Betreuung gesucht, Familie gefunden: Wunschgroßeltern als Ersatz und Ergänzung

von Christina Balder




Braunschweig. Verwandt sind sie nicht. Aber das ältere Ehepaar, das im Garten von Familie Seidel mit den Töchtern Lina und Janne spielt, geht so liebevoll mit den beiden Mädchen um, dass man glauben könnte, Großeltern und Enkel vor sich zu haben. Tatsächlich sind die Papendorfs sogenannte Wunschgroßeltern, vermittelt vom Mütterzentrum und mittlerweile eingewachsen in die Broitzemer Familie.

Mehr als 50 Verbindungen bestehen zurzeit zwischen Familien und Wunschgroßeltern, jeden Monat kommen zwei bis drei neue hinzu. Manche bestehen schon seit Beginn des Programms im Jahr 2006 - auch die Beziehung zwischen Seidels und Papendorfs ist schon alt.



Eigentlich hatte das Ehepaar Seidel nur eine Betreuung für ihre knapp zweijährige Tochter Lina gesucht, das war vor siebeneinhalb Jahren. Gefunden hat die Familie das Ehepaar Ursula und Dieter Papendorf. Die Beiden sind mindestens einmal pro Woche für Lina und Janne da, gehören bei Familienfesten zum Inventar und kennen die meisten Kinder, die in der Straße der Seidels wohnen. Lina und ihre Schwester Janne sind heute neun und sechs Jahre alt und halten ihre 71- und 74 Jahre alten Wunschgroßeltern auf Trab. Die machen alles bereitwillig mit - solange der Kreislauf es zulässt.

Das hatten sich die Seidels kaum träumen lassen. "Unsere Eltern leben weit weg", erzählt der Vater Holger Seidel, "da war die Suche nach Kinderbetreuung eine große Herausforderung." Denn seine Frau habe zumindest in Teilzeit arbeiten wollen, Krippen gab es kaum und Tagesmütter waren teuer. Im Mehrgenerationenhaus haben sie dann den Aushang gefunden, der für eine Betreuung durch Wunschgroßeltern warb.

Das Ehepaar Papendorf wartete da gerade in der Kartei auf eine passende Familie. Kinder- und damit enkellos, hatten sie für den Ruhestand eine Beschäftigung gesucht. "Ausflüge sind ja schön und gut, aber uns fehlte etwas Sinnstiftendes", sagt Ursula Papendorf. Zu sehen, wie Kinder aufwachsen, sei einfach schön und man bleibe in Bewegung. "Als älterer Mensch bleibt man leicht einfach auf dem Sofa sitzen. Das wollten wir nicht", ergänzt ihr Mann. Das hat er jetzt davon: "Mit einem Kind habe ich neulich eine Stunden lang Inlinerfahren geübt, und manchmal sind hier sieben, acht Kinder im Garten, auf die man sich immer wieder neu einstellen muss."

Auch das Verhältnis zu den richtigen Großeltern ist gut


So kamen beide Parteien zusammen, nach einer kurzen Phase des Beschnupperns einigten sie sich auf regelmäßige Besuche. Menschlich passen sollte es schon, finden alle Beteiligten, "aber unsere Suche war pragmatisch. Wir hätten auch Alleinstehende beiderlei Geschlechts genommen", sagt Holger Seidel. Man brauche aber zumindest eine ähnliche Vorstellung von Kindererziehung, auch wenn zwischen den Generationen immer mal wieder unterschiedliche Meinungen auftauchten.

Mittlerweile passt es so gut, dass die Wunschgroßeltern sogar mit den richtigen Omas und Opas von Lina und Janne Kurztrips unternehmen, ohne Kinder. "Wir wollen nicht in Konkurrenz stehen", sagt Dieter Papendorf. Die leiblichen Großeltern seien zwar kurz irritiert gewesen, "da riefen die irgendwann bei uns an und fragten, was das für ein Programm ist", sagen die Papendorfs, "aber das war dann schnell geklärt."

Der Zeitaufwand ist mittlerweile ein wenig größer als der eine vereinbarte Nachmittag pro Woche. Die Wunschgroßeltern sind bei sportlichen Wettkämpfen der Kinder dabei, wenn eins der Mädchen krank wird, springen die Papendorfs ein. "Man muss schon dahinterstehen", sagt Ursula Papendorf, "aber man bekommt so viel zurück."

Die Nachfrage ist doppelt so groß wie das Angebot




In ihrem Bekanntenkreis und bei Veranstaltungen bekämen sie zwar viele positive Reaktionen auf ihr Engagement. "Aber die meisten schrecken vor dem zeitlichen Aufwand zurück. Sie befürchten, dann nicht mehr in den Urlaub fahren zu können und keine Zeit mehr für sich zu haben." So sei das aber nicht, denn wie auch bei richtigen Großeltern sei vieles mit Absprachen zu klären. "Ein bisschen flexibel muss man allerdings schon sein", sagt die Wunschgroßmutter.

Tatsächlich mangelt es eher an Wunschgroßeltern als an suchenden Familien. Die Nachfrage ist fast doppelt so groß wie das Angebot. "Es ist aber eine so schöne Aufgabe", schwärmt Ursula Papendorf. "Wie lernen immer wieder etwas dazu und bekommen eine andere Sicht auf die Dinge durch die Kinder."

Lina und Janne jedenfalls scheinen hochzufrieden mit den beiden Menschen, die da in ihre Familie hineingekommen sind. Und ihr Vater auch: "Wir können uns nicht vorstellen, dass diese Beziehung irgendwann endet. Die beiden gehören dazu."

Wer Wunschgroßeltern werden möchte oder braucht, kann sich bei Rita Dippel vom Mütterzentrum/Mehrgenerationenhaus, Hugo-Luther-Str. 60A, melden. Sie ist telefonisch erreichbar unter 0531/89 54 50.