Drei Braunschweiger Wissenschaftler für weltweit einmaliges Verfahren ausgezeichnet


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Braunschweig. Die Sprachqualität und Sprachverständlichkeit beim Telefonieren lässt auch in Zeiten von HD-Telefonen in den meisten Fällen zu wünschen übrig. Das Problem: Bei einem Telefongespräch müssen beide Endgeräte HD-fähig sein. Das ist aber nur in den seltensten Fällen gegeben. Ein in Braunschweig entwickeltes Verfahren hat dieses Problem nun gelöst: Eine normale Telefonverbindung mit schmaler Sprachbandbreite wird künstlich erweitert.

Ist HD-Telefonie nicht durchgängig verfügbar, wird dennoch exzellente Qualität und Verständlichkeit gewährleistet. Für den Transfer der künstlichen Sprach-Bandbreitenerweiterung erhielten drei Braunschweiger Wissenschaftler am 14. November den mit 10 000 Euro dotierten Technologietransferpreis der IHK Braunschweig: Professor Tim Fingscheidt, Patrick Bauer und Marc-André Jung vom Institut für Nachrichtentechnik der Technischen Universität.

"30 Jahre Technologietransferpreis"


Der Technologietransferpreis wurde in diesem Jahr zum 30. Mal verliehen. Insgesamt sind 79 Preisträger mit 37 Transferobjekten und einer Preissumme von mehr als 260 000 Euro ausgezeichnet worden, freute sich IHK-Präsident Dr. Wolf-Michael Schmid. Mit den Erfindungen, die für die Unternehmen häufig mit einer weltweiten Alleinstellung verbunden waren, wurden beachtliche Markterfolge erzielt. "Die größte Herausforderung war die Optimierung des Verfahrens für ein Produkt: die Produkttauglichkeit. Mit der Auerswald GmbH & Co. KG als Kooperationspartner ist der Schritt in den Markt gelungen", berichtet Professor Tim Fingscheidt. Im Frühjahr 2012 wurde das High-End-Systemtelefon COMfortel 3500 zum Technologieträger. Gerhard Auerswald, Geschäftsführer des in Schandelah im Landkreis Wolfenbüttel ansässigen Unternehmens, erläutert die Bedeutung: "Im Jahr vor der Markteinführung betrug der Marktanteil der Produktgruppe IP-Telefone etwa sechs Prozent (circa 1,1 Millionen Euro) des damaligen Umsatzes. Durch die neuen IP-Telefone mit Sprachverbesserungstechnologie erhöhte sich der Umsatzanteil bereits im zweiten Jahr nach der Einführung auf 15 Prozent (circa 2,8 Millionen Euro). "Aufgrund des außerordentlichen Erfolges brachte Auerswald weitere Produkte auf Basis der Technologie auf den Markt. Zur IP-Telefon-Produktfamilie gehört heute auch ein Einstiegsgerät. Im laufenden Geschäftsjahr erwartet das Unternehmen eine weitere Steigerung des Umsatzanteils auf 17 Prozent (circa 3,5 Millionen Euro). "Davon führen wir etwa die Hälfte auf die Transfertechnologie zurück", unterstreicht Gerhard Auerswald seine erfolgreiche Pionierfunktion. Sein Unternehmen hat in Deutschland bei Telefonanlagen einen Marktanteil von rund 25 Prozent und erwirtschaftet mit 175 Mitarbeitern einen Umsatz von 22 Millionen Euro. Großen Nutzen bringt die erweiterte Sprach-Bandbreite zum Beispiel bei internationalen Telefongesprächen, wenn die Sprache nur unzureichend beherrscht wird. Übertragungsdefizite werden ausgeglichen; Laute wie "s" und "f" sind gut unterscheidbar. Zur Verdeutlichung: Niedrige Frequenzen sorgen für ein volles und warmes Klangbild. Hohe Frequenzen tragen im Wesentlichen zu Klarheit und Verständlichkeit der Sprache bei.

"Handys sind ein Riesenmarkt"


Bedeutsam ist das Verfahren auch für andere Geschäftsfelder: für den Mobiltelefonmarkt, automotive Freisprechsysteme und den Hörgerätemarkt. Auch in diesen Marktsegmenten kooperiert das Entwicklerteam mit industriellen Partnern. "Wir sind kurz davor, die Technik in Handys zu bringen – im Auftrag von NXP Software in den Niederlanden. Ein Riesenmarkt. Das Ziel ist eine Sprach- oder auch Musikübertragung in CD-Qualität", berichtet Patrick Bauer. Im Auftrag der Volkswagen AG wurde ein Demonstrator für ein automotives Freisprechsystem gebaut. Die Software wurde an zwei Zulieferer für Infotainment-Komponenten transferiert. "Wenn diese Technologie auch in Fahrzeugen etabliert ist, wird es möglich, eine konsistent verbesserte Sprachqualität zu liefern", schaut Patrick Bauer voraus. Zur Weiterentwicklung von Hörgeräten kooperierte man mit der Siemens Hörgeräte GmbH. "Ein Hörgerät bringt die hohen Frequenzen zurück. Trotzdem haben die Träger noch große Schwierigkeiten zu telefonieren. Hier haben wir eine um bis zu 20 Prozent bessere Verständlichkeit bei kritischen Lauten erreicht. Die Entwicklung zielt auch auf eine höhere Lebensqualität und Partizipation", betont Professor Tim Fingscheidt.

Leidenschaftlich engagiert


"Alle drei Wissenschaftler haben sich leidenschaftlich und vor allem mit großem Erfolg für den Technologietransfer engagiert", sagte der Jury-Vorsitzende Professor Werner Gramm. Die Festansprache ("Normung und Standardisierung im Innovationsprozess") zur Verleihung des Technologietransferpreises hielt Professor Klaus Homann, Präsident des DIN Deutschen Institutes für Normung e. V. Die heutigen Zukunftstechnologien, so Homann, seien gekennzeichnet durch das Zusammenwachsen verschiedenster Technologien und Branchen, die eine Vielzahl von Schnittstellen erforderten. Am Beispiel Industrie 4.0 lasse sich das gut darstellen. Diese neue Vernetzung der virtuellen Welt mit der realen Fertigung erfordere eine nie dagewesene Integration der Systeme, die nur mit Hilfe von Normen und Standards realisiert werden könnten. Homann: "Wenn Systeme verschiedener Hersteller zusammenarbeiten müssen – und das branchenübergreifend und unter Umständen weltweit – ist eine gemeinsame Sprache notwendig, um Effizienz und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Die beteiligten Unternehmen sehen als größte Herausforderung der Umsetzung von Industrie 4.0 die Standardisierung an. Normen und Standards unterstützen die Kommunikation durch einheitliche Begriffe. Sie stellen Interoperabilität und Praxistauglichkeit sicher. Sie geben den Anwendern zudem Investitionssicherheit." Mehr Informationen hier.


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