Braunschweig. Vor mehr als 15 Jahren ist Sameer Iqbal von Pakistan nach Deutschland gekommen. Wie das Land und die vielen unterschiedlichen Kulturen ihn verändern haben, erzählt er im Interview.
Er wirkte ein wenig scheu, als sein Name fiel und er vorne an das Rednerpult gerufen wurde. Ein Schwall lobender Worte brach über ihn herein. Er erhielt einen Händedruck, eine Urkunde und einen kleinen Holzkasten. Vorsichtig schaute er zu seiner Tochter und seiner Frau herüber. Die beiden standen nur wenige Meter von ihm entfernt und blickten ihm voller Stolz entgegen. Der 47-jährige Sameer Iqbal darf sich seither Tischlergeselle nennen – im Juni hat er seine Urkunde mit besonderer Auszeichnung erhalten.
"Jetzt oder nie", sagte sich Sameer vor über zwei Jahren und begann eine Umschulung zum Tischlergesellen. Seine jahrelange Berufserfahrung ersparte ihm eine dreijährige Ausbildung. „Ich habe bis dahin immer als helfende Hand in Werkstätten gearbeitet – in Pakistan und in Deutschland. Irgendwann erhielt ich dann den Anstoß, meine Fähigkeiten weiter auszubauen und einen anerkannten Abschluss zu erwerben.“ Sameer ist gut zwanzig Jahre älter als seine ehemaligen Mitschüler. „Das Lernen wird mit den Jahren nicht einfacher“, sagt er lachend. „Ich hatte Schwierigkeiten, alles, was in meinem Kopf geordnet erschien, auch so zu Papier zu bringen. Deutsch sprechen ist das eine, schreiben ist das andere.“
Das Land verändert einen
Oliver Struß (r.) lobte den 47-jährigen Sameer Iqbal für seine gefertigte Haustür. Foto: Sina Rühland
Nachdem der ganze Prüfungsstress von ihm abgefallen ist, wirkt Sameer gelassen. Nun habe er wieder mehr Zeit für seine Familie und mehr Zeit, um über sich selbst nachzudenken, sagt er. „So lange ich zurückdenken kann, gab es kein ‘Ich‘. In Pakistan denkt und handelt man nicht als Einzelner, sondern immer innerhalb der Familie.“ Die Fragen nach Identität, Selbstverwirklichung und individuellen Bedürfnissen stünden in seiner Heimat nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste. Heute, Jahre nach seiner Einwanderung, weiß Sameer, dass er sich allmählich diesen Raum geben muss. Nicht er habe Deutschland verändert, Deutschland habe ihn verändert.
Warum Sameer nach Deutschland geflohen ist, möchte er nicht vertiefen. Nur so viel sei gesagt: er kam aus politisch und persönlich motivierten Gründen hierher. „Meine erste Erinnerung ist Kälte. Meine Kleidung war viel zu dünn, es zog eisig durch die Baumwolle.“ Es war im Herbst 1999, als Sameer erstmalig deutschen Fußboden auf der Insel Rügen betreten hat. Man brachte ihn weiter nach Rostock, von dort aus ging es im Winter 1999 in die Landesaufnahmebehörde nach Kralenriede. Sameer habe keine schlechten Erinnerungen an die Flüchtlingsunterkunft, erzählt er. „Die Zeit in dem Heim war ehrlich gesagt hilfreich, denn ich kam etwas zur Ruhe und fühlte mich dort irgendwie beschützt. Nach zwei Monaten in Deutschland traf ich dort endlich Menschen, die meine Sprache verstanden.“ Sameer weiß, dass es in Erstaufnahmestellen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen öfter zu Ärger kommen kann „Mir sind diese Dispute nicht fremd – Pakistani und Inder können sich absolut nicht ausstehen. Nur leider waren Inder die einzigen, die meine Sprache verstanden“, lacht er. „Wenn man eine Weile mit Menschen aus so unterschiedlichen Kulturen zusammen gelebt hat, dann stellt man etwas erstaunliches fest: es existieren irgendwann keine kulturellen Grenzen mehr. Alle Menschen sind gleich. Wenn man den Willen hat, sich zu öffnen, dann kann man auch eine Weile mit zwanzig Menschen in einem Raum leben und sich wohl fühlen.“ Er fügt hinzu, dass es allerdings schön wäre, wenn sich die Situation der Menschen vor Ort allmählich mal verbessern würde. "Sowohl physische als auch mentale Käfige führten zu Kriegen", sagt Sameer.
Alles fügt sich
„Ich muss sagen, ich hatte Glück. Ich hatte Glück, weil ich mich nicht in einem mentalen Käfig befunden habe. Ich konnte und wollte mich öffnen. Ich fing an, mich selbst, meine Religion und Rollenbilder zu hinterfragen – ich hatte begonnen, selbst zu denken.“ Dass Sameer letztendlich in Braunschweig geblieben ist, spricht er der Liebe zu. „Ich habe meine wundervolle Frau kennengelernt. Wäre dem nicht so gewesen, würde ich vermutlich heute in England leben. Wir haben eine neunjährige Tochter, die mein ganzer Stolz ist. Meine Wünsche für die Zukunft? Ich möchte, dass meine Tochter ein guter und offener Mensch wird. Der Rest, der fügt sich dann ganz von alleine.“
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