen nicht auch so ergeht. Ich möchte, dass alte und kranke Menschen in Würde sterben können und so gepflegt werden, wie sie es verdienen und brauchen", sagt Sonja P., die selber Palliativkraft ist. "Was ist mit Menschen, die vielleicht sogar zehn und mehr Tage so liegen? Die keine Angehörigen habe, die derartiges bemerken und einschreiten? Diese hilflosen Menschen verfaulen und verrotten noch lebenden Körpers in ihren Betten und die Heimleitung vertritt die Ansicht, dieses sei vertretbar. Meiner Mutter können wir nicht mehr helfen, doch ich will nie, nie, nie wieder, dass ein Mensch unter diesen Bedingungen verendet. Die alten Menschen müssen geschützt werden", machen Sonja P. und ihre Tochter Alyssa deutlich und schildern die Geschehnisse, die sich am vergangenen Wochenende in einem Heim in Bad Harzburg zugetragen haben und von denen sie sagt, dass sie menschenunwürdig seien.

Sie gaben die 90-jährige Charlotte - die unter verschiedenen Erkrankungen litt und dement war, in eine Pflegeeinrichtung in Bad Harzburg - in ein Heim, das laut Alyssa P. zu den Besten im Umkreis gehört. Bis zum vergangenen Freitag lief auch alles gut. Die Versorgung der Mutter, beziehungsweise Großmutter, sei gut gewesen, es habe keinen Grund für Beanstandungen gegeben. Und man habe dem Personal vertraut, dass auch in den letzten Lebenstagen eine angemessene und würdevolle Pflege erbracht werde. "Wir hatten überhaupt nichts zu beanstanden", versichert Sonja P. im Gespräch mit regionalHeute.de. Bis zum vergangenen Wochenende. Bis dahin sei Oma Charlotte teilmobil und pflegerisch nicht allzu aufwendig gewesen. Am Freitag habe die Familie dann einen Anruf bekommen, dass sich der Zustand der alten Dame dramatisch verschlechtert habe und sie in den Sterbeprozess gefallen sei, bevor sie am Dienstag verstarb.

Menschenunwürdige Behandlung


"Meine Mutter, mein Bruder und ich haben sie bis zum Tag ihres Versterbens begleitet, mindestens sechs Stunden am Tag. In dieser gesamten Zeit, wurde meine Großmutter auf menschenunwürdigste Weise behandelt. Sie wurde tagelang in ein und der selben Position liegen gelassen, so dass sie in den letzten Tagen ihres Lebens unter großen Schmerzen verbringen musste. Ausgelöst durch ein absichtlich verursachtes Druckgeschwür, durch Nichthandeln des Pflegepersonals. Zudem wurde ihr mit gammelndem Orangensaft der Mund ausgespült, so wie sie tagelang in ein und derselben Inkontinenzunterlage liegen gelassen wurde", sagt Alyssa P. Auf den Hinweis aus ihrer Familie, dass die Oma Schmerzen habe, die durch das Druckgeschwür verursacht worden seien und dass eine Umlagerung notwendig sei, sei der Familie von einem Pfleger die Frage gestellt worden, ob man glaube, dass das der Oma jetzt noch etwas ausmache, schildert sie die Ereignisse der vergangenen Tage. Die Entstehung eines solchen Druckgeschwürs, eines sogenannten Decubitus, sei eindeutig ein Pflegefehler, sagt Sonja P.

Pflege erst auf Nachdruck


Und überhaupt sei man Bitten und Drängen der Familie nur mit Wiederwillen nachgekommen, so dass die Familie selbst tätig wurde und die sterbende Frau so gut es ging versorgte, schildert die Familie weiter. "Meine Mutter und ich arbeiten selber in der Pflege und so wissen wir zumindest, was man zu tun hat", sagt Alyssa P. und fügt an, dass die Selbsthandlungen ihrer Familie mitunter aber auch nicht gewünscht waren. "Da meine Oma aber immer wieder sagte, sie habe Schmerzen und sie nicht sterben wolle, haben wir sie zur Entlastung der Wunde auf dem Rücken, dann auf die Seite gelegt. Wir haben sofort gemerkt, dass es ihr dann zumindest etwas besser ging", schildert die junge Frau. Dokumentationen über die Situation und die Wunde, habe man seitens der Einrichtung anfangs verweigert. Dennoch habe die Familie Aufnahmen machen können, die der Redaktion auch vorliegen. Auch die Einsicht in die Akten sei der Familie am Ende nicht mehr gestattet worden. Ein weiterer Kritikpunkt sei die Medikamentengabe. Hier habe nach Ansicht der Familie eine falsche - geringere -Dosierung des Morphiums vorgelegen. Das habe auch die Ärztin in einem Gespräch bestätigt, sagen Sonja P. und ihre Tochter und machen noch einmal deutlich, warum sie mit den Geschehnissen so kurz nach dem Tod ihrer Angehörigen an die Öffentlichkeit gehen.

