Braunschweig. Wenn Menschen Kinder bekommen, die aus psychischen oder physischen Gründen nicht in der Lage sind ihre Schutzbefohlenen zu versorgen, gar eine akute Gefahr für sie darstellen, schreiten oft Behörden ein. Um Kleinkindern in Risikogefahrenlagen das Heim zu ersparen, sind dann Bereitschaftsmütter zur Stelle. Monika Ebeling ist so eine Mama auf Zeit. Sie nimmt die Kleinsten auf, um ihnen eine Weile Mutterersatz zu sein.
Der neun Wochen alte Max hatte einen schwierigen Start ins Leben. Während andere Neugeborene in den Armen der Eltern liegen, musste Max auf die Intensivstation – er hatte einen Entzug vor sich. Seine Mama, zu jung und zu krank, um sich liebevoll und fürsorglich um ihn zu kümmern. Bereits in der Schwangerschaft der suchtkranken Mutter war klar, dass sie das Kind nicht würde versorgen können. Das Geschwisterchen von Max lebte zu diesem Zeitpunkt schon in einer Pflegefamilie. Wenn eine solche Tragödie eintritt, dann sucht der Kinderpflegedienst der Stadt Braunschweig erst einmal Bereitschaftsmütter. Monika Ebeling vergleicht ihre Arbeit mit den Nothilfe-Einsätzen von Feuerwehr und Rettungsdienst. Erste Hilfe für die Kleinsten.
Jeder Zeit könnte das Telefon klingeln; der Anruf mit der Botschaft eingehen, dass gleich ein Kind kommt. So kamen auch Monika Ebeling und ihr Mann Harald zu ihrem sechsten Pflegekind Max. Der Unterschied zwischen Pflegeeltern und Bereitsschaftspflegeeltern ist die Zeit. Bei beiden Modellen entschließen sich Eltern, ihre Fürsorgekompetenz an fremde Kinder zu verschenken. Sie waschen, füttern, wiegen, streicheln, trösten und sorgen sich um die Kinder, die zuvor oft traumatischen Erlebnissen ausgesetzt waren oder eben vor diesen zu schützen sind. Während sich Vollzeitpflegeeltern für einen unbestimmten Zeitraum um die Kinder kümmern, sind die Bereitschaftsmütter ad hoc zur Stelle, wenn nachts ein Anruf kommt. Meist kümmern sie sich einige Wochen um die Kinder, die vom Jugendamt in Obhut genommen wurden, bevor sie dann zu Vollzeitpflegeeltern oder auch in Wohneinrichtungen kommen.
Verwahrlost, geschlagen und suchtkrank
Die Familientherapeutin des Jugendamtes Susann Vollmer erklärt, dass Kinder nur dann in Obhut genommen würden, wenn ihnen eine Gefahr drohe. "Meist kommen verschiedene Faktoren zusammen: Suchterkrankungen, Gewalt, Schulden, beengter Wohnraum, geistige und körperliche Behinderungen der Eltern, aus denen gefährliche Lebensbedingungen für die Kinder resultieren. Zumeist sind ohnehin schon sozialpädagogische Helfer in den Haushalten, um den Eltern im Umgang mit ihren Kindern zu helfen. Doch manchmal reicht diese Hilfe nicht aus, um Kindern eine sichere Zukunft bieten zu können. "Ich glaube, dass alle Eltern das beste für ihre Kinder wollen. Doch, wie sie es auch versuchen, sie schaffen es nicht. Sind Mütter stark alkohol- oder drogenabhängig und es herrscht auch noch Gewalt im familiären Umfeld, dann stehen diese Baustellen dem liebevollen Elterndasein im Weg. Ihr Leben kann sich nicht um das des Kindes drehen", so Vollmer.
