Braunschweig. Bio liegt immer mehr im Trend, Selbermachen auch. In Dibbesdorf kann man beides verbinden, auch ohne eigenen Garten. Auf 40 vorbepflanzten Quadratmetern hegt, pflegt und erntet man sein eigenes Gemüse. Gerade erst in Braunschweig gestartet, ist das Konzept hier schon so beliebt, dass die Fläche bereits vergrößert werden musste.
Marcel Schweitzer und seine Freunde sehen eigentlich nicht nach typischen Bio-Essern aus, und schon gar nicht nach passionierten Gemüsebauern. Dennoch stehen die vier Braunschweiger da, 28 bis 31 Jahre alt, mitten auf dem Feld, und wollen "Ackerhelden" werden.
"Ackerhelden" heißt das Essener Startup-Unternehmen, das bundesweit mit Bioland-zertifizierten Landwirten kooperiert, von ihnen Flächen mietet und sie in 40-Quadratmeter-Häppchen an buddelwillige Gemüse-Fans weitervermietet. Für 248 Euro in der Saison bekommt man ein Stück Feld, auf dem einige Pflanzen schon sprießen, andere kann man selber auswählen. In elf Städten bundesweit haben die Gründer Tobias Paulert und Birger Brock solche Äcker schon eingerichtet. In Braunschweig haben gerade die ersten Helden ihre Parzellen übernommen, so viele, dass die Fläche von ursprünglich 30 auf jetzt 75 Parzellen erweitert werden musste.
Modernes Gärtnern: Eine Hand im Acker, eine am Smartphone
Bei Marcel, Josephine, Fabian und Anna ist es mit dem Heldentum noch nicht so weit her. Etwas ratlos stehen sie auf ihrem Feld. "Ist das jetzt Radieschen, oder was?" - "Nee, das, wo du gerade drauf gelatscht bist, das ist Radieschen. Glaube ich." Aber das wird noch. Am Samstag ist Ackerhelden-Gründer Tobias Paulert gerade vor Ort und baut einen Zaun, da kann er gleich ein bisschen beraten. Aber auch aus der Ferne funktioniert das. Paulert setzt auf moderne Technik. "Unsere Kunden haben fast alle Smartphones, sie fotografieren einfach, was da wächst, schicken das an uns und wenig später bekommen sie von uns Nachricht, ob das Gemüse ist oder Beikraut." Auch wer keine Ahnung vom Gärtnern hat, verspricht Paulert, soll dank der Anleitungen Erfolgserlebnisse verzeichnen können - und das in nur ein bis zwei Stunden pro Woche.
"So viel Zeit verbringt man pro Woche auch im Supermarkt", rechnet Paulert vor. Christiane Wiebking verspricht sich vom eigenen Heldenacker sogar mehr zeitliche Flexibilität. "Wenn ich den Markt am Mittwoch verpasse, habe ich Pech gehabt", sagt sie. Sie lege Wert auf Bio-Gemüse, von dem sie weiß, woher es kommt. Andere Konzepte zum Selbergärtnern passen ihr nicht. Schrebergärten sind ihr zu groß, mit Rasen und Blumenflächen kann sie nichts anfangen. "Dazu fehlt mir die Zeit." Auch Konzepte, bei denen man sich mit regelmäßigen Marktständen einbringen muss oder alle paar Wochen Dienst schieben soll, seien ungeeignet. "Hier kann ich samstags in aller Ruhe buddeln", sagt sie.
Bio-Angebot, ohne zu moralisieren
Die vier Freunde hatten schon über einen Schrebergarten nachgedacht, aber keinen passenden gefunden. Ihr Gemüse kaufen sie ohnehin auf dem Markt, "aber wenn man es selbst ernten kann, ist es natürlich eine ganz andere Sache." Die zwei Paare teilen sich eine Parzelle, um mal zu sehen, ob das überhaupt funktioniert. Anders als viele Altersgenossen haben sie sich schon ausgiebig mit dem Thema Essen beschäftigt. Fleisch kommt nur selten auf den Teller und wenn, dann in Bioqualität. "Was nicht heißt, dass wir nicht auch mal zu Burger King gehen, wenn wir Hunger haben", sagt Josephine. Und Fabian ergänzt: "Man muss sich ja aber nicht zwangsläufig jeden Scheiß reinziehen, der einem vorgesetzt wird."
Genau solche Kunden sind es, deretwegen die Ackerhelden an die Kooperation mit Bioland gekommen sind. "Wir erreichen mit dem Konzept auch Leute, die keine typischen Bio-Käufer sind", erzählt Tobias Paulert, der sich selbst konsequent von Bioprodukten ernährt. Dabei will er aber nicht moralisieren. "Wir wollen eine Alternative schaffen zur konventionellen Landwirtschaft, mit möglichst wenig Hürden", sagt er. Ein bisschen mehr zum Selbstversorger werden, das ist für Paulert das Ziel. Das soll für die Kunden so einfach wie möglich werden. Saatgut und junge Pflanzen bekommen sie die Saison über regelmäßig gestellt.
Die Macher haben ihre sicheren Jobs zugunsten des Projekts aufgegeben
Bernd Barnstorf-Brandes ist Biobauer in Dibbesdorf und stellt den Ackerhelden eine halben Hektar seiner Flächen zur Verfügung, zwischen Hühnern und Highland-Rindern. Er erhofft sich davon vor allen mehr Kunden für seinen Hofladen. Einen finanziellen Anreiz habe er natürlich auch gesehen, erzählt er, "aber es ist nicht so, dass es den Hof jetzt mächtig nach vorne bringt." Paulert ergänzt: "Außerdem tragen wir das Risiko, der Landwirt muss sich nicht um Ertrags- oder Preisschwankungen kümmern."
Paulert und sein Geschäftspartner Birger Brock haben das Projekt 2012 gestartet. "Noch leben wir vom Ersparten, aber das wird laufen", sagt Paulert. Beide haben dafür ihre sicheren Jobs aufgegeben. "Unsere Familien haben den Kopf geschüttelt - ausgerechnet Landwirtschaft!", erzählt Paulert. Aber er ist sicher, dass sich das Risiko lohnt. "Die Gemeinschaft ist toll, unsere Kunden schicken uns Bilder von ihrem ersten selbstgeernteten Essen und der Kontakt zu den Landwirten ist fast familiär."
So ähnlich soll auch das Verhältnis zwischen den einzelnen Parzellen-Helden werden. "Da gießt mal einer für den Nachbarn mit oder man tauscht Gemüse, das man nicht braucht", sagt Paulert. Voraussetzung ist natürlich, dass man bis dahin Radieschen von Rote Bete unterscheiden kann.