Braunschweig. Im Astor Filmtheater lief am heutigen Donnerstag die Buchverfilmung "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" im Rahmen einer Schülervorstellung an. Er basiert auf dem gleichnamigen Buch von Judith Kerr, deren Flucht aus dem dritten Reich der Filmgeschichte erstaunlich ähnelt. Die aus mehreren Schulklassen bestehende Zuschauerschaft konnte die Buchverfilmung überzeugen - gilt das auch für unsere Filmkritikerin?
Regie bei dem Familiendrama führte die deutsche Regisseurin und Oscarpreisträgerin Caroline Link. Diese glänzt in ihrer Filmografie bereits durch zahlreiche Buchverfilmungen und wagt sich mit "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" erneut an eine autobiografische Buchvorlage. Die Autorin selbst ist im Mai dieses Jahres verstorben und wird im Abspann des Films entsprechend gewürdigt. Das Buch ist Teil einer Trilogie - ob es noch eine Fortsetzung gibt, bleibt offen.
Inhalt
Im Jahr 1933 in Berlin. Anna ist erst neun Jahre alt, als sich ihr Leben von Grund auf ändert. Um den Nazis zu entkommen, muss ihr Vater Arthur Kemper, ein bekannter jüdischer Journalist, nach Zürich fliehen. Seine Familie, Anna, ihr zwölfjähriger Bruder Max und ihre Mutter Dorothea, folgt ihm kurze Zeit später. Anna muss alles zurücklassen, auch ihr geliebtes rosa Stoffkaninchen, und sich in der Fremde einem neuen Leben voller Herausforderungen und Entbehrungen stellen.
Trailer
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Kritik
Der Film beginnt vor der Reichstagswahl im Jahr 1933 in einem gutbürgerlichen Haus in Berlin. Schon hier setzt der Film die Stimmung für den restlichen Verlauf - er begeistert mit seiner Nähe, seiner Schlichtheit. Kein Retro-Chic, keine repräsentativen Bilder, kein Pathos - einfach ein Familienleben, welches von der Wahl Hitlers überschattet wird. Der Journalist Arthur Kemper (Oliver Masucci) fürchtet um sein Leben - mit Recht, wie sich herausstellt - und setzt sich in die Schweiz ab. Die Geschehnisse danach werden aus Sicht der 9-jährigen Anna (Riva Krymalowski) dargestellt, deren immersive, kindliche Erzählweise einen tief in die Gefühlswelt einer Flüchtlingsfamilie zur Zeit des NS-Regimes zieht. Regisseurin Caroline Link ist mit dem Casting von Nachwuchsschauspielerin Riva Krymalowski zweifelsohne ein Glücksgriff gelungen - die Schauspielerin hat die große Aufgabe, die Geschichte mit ihrer Sicht zu tragen, ihr Erleben, ihre Ängste und Sorgen auszudrücken und meistert dies mit einer gelungenen Mischung aus kindlicher Naivität, Mut, Witz, Neugier und Fragilität. In der Familienkulisse mit Mutter Dorothea Kemper (Carla Juri), Haushälterin Heimpi (Ursula Werner) und Onkel Julius (Justus von Dohnányi) entfaltet auch der restliche Cast ein mühelos wirkendes Potpourri der Emotionen, welches für den Zuschauer authentisch und reibungslos ineinandergreift.
"Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" gibt aber auch Raum für Diskussionspotenzial. Es drängt sich bisweilen die Frage auf, ob eine derart leichtherzige Inszenierung einer jüdischen Flüchtlingsgeschichte aus dem dritten Reich nichtunangemessen, vielleicht sogar fahrlässig ist. Sie ist optimistisch und persönlich - und sticht damit gewiss aus der Masse von bildgewaltigen Kriegsdramen heraus. Es gibt keine Nazi-Schlägertrupps, keine Nahaufnahmen von NS-Funktionären, die mit ihren Worten die Massen aufstacheln, keine Uniformen, kein Militär und keine großen Worte. Hier stehen das intime Erleben einer verzweifelten Familie im Vordergrund - aus der Perspektive eines Kindes. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" schürt keine Angst und versucht nicht zu schocken. Der Streifeninszeniert ein kindgerecht aufbereitetes Drama um die Flucht einer Familie vor dem NS-Regime, ohne dass es ihm dabei an der nötigen Ernsthaftigkeit mangelt. Für den Zuschauer hat die Erzählperspektive einen Nachteil - manche Schicksale bleiben unklar. Hiermit muss man leben - genau wie die kleine Anna.
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