Digitaler Nachlass: Das Online-Ich stirbt nicht

von Christina Balder




Braunschweig. Familien, die einen Angehörigen verloren haben, sind meist mit ganz anderen Dingen beschäftigt als mit dessen Online-Nutzerkonten. Wer weiß schon auch, wo die Tante nach einem neuen Partner gesucht oder wo der Vater Poker gespielt hat? Facebook und Google haben bereits ihre eigenen Verfahren, wie man mit verstorbenen Usern umgeht, und auch die Bestattungsunternehmen entdecken das digitale Leben der Menschen als neues Betätigungsfeld.

Bei Facebook ist es einfach. Die Profile sind öffentlich, dass es eines gibt, wissen die Angehörigen meist. Das Profil eines Verstorbenen kann so bleiben, wie es ist - dann muss man nichts weiter tun. Wenn die Familie es wünscht, kann die Seite aber auch gelöscht oder zu einer Gedenkseite umgewandelt werden. Dort kann man dann weiterhin Kommentare, Wünsche und Nachrichten posten, die Privatsphäre-Einstellungen des Verstorbenen werden aber respektiert.

Bei anderen Nutzerkonten gestaltet sich das Vorgehen schwieriger. Von manchen Profilen oder Zugängen wissen selbst die Angehörigen nicht, dass sie existieren, von Passwörtern ganz zu schweigen - sie stillzulegen, wird damit quasi unmöglich. Kritisch ist das vor allem dann, wenn Mitgliedsbeiträge fällig werden und die Zahlung auf dem Kontoauszug nicht gleich offensichtlich zuzuordnen ist.

Unangenehme Überraschungen sind nicht ausgeschlossen - wie im echten Leben


IT-Firmen, sogenannte digitale Nachlassverwalter, nehmen sich dieses Problems an. Ein Weg ist es, die Festplatten eines Verstorbenen an so eine Firma zu schicken, der sie dann nach solchen Mitgliedschaften durchforstet. Ein Braunschweiger Bestattungsunternehmen hat einen anderen Weg gewählt und sich mit einer Berliner Firma zusammengeschlossen, um den digitalen Nachlass von Verstorbenen zu verwalten.

Eine Abfrage an diverse Online-Unternehmen soll  zu Tage fördern, wo es Kundenkonten gab, wo Verbindlichkeiten bestehen oder wo, etwa im Falle von Online-Poker, noch Guthaben liegen. Dass dabei auch Unangenehmes zu Tage gefördert werden kann, ist sowohl Louise Weißbach, Sprecherin der IT-Firma Columba, als auch Burkhard Schulz, Bestatter in Braunschweig, klar.  Wie viel Geld der Ehemann für Online-Fremdgängerbörsen ausgegeben hat, dass die Großmutter sich durch Internetspiele massenweise Schulden aufgehalst hat und dass die strenggläubige Mutter sich im Internet in Unterwäsche präsentiert hat, das alles können Dinge sein, die man eigentlich lieber nicht wissen will. Burkhard Schulz ist da aber pragmatisch: "Auch ohne Internet hatten manche Menschen schon ein Doppelleben, das nach dem Tod bekannt geworden ist", sagt er. Wie man Hinterbliebenen erklärt, dass der Verstorbene im Internet ein zweites Ich ausgelebt hat, "darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht", gibt er zu.

Die Nachfrage hält sich in Braunschweig noch in Grenzen


Louise Weißbach gibt zu bedenken: "Was ist wohl schlimmer: einmal alles aufräumen oder immer wieder Abbuchungen, die man nicht zuordnen kann?" Angehörige verzweifelten oft daran, selbst einfache Konten zu löschen, weil sie angeblich nicht legitimiert seien, da nehme die Online-Nachlassverwaltung ihnen einen Teil der Belastung ab. "Solche Zeiten sind ohnehin schwierig, da ist es nur gut, wenn einem jemand hilft."

Sein Unternehmen Behrens Bestattungen bietet die digitale Nachlassverwaltung seit rund sechs Wochen an, bisher sei aber erst ein Mal Interesse gezeigt worden. "Wir wollten einfach bei dieser Entwicklung vorne dabei sein", erklärt Schulz sein Engagement in diesem Bereich. Wann das tatsächlich stark nachgefragt werde, müsse man erst noch sehen. Durch Werbung seien sie auf das Angebot von Columba aufmerksam geworden. "Vorher hatten wir uns damit noch gar nicht beschäftigt", sagt er.

Im Fall von Google übrigens kann jeder selbst vorsorgen: Mit dem "Kontoinaktivität-Manager"  kann man schon jetzt festlegen, was mit dem Konto geschehen soll, wenn es über drei, sechs, neun oder zwölf Monate nicht mehr genutzt wird. Google schickt laut seiner Website erst eine SMS an den Kontoinhaber. Meldet der sich nicht, kann das Konto automatisch gelöscht werden. Alternativ lässt sich auch eine Vertrauensperson bestimmen, die dann die Login-Daten zugeschickt bekommt.