Auf einer Seite mit Frank Wedekind: Roberta Bergmann illustriert Jugendbuch-Klassiker „Frühlings Erwachen“

von kulturblog38.net




Vor 150 Jahren, am 24. Juli 1864, wurde der sozialkritische Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler Frank Wedekind in Hannover geboren. Nun ist erstmals eine illustrierte Ausgabe seines Dramas "Frühlings Erwachen" im Mannheimer kunstanstifter verlag erschienen – gestaltet von der Braunschweiger Künstlerin Roberta Bergmann.

Bergmann, bekannt aus dem Tatendrang-Atelier in der Breiten Straße 18a, hat nicht ohne Grund genau dieses Werk ausgewählt: Der Autor und seine Protagonisten, von denen einige an der Prüderie, Doppelmoral und autoritären Erziehung ihrer Zeit zerbrechen, stehen ihr ganz besonders nahe. Warum das so ist, und was dieses Buch für sie und für die Leser so besonders macht, schildert Roberta Bergmann im Interview.

Wie ist es dazu gekommen, dass du einen deutschen Literaturklassiker aus dem Jahr 1891 illustrierst?

Roberta Bergmann: Vor einiger Zeit habe ich mir die Frage gestellt, welches klassische Werk ich gerne einmal illustrieren würde. Dabei ist mir sofort "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind eingefallen, denn Motive, die mich emotional berühren, zeichne ich besonders gerne.



Was hat dich daran so beeindruckt?

Roberta Bergmann: Zunächst einmal das Thema des Buchs, das Erwachsenwerden und die Entdeckung der eigenen Sexualität, eingezwängt in die rigiden Moralvorstellungen jener Tage. Und dann trägt die Hauptfigur zufällig meinen Nachnamen, und jene Wendla Bergmann stirbt auch noch an meinem Geburtstag. Ihr habe ich meine Neugestaltung des Buchs gewidmet.

Du bist aber nicht nur für die Illustrationen verantwortlich. Was hast du noch gemacht?

Roberta Bergmann: Stimmt, ich habe das Buch komplett neu gesetzt, mir ein Format ausgedacht und eine Ausstattung überlegt. Ich mache seit Jahren Illustration und Buchgestaltung, und wer dieses Buch in die Hand nimmt, soll merken, aus welcher Zeit der Text ursprünglich stammt. Die edle zweifarbige Leineneinband, die Leinenprägung, die spezielle Schriftart und natürlich die Illustrationen sind an den damals in Deutschland aufkommenden Jugendstil angelehnt.

[image=10342]Ein Highlight des Buchs ist die bebilderte Übersicht aller beteiligten Personen. Als besonderes Gimmick findet sich dieses Gruppenporträt nicht nur im Buch selbst, sondern auch als großes Poster im ausfaltbaren Buchumschlag. Wie bist du zu den ganzen prägnanten Gesichtern gekommen?

Roberta Bergmann: Zum größten Teil entstanden die Gesichter in meiner Fantasie, anderen liegen Porträts von wahrhaftigen Menschen aus der Zeit zugrunde. Bei den Lehrern war die Figurfindung sehr einfach, denn die werden schon im Buch sehr plastisch beschrieben und karikiert, z.B. mit den Namen Hungergurt, Affenschmalz usw.

Wedekind lässt kaum ein Tabuthema jener Zeit aus. Wollte er einfach nur provozieren?

Roberta Bergmann: Das Buchs war damals ein Skandal, das ist richtig. Aber die tragische und schockierende Handlung trägt genau betrachtet sehr humorvolle, satirische Züge, denn Wedekind hat viele der verstockten Kirchen- und Schulvertreter bewusst überspitzt dargestellt.

[image=10339]Er war also ganz einfach seiner Zeit voraus?

Roberta Bergmann: Ganz klar. In Deutschland wurde das Stück noch bis in die 50er Jahre fast ausschließlich zensiert aufgeführt, und in den USA durfte das Stück anfangs nur zu Aufklärungszwecken und unter ärztlicher Aufsicht gezeigt werden. Und viele Tabus, die Wedekind schon 1891 thematisiert, sind auch heute noch aktuell: Schwangerschaft bei Minderjährigen, Homosexualität, Prostitution, Selbstmord. "Frühlings Erwachen" ist in vielerlei Hinsicht immer noch topaktuell und fortschrittlich.

Wedekind widmet sein Buch seiner Figur des "vermummten Herrn", du widmest deine Arbeit seiner Figur Wendla – ist das ein Zufall?

Roberta Bergmann: Nicht wirklich. Der vermummte Herr auf der einen und Wendla auf der anderen Seite verkörpern die beiden Pole des Gefühlsspektrums, in dem sich Wedekind und seine Geschichte bewegen. Da ähneln wir uns stark, denn diese beiden Extreme – Freude und Genuss am Leben einerseits, Wut, Abscheu und Trauer andererseits – sind mir ebenfalls sehr vertraut.

Wo empfindest du noch eine besondere persönliche Nähe zu Autor und Werk?

Roberta Bergmann: Was Wedekind schreibt, hat mich einfach intuitiv angesprochen. Ich denke, wir wären auf einer Wellenlänge gewesen und hätten uns gut verstanden. Deshalb zeige ich mich auf Seite 92 an seiner Seite, auch wenn das vielleicht etwas anmaßend ist (lächelt).

Das Buch ist sehr stimmig und liebevoll gestaltet. Welche Technik hast du verwendet und wie lange hast du daran gearbeitet?

Roberta Bergmann: Für die Zeichnungen habe ich einen Pinselstift verwendet. Der zeichnet mit Tusche, und du kannst die Strichstärke durch Druck und Winkel variieren. Insgesamt haben die Arbeiten am Buch zwei Jahre gedauert – auch deshalb, weil ich als HBK-Dozentin natürlich nicht die ganze Zeit daran arbeiten konnte.

Wo ist das Buch erhältlich?

Das Buch gibt es in jedem Buchladen. Die Buchhandlung Graff in Braunschweig hat diesen Monat sogar einen Tatendrang-Büchertisch! Und exklusiv bei Tatendrang gibt es ab sofort eine limitierte Vorzugsausgabe des Buches, dh. man bekommt neben dem Buchexemplar noch eine Originalzeichnung von mir dazu.

Roberta, vielen Dank für das Gespräch!

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Fotos: R. Bergmann/privat

Veranstaltungs-Tipp: Im Rahmen des Braunschweiger Jugendliteraturfestivals "JuLi im Mai" wird "Frühlings Erwachen" mit Jugendlichen gelesen! Am 16. Mai ab 14:00 in der Ateliergemeinschaft Tatendrang-Design, Breite Straße 18a. Der Eintritt ist frei.


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