Braunschweig. Seit dem die Stadtverwaltung bekannt gegeben hat, dass die Kundgebung des Bündnisses gegen Rechts wegen einer angemeldeten Bragida-Versammlung (Braunschweig gegen die Islamisierung des Abendlandes) am kommenden Montag, dem Jahrestag der Pogromnacht, örtlich verschoben werden muss, regt sich Unmut in Ratsfraktionen und Bevölkerung. Bragida-Organisatorin Tina Müller erklärt die Gründe für das Versammlungsdatum – Politik und Bündnis zeigen sich weiterhin fassungslos.
Bragida darf die Versammlung abhalten: für Montag, 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, sind bei der Stadt Braunschweig für den Platz der Deutschen Einheit zwei Versammlungen mit anschließendem Aufzug angezeigt worden – eine von der Bragida-Bewegung und eine weitere vom Bündnis gegen Rechts mit anschließendem Aufzug. Da Bragida Erstanmelder war, ging die Entscheidung zugunsten derer; das Bündnis muss nun auf den Domplatz ausweichen. Bündnis-Pressesprecher David Janzen zeigt sich verständnislos: "Statt Farbe zu bekennen und eindeutig Flagge zu zeigen, versteckt die Stadt sich hinter formaljuristischen Entscheidungen. Für uns ist die versammlungsrechtliche Frage, wer nun früher angemeldet und für wen der Rathausplatz die größere Bedeutung für seine Versammlung hat zweitrangig. Uns geht es vielmehr um eine politische Diskussion über das fatale politische Signal, dass von dieser Entscheidung ausgeht: Rechtspopulisten und Neonazis wird der Rathausplatz überlassen, während diejenigen weichen müssen, die an die Verbrechen des NS-Regimes erinnern und die Vertreter der Verfolgten zu Wort kommen lassen."
Bekannter Neonazi oder Fehleinschätzung?
Als Sprecher hat die Bragida-Bewegung den als rechtspopulistisch geltenden Blogger Michael Mannheimer eingeladen. Das Bündnis kritisiert die Auswahl des Sprechers. Laut der Stuttgarter Zeitung sei Mannheimer "ein bundesweit bekannter Neonazi". Auf seiner Homepage sammelt Mannheimer Artikel und Gesprächsauszüge, die sich gegen islamgläubige Menschen und Migranten richten. Er fordert "Islamisierung und Linkstrend stoppen". Tina Müller entgegnet: "Michael Mannheimer ist kein rechtspopulistischer Blogger. Diese Fehleinschätzung geht maßgeblich auf die Stuttgarter Zeitung zurück, welche die Behauptung aufgestellt hat, Herr Mannheimer sei ein 'bekannter Neonazi'. Richtig ist, dass er sich in seinen Texten für die Rechte Israels ausspricht und das Dritte Reich als eine 'Katastrophe' verurteilt."
Warum sich viele Bürger gegen eine Versammlung Bragida besonders an diesem Tag stören, könne Müller nicht nachvollziehen. "Uns erschließt sich nicht, warum der Termin unpassend sein sollte. Der historische 9. November fällt in diesem Jahr auf einen Montag, der bekanntlich immer Bragida-Tag ist. Des Weiteren werden wir dieses besondere Datum natürlich mit einem entsprechenden Rahmenprogramm würdigen. Wir haben keine Teilnehmer mit rechtsextremer Gesinnung und dulden solch eine Haltung auch nicht; jeder Provokateur erhält einen Platzverweis. Die uns von einigen Interessenverbänden entgegengebrachten Vorwürfe, wir seien Neonazis oder Rassisten, weisen wir ausdrücklich als Verleumdung zurück. Bragida steht bekanntlich für eine gewaltfreie Form der Meinungsäußerung."
