Braunschweig. Als einen "Schlag ins Gesicht der Händler, Gastronomen, Kultur- und Sportbetriebe, die sich mit viel Aufwand und Engagement auf das Modellprojekt vorbereitet haben" bezeichnen regionale Wirtschaftsverbände in einem Brandbrief die Verschiebung der Modellprojekte zu Betriebsöffnungen unter Corona-Bedingungen in einem Brandbrief an die Stadtverwaltung und lokale Bundestagsabgeordnete. Die Stadt äußert Verständnis für die Betriebe, verweist aber auf die Unsicherheiten bezüglich einer möglichen Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Die Abstimmung darüber wird am heutigen Mittwoch erwartet.
Am 3. April wurde bekannt gegeben, dass Braunschweig sich erfolgreich als Modellkommune für Öffnungen qualifiziert hat. Bereits am 7. April wurde eine Verschiebung des Projektstarts bekannt gegeben, zunächst auf den 15. April. Am 12. April erklärte die niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens, dass der Start der Modellprojekte vorerst ausgesetzt wird. An der Inzidenz, so sind sich die Wirtschaftsverbände sicher, könne es nicht liegen. Diese habe zum Tag der Verkündung dieser Maßnahme unter der kritischen Marke von 100 gelegen. "Offensichtlich taugt der Inzidenzwert weder zur Erklärung des Aufschubs noch insgesamt als Maßstab für die Bewertung von Modellprojekten", wird in dem offenen Brief geschlussfolgert. Weiter heißt es: "Wer über den Start oder Abbruch von Modellprojekten allein mit der Inzidenz entscheiden will, kann sich die Durchführung solcher Projekte von Beginn an sparen." Unterzeichnet wurde der Brief unter anderem von der IHK Braunschweig, dem Arbeitgeberverband Region Braunschweig, der Handelsverband Harz-Heide, dem DEHOGA-Kreisverband Braunschweig-Wolfenbüttel, der Braunschweiger Arbeitsausschuss Innenstadt und der kaufmännischen Union.
Inzidenz eine "manipulierbare Kennzahl"
Aus Sicht der Wirtschaftsverbände hätten die Öffnungen die Möglichkeit geboten, viele Tests durchzuführen und so viele Infektionen aufzudecken. Mit dem Entdecken vieler Infektionen steige jedoch auch die Inzidenz. Aus Sicht der Wirtschaftsverbände ein Fehler im Konzept: Es müsse von Vorteil sein und es müsse Anreize für Bürger und Beschäftigte geben, wirklich ein bis zweimal in der Woche einen Schnelltest durchzuführen. "Entscheidend ist doch nicht die Inzidenz, sondern die Frage, ob die Modellprojekte wirklich zu einem echten Anstieg von Infektionen führen. Um dies zu vermeiden und eine bereinigte Sicht auf das Infektionsgeschehen zu erlangen, sollte das Modellprojekt – wie auch vom Gesundheitsministerium als vorzugswürdig beschrieben – wissenschaftlich und nicht allein durch eine einfache und offensichtlich manipulierbare Kennzahl begleitet und ausgewertet werden", so das Fazit im offenen Brief.
Bund blockiert Landesprojekte
Deshalb sei es in Planung der Landesregierung laut den Wirtschaftsverbänden richtig gewesen, die Projekte bei einem auf die Testungen zurückführbaren Anstieg der Infektionszahlen nicht abbrechen zu wollen. Da Bundesrecht Landesrecht bricht und hat die Debatte um das Infektionsschutzgesetz den zeitnahen Start der Modellprojekte blockiert - Die geplante Gesetzesänderung sieht keinen Spielraum für Öffnungen vor. Von langer Hand geplante Öffnungen unter hohen Hygieneauflagen hätten - je nach der heutigen Entscheidung des Bundestages und des Bundesrats am morgigen Donnerstag - wieder zurückgenommen werden müssen.
"Es wäre ein fataler Fehler, wenn das Bundesinfektionsschutzgesetz Modellprojekte unmöglich macht, weil es ihnen einen Regelungsrahmen setzt, der dem Grundgedanken von Modellprojekten niemals gerecht werden kann", so die Wirtschaftsverbände dazu. In der Wirtschaft verstehe man die Sorge um steigende Fallzahlen, sehe sich aber nicht als Verursacher: "In den Unternehmen stünden sehr umfangreiche Hygienemaßnahmen zur Verfügung, um einen Betrieb ohne die Gefahr von Infektionen zu ermöglichen. All das findet in den aktuellen Diskussionen zum Bundesinfektionsschutzgesetz keinen Anklang."
Der Stadt seien die Hände gebunden
Die Stadt äußert sich in einer Stellungnahme verständnisvoll hinsichtlich der Kritik der Wirtschaftsverbände und erklärt: "Die Stadtverwaltung hat diesen 'Braunschweiger Weg' nie allein an Inzidenzen gekoppelt. Vielmehr hat Oberbürgermeister Markurth bereits vor Wochen, auch in Abstimmung mit den anderen Oberbürgermeistern Niedersachsens, öffentlich deutlich gemacht, dass die alleinige Konzentration auf Inzidenzen nicht geeignet sein kann, wenn Öffnungen möglich werden sollen." Da habe man auch dem Land deutlich gemacht. Das Problem, wie auch die Stadt Braunschweig hervorhebt, seien die möglichen Änderungen am Infektionsschutzgesetz. "Klar ist auch, dass ein Öffnungsprojekt, das nach wenigen Tagen gegebenenfalls abgebrochen werden muss, der Wirtschaft nicht hilft, denn die Teilnahme ist mit intensivem Vorlauf und Kosten verbunden."
"Ein hin und her hilft niemandem"
Die Stadt habe bei all dem wenig Spielraum. Als "unglücklich" empfinde es die Stadt, dass sich der offene Brief parallel an Bund, Land und Kommune wende und Verantwortlichkeiten hier nicht differenziert würden: "So könnte der Brief so verstanden werden, dass die Kommune Möglichkeiten nicht nutzt, die es gar nicht gibt. Die Stadt ist an die Vorgaben von Bund und Land gebunden. Diese Maßnahmen kann man im Einzelfall sicher diskutieren und kritisch sehen, sie ignorieren oder im Widerspruch zu ihnen handeln kann man nicht. Dabei ist insbesondere die Kopplung der Öffnungen von Schulen und Handel an die Hochinzidenz vorgegeben." Abschließend bekräftigt die Stadt, weiter an Modellprojekten für Öffnungen festhalten zu wollen, auch ohne die Inzidenz als einzigen Maßstab zu sehen. "Ein Hin und Her von Öffnungen und Schließungen hilft niemandem", so die Stadt abschließend.
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