Braucht ein Sterbender weniger Pflege?


"Einrichtungen wie diese, in denen ein Menschenleben in den letzten Lebenstagen an Wert verliert, sollten nicht weiter arbeiten dürfen. Missstände gibt es in jedem Pflegeheim, aber so etwas ist vorsätzlich und absichtlich", machen sie deutlich und zeigen sich fassungslos und entsetzt. Nicht nur darüber, wie mit ihrer Mutter und Großmutter umgegangen wurde, sondern auch über die Reaktion der Pflegekräfte und der Heimleitung, nachdem man diese auf die Vorfälle angesprochen habe. "Menschen werden dort im Sterbeprozess einfach in den Betten sich selbst überlassen und erhalten keine Pflege mehr. Einzig nach der Beschwerde wurde sporadisch gepflegt, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Nach dem Ableben meiner Oma betonte die Heimleitung, einen im Sterben liegenden Menschen müsste man ja nicht mehr pflegen oder anders hinlegen, da würde sie auch hinterstehen. Nachdem ich mich mit anderen Angehörigen unterhalten habe, habe ich erfahren, dass dies leider wirklich dem täglichen Umgang entspricht", schildert Alyysa P. den Dienstag, an dem ihre Großmutter starb. Dass die alte Dame sterben würde, sei den beiden Frauen klar gewesen. Sie sei alt und schwer krank gewesen. Und darum ginge auch gar nicht, sagt die Familie.

Doch die Pflege-Umstände in den Stunden davor werden von der Familie kritisiert. Es ginge um die Aussage der Heimleitung der Familie gegenüber, dass es sich ja „nur um 24 Stunden“ gehandelt habe. Das sei so nicht richtig. "Es geht darum, dass meine Mutter mindestens von Freitag Nachmittag bis Sonntag Nachmittag nicht gelagert wurde. Weder Freitag noch Samstag betrat eine Pflegekraft während unserer Anwesenheit das Zimmer um pflegerische Leistungen zu verrichten oder bot diese an", betont Sonja P., die angibt, dass sie und ihre Tochter dann selber dafür gesorgt hätten, es ihrer Angehörigen so erträglich und bequem zu machen, wie möglich. "Um ihr das Liegen zu erleichtern, führten meine Tochter und ich entlastende Lagerungen der Schultern durch, da sie hier sichtbar Schmerzen hatte und immer wieder versuchte hier ihre Lage zu ändern", so Sonja P. und schildert das Wochenende weiter: "Sonntag Mittag fanden wir meine Mutter wie gehabt im grünen T-Shirt und auf dem Rücken liegend vor. Die von uns verwendeten Lagerungsmaterialien waren in unveränderter Form eingesetzt, die Lage der Beine war ebenfalls unverändert. Auf dem Nachtschrank stand der gärende Orangensaft von Freitag. Hierauf lag ein Watteträger für Mundpflege, welcher offensichtlich mit dem verdorbenen O-Saft verwendet wurde. Meine Mutter lag unverändert in der Position, in der meine Tochter und ich sie verlassen haben, mit unveränderter Anordnung der Hilfsmittel."

