Undercover in Kralenriede - Beobachtungen am Wochenende

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Von abendlichen "Parkplatzpartys" bei den Lebensmittlern keine Spur. Foto: Werner Heise
Von abendlichen "Parkplatzpartys" bei den Lebensmittlern keine Spur. Foto: Werner Heise | Foto: Werner Heise



Kralenriede. Als Journalist unerkannt habe ich mich für ein Wochenende nach Kralenriede begeben. Ich habe zugehört und zugeschaut. Was ich erlebt habe, habe ich in dem folgenden Erfahrungsbericht, in zwei Teilen, festgehalten.

Tagtäglich, gefühlt zumindest, berichtet regionalBraunschweig.de über die Landesaufnahmebehörde und deren Bewohner im Braunschweiger Ortsteil Kralenriede. In dem sozialen Netzwerk Facebook werfen kritische Stimmen unserer Berichterstattung dann meist vor, dass wir nicht objektiv berichten würden, gewisse Sachverhalte verschweigen. Ich möchte wissen was dran ist an den Geschichten um Kralenriede. Hocken abends tatsächlich Asylsuchende in den Vorgärten der Bewohner und gucken Fernsehen? Gibt es jeden Abend "Parkplatzpartys" bei den Lebensmittlern? Kann man sich nicht mehr allein auf die Straße trauen, weil man befürchten muss, dass gleich jemand aus dem Busch gesprungen kommt? Und fahren "ständig" Polizei und Rettungsdienst zur Landesaufnahmebehörde? Hierfür habe ich mehrere Stunden des vergangenen Wochenendes in Kralenriede verbracht. Habe zugeschaut und hingehört, ohne mich als Journalist zu erkennen zu geben.

"Brenzlige Lage"


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Einige sehen durch die Landesaufnahmebehörde eine "brenzlige Lage" in Kralenriede als gegeben. Foto: regionalHeute.de



Ich selbst bin am Freitagabend das erste Mal in Kralenriede. Mein Navi hätte mir jedoch nicht sagen müssen, dass ich mein "Ziel erreicht" habe. So wie ich es bereits oft gehört habe, ist die Straße tatsächlich stark belebt. Belebt mit Menschen, die Koffer hinter sich her ziehen, Einkaufstüten schleppen und in Gruppen herumstehen. Es ist kurz nach 20 Uhr. Ich parke auf dem Penny-Parkplatz und muss feststellen, dass Penny selbst bereits geschlossen hat. Mein Plan war es erst einmal einkaufen zu gehen, um mir in den Läden einen Überblick zu verschaffen. Also probierte ich es direkt nebenan bei Edeka. Doch auch hier ist bereits geschlossen. Eine vor der Tür auf ihre Kollegin wartende Angestellte weist mich darauf hin, dass man jetzt bereits um 20 Uhr schließen würde. Warum möchte ich wissen. "Naja, brenzlige Lage", erwidert sie. Was das genau bedeutet kann sie auf Nachfrage nicht in Worte fassen. Stattdessen erklärt sie, dass abends generell nicht soviel los sei und dies auch eine wirtschaftliche Entscheidung wäre.

Von einer "Parkplatzparty" kann keine Rede sein


Ich gehe zu Aldi, will es dort probieren, während mir immer wieder Leute entgegenkommen, die ebenfalls einkaufen möchten, aber vor verschlossenen Türen stehen. Einige von ihnen ordne ich optisch den Bewohnern der Landesaufnahmebehörde zu, ein paar andere kommen mit dem Auto angefahren, bei wieder anderen fällt es mir schwer zu sagen ob sie nun zur Gruppe der Asylsuchenden gehören oder nicht. Dabei muss ich mir immer wieder selbst ins Gewissen reden, dass es sich überhaupt nicht gehört einen Menschen derartig zu clustern. Aldi jedenfalls hat zu. Zwei kleine Gruppe von insgesamt sechs jungen Männern mit dunkler Hautfarbe stört das nicht, sie hocken am Rande des Parkplatzes, trinken Dosenbier, Energy-Drinks und Cola. Sie hören Musik und teilweise rauchen sie auch. Von einer "Parkplatzparty" kann keine Rede sein. In meiner Jugend gab es Wochenenden, an denen habe ich vergleichbar mit meinen Freunden "abgehangen". Die Männer schauen zu mir rüber, nicken grüßend, der ein oder andere von ihnen lächelt sogar.

"Ich fick dich du Schlampe"


Ich gehe die Straße, den Hauptverbindungsweg Richtung Landesaufnahmebehörde, ein paar Meter spazieren. In beiden Richtungen bewegen sich immer wieder Menschen an mir vorbei. Ich beobachte ein junges knutschendes Pärchen. Plötzlich schreit der junge Mann seine Freundin in akzentfreiem Deutsch an: "Ich fick dich du Schlampe!" Sie lacht und beide turteln weiter, während sie immer mal wieder aufstöhnen und sich gegenseitig anschreien. Ich gehe zurück zu Penny.

