Braunschweig. Ein Fahrrad in leuchtenden Farben, ein geringelter Baumstamm, ein Vogelhaus mit Schal, wolliger Baumschmuck – es sind echte Hingucker, die während eines Kunstprojektes in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums Braunschweig entstanden sind. Rund fünf Wochen hat eine kleine Gruppe von Patientinnen Alltagsgegenstände umstrickt und umhäkelt. Der Gewinn: Jede Menge Anerkennung, das Gefühl, Teil einer interaktiven und dynamischen Gruppe zu sein sowie das Wiederentdecken fast vergessener Fähigkeiten.
Initiiert wurde das Projekt von Cornelia Bastian, pflegerische Stationsleiterin der Station für Gerontopsychiatrie, und Ergotherapeutin Karola Hautt. Zu Beginn galt es, einige Widerstände zu überwinden. Denn inspiriert wurde das Projekt vom „Guerilla Knitting“ (zusammengesetzt aus dem spanischen guerrilla für „kleiner Krieg“ und dem englischen Knitting für „Stricken“), einem Trend, der aus den USA, England und Spanien nach Deutschland geschwappt ist und bei dem insbesondere Gegenstände des öffentlichen Lebens durch Stricken verändert werden. „Das war den Patienten völlig fremd“, erinnert sich Bastian. Auch der Ansatz, dass das Werk nicht perfekt sein musste und der Farbmix wild sein durfte, war den Teilnehmerinnen neu.
Umso beachtlicher ist, dass das Projekt schon während der Schaffensphase zum großen Erfolg wurde. Ergotherapeutin Hautt erklärt. „Es geht in unserer Arbeit darum, alte Ressourcen und Fähigkeiten wiederzuentdecken, Genesung zu fördern und eine sinngebende Beschäftigung auch für die Zeit nach der Therapie zu finden.“ Die Idee ging auf: Bereits nach kurzer Zeit waren die gerontopsychiatrischen Patientinnen, die nicht nur unter Rheuma und Gelenkschmerzen, sondern auch an Depressionen und beginnender Demenz leiden, so begeistert, dass sie auch abseits der Ergotherapie-Stunden strickten und häkelten und beides in ihren eigenen Klinikalltag einbanden.
Das eigene gestalterische Wirken, das Erleben in der Gruppe sowie Erfolg und Anerkennung – all das hat eine positive Wirkung gezeigt. Eine 75-jährige Patienten formuliert es so: „Es war ein Bärenspaß und eine tolle Gruppe. Für mich war es eine Wiederentdeckung. Ich habe vor 50 Jahren das letzte Mal gestrickt. Wenn ich weitermache, bin ich glücklich!“ Solche Reaktionen zeigen den Erfolg dieses Therapie-Bausteins. Denn zu dem Weg aus der Depression gehört auch die Wiederaufnahme und Bewältigung von Alltagstätigkeiten – wie Handarbeiten.
Zustimmung gab es auch von Chefarzt Privatdozent Dr. Alexander Diehl. „Er hat das Projekt mit Freude zur Kenntnis genommen und lässt uns die Freiheit“, sagt Bastian. Eine gute Voraussetzung für eine Fortführung des „Guerilla Knitting“. Denn ganz abgeschlossen ist das bunte Projekt noch nicht: Zwei Lampen im Garten der Klinik sollen noch ein warmes Gewand erhalten und auch der Baum hätte noch Platz für weitere Woll-Kunst.
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