Mauerfall statt Pogromnacht
Anlässlich des geschichtsträchtigen Tages wolle man sich insbesondere mit dem Mauerfall am 9. November 1989 beschäftigen, so Müller. "Darüber hinaus werden wir natürlich all der Menschen gedenken, die in der Reichspogromnacht 1938 von den Nationalsozialisten ermordet wurden beziehungsweise ihr Leben bei der Flucht aus der ehemaligen DDR verloren haben. Unsere Veranstaltung hat also weder einen rechtspopulistischen Charakter noch dient sie der Provokation. Wir freuen uns vielmehr auf eine besinnliche Kundgebung, lebendige Diskussionen und einen friedlichen Abendspaziergang mit vielen denkfreudigen Bürgerinnen und Bürgern."
Das sagen die Parteien
Udo Sommerfeld, Die Linke: "Dass die Stadtverwaltung es ohne Widerstand zulässt, dass am 9. November 2015, also dem Jahrestag des Beginns der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten, Hassbürger, Neonazis und Hooligans vor dem Rathaus ihre rassistische Hetze verbreiten können, ist beschämend und völlig inakzeptabel. Dass gleichzeitig eine Veranstaltung untersagt wird, die sich für ein weltoffenes Braunschweig einsetzt und im Sinne des Aufrufes von Bundesjustizminister Maas handelt, macht das Ganze noch schlimmer. Es hätte auch im Rahmen des Versammlungsgesetzes eine andere Lösung geben können. Unsere Fraktion wird in die nächste Ratssitzung einen Antrag einbringen, in dem der Rat der Stadt Braunschweig u.a. eine Missbilligung dieser Entscheidung beschließen soll."
Holger Herlitschke, Die Grünen: „Wir gehen davon aus, dass die zuständige Versammlungsbehörde sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Natürlich ist es für uns nur schwer erträglich, dass Bragida ausgerechnet am 9. November vor dem Rathaus demonstrieren darf. Und selbstverständlich würden wir es bevorzugen, wenn das Bündnis gegen Rechts an diesem Tag nicht auf den Domplatz ausweichen müsste. Aber offensichtlich hat nach dem Versammlungsrecht die Kundgebung formal Vorrang, die zuerst angemeldet wurde – in diesem Fall leider die von Bragida. Bekanntlich gilt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch für ideologisch fragwürdige Organisationen, solange diese nicht verboten sind. Wir sind davon überzeugt: Unsere gefestigte demokratische Gesellschaft hält das aus und wird das überstehen. Es gibt keinen anderen Weg, als Bragida weiterhin mit den friedlichen Mitteln der Zivilgesellschaft zu bekämpfen. Wir werden also am 9. November mit vielen anderen Menschen auf dem Domplatz gegen den braunen Ungeist demonstrieren. Als langjährige Mitstreiter sagen wir Grünen gemeinsam mit dem Bündnis gegen Rechts NEIN zu Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit und Hetze gegen Flüchtlinge."
Dr. Dr. Wolfgang Büchs, BIBS. Foto Thorsten Raedlein Foto: regionalHeute.de
Dr. Dr. Wolfgang Büchs, BIBS: "Es ist nachgewiesen, dass die Bragida, die sich sehr gerne unter dem Deckmäntelchen der 'besorgten Bürger' präsentiert, sehr stark durch rechtsextreme Elemente geprägt ist. Es ist auch klar, dass Pegida/Bragida durch die Art ihrer Diktion den Boden für fremdenfeindliche Gewalttaten vor allem gegen Flüchtlinge in Deutschland bereitet. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Stadt Braunschweig in keinster Weise nachvollziehbar und geradezu unerträglich, der Bragida ausgerechnet am Jahrestag der Reichsprogromnacht zu erlauben auf dem Platz der Deutschen Einheit vor dem Rathaus zu demonstrieren, während diejenigen, die für die Wahrung der demokratischen Grundrechte sowie für Respekt und Toleranz eintreten, auf einen Nebenplatz abgeschoben werden."
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