Polizei ermittelt


Was nun folgt ist eine Ermittlung. Die Familie hat die Polizei eingeschaltet und Strafanzeige erstattet. Bereits am Dienstag sei die Polizei im Heim gewesen, habe Befragungen durchgeführt, das Zimmer der Großmutter versiegelt und den Leichnam zwecks einer eventuellen Obduktion beschlagnahmt. Die Polizei Goslar bestätigt auf Nachfrage von regionalHeute.de, dass die Polizei Goslar ein Todesermittlungsverfahren führt. Dies sei allerdings immer der Fall, wenn die Polizei zu einem Sterbefall hinzugerufen wird. Diese Verfahren würden stets in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Braunschweig geführt, sagt Thorsten Ehlers, Sprecher der Polizei Goslar.

Heim weist Vorwürfe von sich


Die Leiterin der Seniorenresidenz bestätigt auf Nachfrage, dass Sonja P. am Dienstag, als sie ins Seniorenzentrum kam, um von ihrer verstorbenen Mutter Abschied zu nehmen, die Polizei gerufen habe. Man habe daraufhin die Heimaufsicht informiert.

Dem Vorwurf der Familie, dass man sterbende Menschen sich selbst überlasse und in den noch verbleibenden Stunden und Tagen nicht mehr pflegerisch tätig werde, widerspricht das Heim deutlich. "Nein, das trifft nicht zu. Richtig ist, dass Menschen in der Sterbephase die Pflege und medizinische Betreuung brauchen, die ihrer persönlichen Situation entsprechen. Die Pflege wird dann auch darauf abgestimmt, dass sie zum Beispiel keine zusätzlichen Leiden oder Schmerzen auslöst. Auf keinen Fall wird jemand „sich selbst überlassen“, heißt es aus dem Pflegeheim, das betont, dass es das höchstes Ziel der Seniorenresidenz sei, dass es den Bewohnern gut gehe und sie die Pflege bekommen, die sie brauchen. Den dargestellten Schilderung der Familie widerspreche man. "Wir haben großes Verständnis dafür, dass das Sterben ihrer Mutter für die Tochter eine sehr belastende Situation war, zumal sie vorher solange keinen Kontakt gesucht hatte", ließ man wissen.

"Für sehr kranke Bewohner und für Bewohner in der Sterbephase gilt ganz besonders, dass sie nicht nur individuelle, professionelle Pflege, sondern auch Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommen. Wenn die Angehörigen das, aus welchen Gründen auch immer, nicht geben können, sind wir dabei ganz besonders gefordert. Dabei kann, wie auch in diesem Fall, eine im Einverständnis mit den Angehörigen eingesetzte Betreuung helfen. Für Menschen in der Sterbephase können außerdem Palliativdienste hinzukommen. Das war auch hier auf Wunsch und mit Zustimmung der Betreuung und der Angehörigen so. Der Palliativdienst übernimmt dann zusätzlich zum Hausarzt die engmaschige medizinische Versorgung, während die Pflege weiter durch die Pflegefachkräfte erfolgt", teilte das Heim weiter mit.

Dass ihre Mutter über einen längeren Zeitraum nicht zu Besuch kam, räumt Alyssa P. ein. Beim Einzug ihrer Oma in die Einrichtung hätten sich Corona bedingt nur wenige Besuchsmöglichkeiten für Sonja P. ergeben. "Zwei Tage nach Einzug wurden die Besuchsverbote verhängt. Ich konnte meine Mutter gar nicht besuchen. Als sie in einem Krankenhaus lag, war ich sehr wohl vor Ort. Danach wurde die rechtliche Betreuung eingerichtet und wir erhielten keinerlei Informationen durch die Betreuerin. Mehrere Krankenhausaufenthalte waren mir gar nicht bekannt", macht sie deutlich und betont, dass ihre Tochter Alyssa jedes Wochenende bei ihrer Oma war, was diese auch mit unzähligen Fotos und Videos ihrer Oma belegen könne. "Ich habe ihr jedes Mal Essen mitgebracht, sei es Pizza oder ein Brathähnchen. Die Aussage, wir als Angehörige hätten keine Begleitung geleistet ist eine Frechheit, da ich mich, wie bereits erwähnt, unglaublich viel um meine Oma gekümmert habe und mich sogar hab beurlauben lassen, um ihr Zimmer beim Einzug schön und mit ihren persönlichen Stücken auszustatten", sagt Alyssa P. abschließend. Nun müssen die weiteren Ermittlungen abgewartet werden.


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Kriminalität Polizei Bad Harzburg