Braunschweig. Die WelfenAkademie Braunschweig hat ein neues Veranstaltungsformat aus der Taufe gehoben: das Kamingespräch. Gastgeber bei der Premiere war allerdings nicht die Akademie selbst, sondern der Alumni-Verein, also die Gemeinschaft bisheriger Absolventen. Als Gastredner hatten sich die Alumnis um ihren Vorsitzenden Fabian Haars einen besonderen Mann ausgesucht: Heinrich Prinz von Hannover, qua Geburt also eine Art Ur-Welfe.
Der Mann ist bekannt aus Funk und Fernsehen und präsentiert sich als amüsanter Plauderer, der im Grunde über alles reden kann. Die 15 Gäste um den schweren Eichentisch im Kaminzimmer der Akademie waren allerdings in erster Linie an seiner Meinung zum Thema des Abends interessiert: "Was macht Welfen aus und welche Werte sind für uns wichtig?" Das war gleichwohl ein weites Feld, und so hörten die Besucher zunächst Details aus dem Hause Hannover. Dessen nunmehr in Göttingen wohnender Spross ist heute als Verleger tätig und fährt gerne Motorrad. Auf einer Spritztour durch den Harz stieß er erstmals auf die WelfenAkademie, die damals noch in Wöltingerode beheimatet war. "Dass sie unseren Namen trägt, zeigt mir, dass der Begriff Welfe noch immer einen hohen Stellenwert hat", freute sich Prinz Heinrich. Und er lobte seine Gastgeber, unter denen sich auch der ehemalige Wirtschaftsdezernent Braunschweigs befand, Joachim Roth, jetzt Vorstandsvorsitzender der Akademie: "Braunschweig hat sich in den vergangenen 20 Jahren erfreulich entwickelt - wirtschaftlich und kulturell. Hannover und Göttingen sind da eher stehengeblieben."
Welche Werte haben oder hatten Welfen? "Werte sind Erziehungssache", meinte von Hannover. In seinem Hause habe es bis 1918 eigene Hausgesetze gegeben, deren Wurzeln weit zurück reichten. "Im Grunde sind wir noch heute fast genossenschaftlich organisiert: Jene Verwandtschaft, die nicht so erfolgreich ist wie andere, wird von den erfolgreichen Linien subventioniert." Die Wertediskussion kam natürlich um den aktuellen VW-Skandal nicht herum. "Der Konzern hat in den vergangenen Jahren eine Riesenentwicklung hingelegt", meinte der 54-Jährige, der gleich zur Begrüßung nichts hören wollte vom Begriff "königliche Hoheit". "Aber bei dieser Entwicklung sind in manchen Kreisen des Konzerns offenbar Werte wie Ehrlichkeit und Vertrauen über Bord gegangen."
Dass es einen Unterschied gibt zwischen geäußerten und gelebten Werten, hatten eigenem Bekunden zufolge auch schon einige der Alumnis festgestellt. Die Absolventen der Akademie haben bekanntlich ein duales Studium hinter sich, wurden also von ihren Arbeitgebern für künftige Führungsaufgaben ausgesucht - da fiel das Thema "Werte in der Wirtschaft" auf besonders aufmerksame Ohren. "Wettbewerb kann Werte in Gefahr bringen", meinte Heinrich von Hannover, "ebenso kann es nach hinten losgehen, permanent Wachstum erzwingen zu wollen - siehe VW." Die Runde plädierte einmütig dafür, sich im Geschäftsleben auch mal in den Menschen auf der anderen Seite hineinzuversetzen. "Dann würde vielleicht manche Entscheidung menschlicher ausfallen."
Bewusst oder nicht: Mit mancher Aussage polarisierte der Gast durchaus. So hat er offenbar großen Respekt vor Elektrosmog: "In 20 Jahren wird es keine Telekom mehr geben", unkte er. "Der Konzern geht an den vielen Schadensersatzklagen wegen Krebs zugrunde." Oder zum DFB-Skandal: "Ich würde jetzt nicht über Herrn Beckenbauer herfallen. Die WM 2006 zu kaufen, war das Instrument der Zeit." Die Abläufe von damals gehörten heute aufgeklärt und künftig verhindert. "Dann ist es aber auch gut. Mit Ehrlichkeit hätten wir die WM sicher nicht bekommen."
Alles in allem war das ein unterhaltsamer Abend und der Auftakt einer Diskussionsreihe, die fortgesetzt wird. "Meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen", sagte Akademie-Geschäftsführer Dr. Jens Bölscher. Haars' Stellvertreter Lucas Schubert kündigte zwei bis drei Kamingespräche pro Jahr an. Und auch Joachim Roth hatte es offensichtlich gefallen: "Die Braunschweiger Wirtschaftsregion hat ja einen ganz besonderen Wert", sagte er abschließend, "den starken Mittelstand." Der nämlich sorge für Ausgleich auch in schwierigen Zeiten. "Ich bin sicher, dass Braunschweig weit weniger belastet aus der VW-Krise hervorgehen wird als manch andere Region."
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