Einbruchsalarm bei Penny


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Plötzlich standen Streifenwagen vor Penny. Foto: Archiv



Verdammt, denke ich. Während ich unterwegs war hat sich plötzlich die Polizei mit zwei Streifenwagen zu Penny begeben. Ein dritter kommt hinzu. Was habe ich verpasst? Ich war doch nur ganz kurz um die Ecke verschwunden. Mit seiner Taschenlampe leuchtet einer der Polizisten die Schiebetüren des Einganges ab. Um mich nicht erkennen geben zu müssen frage ich nicht nach was passiert ist. Die Antwort lieferte mir dann am gestrigen Montag der Pressesprecher der Polizei Braunschweig, Joachim Grande. Es habe einen Einbruchsalarm gegeben, der sich jedoch als Fehlalarm herausstellte. "Wahrscheinlich haben Unbekannte derart stark an der Tür gerüttelt, dass die Alarme ausgelöst wurden. Der Markt schließt seit kurzem früher, was die potentiellen Einkäufer vielleicht noch nicht mitbekommen haben", so Grande. Eine These die ich mit meinen Beobachtungen durchaus stützen kann. Denn immer wieder, auch nachdem die Polizei wieder abgefahren ist, gehen Menschen, teils mit ihren Koffern, auf die Tür zu und merken erst im letzten Moment, dass sich diese nicht öffnet. Einer von ihnen ist gar gegen die Tür gerannt.

Der Mann im Busch


Ein paar Meter weiter hält der Bus. Viele Leute steigen aus. Bis auf zwei junge Mädchen, die in meine Richtung laufen, bewegen sich die anderen Ausgestiegenen in Richtung Landesaufnahmebehörde. Ich bekomme die Unterhaltung der beiden, ich schätze 16-Jährigen, mit: "Da musst du ja Angst haben das hier nicht gleich einer aus dem Busch gesprungen kommt." - "Da musst du aber aufpassen, dass du damit nicht gleich als rassistisch giltst." Während ich mich über die Busch-Aussage ärgere höre ich es tatsächlich dort drin rascheln. Mir wird kurz ein wenig mulmig, denn ich bin nun, bis auf die sich entfernenden Mädchen allein. Auch auf dem Parkplatz sitzt niemand mehr. Ich gucke trotzdem in den Busch, oder viel mehr nun hinter eine große Plakatwand und sehe einen offenbar deutschen Biertrinkenden, der es sich dort gemütlich gemacht hat. Er wirft mir ein "N'abend" entgegen. Ich nuschel irgendetwas zurück und verdrücke mich.

Leben, wie Menschen in einem Gehege


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Der Zaun der Landesaufnahmebehörde bei Tag. Dahinter leben Menschen. Foto: Sina Rühland



Als Nächstes laufe ich durch die dunklen, fast nur durch die Straßenlaternen beleuchteten Wohngebiete. Sie sind, bis auf ein paar Anwohner die nach Hause kommen, menschenleer. Auch die Gärten. Also gehe ich zurück zu meinem Auto und fahre zur Landesaufnahmebehörde. Dort ist jetzt, um kurz nach 22 Uhr, noch richtig Trubel. Am Wegesrand sitzen ein paar Männer, auf dem Gelände selbst laufen viele Leute umher. Was mir bereits "unten" aufgefallen war, auch hier haben viele von ihnen ein Handy in der Hand und sind lautstark, in Sprachen die ich niemals sprechen könnte, am Telefonieren. Einige stehen an den Zaun gelehnt und in mir kocht es, kommt Trauer und Wut herauf, darüber, wie diese Menschen hier leben müssen. Im Scheinwerfer-Licht meines Autos, mit dem ich die Straße hoch und den Zaun abfahre, sieht es aus, als würde ich Menschen in einem Gehege beobachten. Menschen die hunderte Meter weit von einem Zentrum am Waldesrand untergebracht sind. Menschen die auf einem total überlaufenen Gelände gerade einen Flecken Freiraum für sich suchen, nur um für sich allein zu sein. In diesem Moment erschließt es sich mir auch, warum so viele von ihnen den Weg in das kleine "Zentrum" rund um die Lebensmittler suchen könnten.

Ich halte mit meinem Auto an und beobachte "das Leben hinter dem Zaun". Es ist alles friedlich und mir wird immer mehr klar, dass ich so möglichst niemals leben möchte. Ich starte den Motor und fahre nach Hause. Nur wenige Minuten später kam es in unmittelbarer Nähe der Landesaufnahmebehörde durch zwei Täter zu einer versuchten Vergewaltigung (regionalBraunschweig.de berichtete).

Lesen Sie morgen im zweiten Teil dieses Erfahrungsberichtes, wie ich Zeuge eines Laden-Diebstahls wurde, wie Flüchtlinge auf dem Aldi-Parkplatz beschimpft wurden und wer mich tatsächlich angegangen ist.


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