Kinder, die daheim der Gewalt ausgesetzt sind, die suchtkrank zur Welt kommen, weil die Mütter getrunken oder Drogen genommen haben, tragen mitunter lebenslang die Folgen. Sie sind entwicklungsverzögert, lernen später sprechen und laufen, tragen körperliche Merkmale der mütterlichen Sucht davon. Wie sich der kleine Max entwickeln wird, kann nur ein Mediziner einschätzen. Dass sich potentielle Pflegeeltern jedoch auf Kinder einstellen müssten, die in der Regel etwas mehr Aufmerksamkeit, Fürsorge und Geduld bräuchten, sagt auch Bereitschaftsmama Monika Ebeling. Die 55-jährige Sozialpädagogin hat ihr gesamtes Berufsleben mit Kindern gearbeitet. Vor ihrer Zeit als Bereitschaftsmutter nahm sie bereits einige Pflegekinder in Vollzeit auf. Ihr Alter, ihre berufliche Erfahrung und ihre Kompetenz im Umgang mit Kindern seien von Vorteil, sagt Vollmer. Ebeling hat selbst Kinder und ist mittlerweile auch Großmutter. "Ich bin für die Kinder eine stabilisierende Oma. Ich kann meine Erfahrung teilen, die Kinder kräftigen und stärken", sagt sie. Sie wolle den Pflegekindern die Hoffnung und die Fürsorge geben, die ihnen daheim nicht gegeben werden konnte.
Eine Behörde kann das menschliche Netzwerk nicht ersetzen
Oft werden soziale Missstände über Generationen hinweg "vererbt". Lernen Kinder in ihrem jungen Leben nichts außer Gewalt, Chaos und Lieblosigkeit kennen, ist die Chance relativ hoch, dass sie diese Erfahrungen wiederum an ihre Kinder mitgeben – ein Teufelskreis. "Ich habe in meinem Berufsleben schon teilweise mehrere Generationen einer Familie begleitet. Dieses Kreislauf zu durchbrechen, ist nicht einfach", sagt Susann Vollmer. Auch Mitarbeiter einer Behörde könnten nur bedingt in einen Familienalltag hineinschauen. "Wenn Sozialarbeiter jeden Tag für zwei Stunden bei einer Familie sind, dann sind die Eltern doch noch immer 22 Stunden mit den Kindern alleine." Auch Familien entlastende Dienste könnten das Ausmaß nicht in Gänze beurteilen. "Welchen Schaden ein Kind davon getragen hat, sieht man oft erst im Zusammenleben", erzählt Monika Ebeling.
Doch Kindern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft abzusprechen, das sei nicht die Einstellung der Mama auf Zeit. "Kinder haben Potentiale, man muss an sie glauben", sagt Ebeling. Sie schaut den kleinen Max auf ihrem Arm an und sagt: "Aus dir kann etwas Großes werden." Es sei wundervoll zu sehen, wie sich die Kinder in den Wochen der Pflege entwickelten, erzählt Harald Ebeling. "Wenn sie laufen oder sprechen lernen. Wenn sie anfangen, sich etwas zuzutrauen – das ist großartig zu sehen", sagt er.
Wie wichtig es sei, dass sich Menschen für diese Kinder einsetzen, betont auch Familientherapeutin Susann Vollmer. Die Pflegefamilien würden tolle Arbeit leisten. Bereitschaftsmutter Monika Ebeling appelliert jedoch auch an das Netzwerk der Familien, aus denen Kinder in Obhut genommen werden müssen. "Machmal frage ich mich, wo die Großeltern, Nachbarn oder Freunde sind. Eine Behörde kann dieses familiäre Netzwerk nicht ersetzen", sagt sie.
(K)ein Weg zurück?
Um den Eltern den kontrollierten Umgang mit ihren Kinder zu ermöglichen, ihnen die Fürsorge für ihre eigenen Kinder beizubringen, dürfen sie ihre Kind dreimal wöchentlich bei der Bereitschaftsmutter besuchen. Einige Mütter nehmen diese Termine wahr, andere nicht. Ein Anruf, eine Absage, machmal käme auch gar nichts. Wie schwer es sei, einem wartenden Kind zu erklären, dass es die Mama doch nicht besuche, erklärt Ebeling. "Dann muss man trösten, ablenken und die Kinder wieder aufbauen."
Rund ein Drittel der Kinder kann, wenn sich die Lage daheim verbessert hat, wieder zurück. Dann ist es für Monika Ebeling an der Zeit, Abschied zu nehmen. Man müsse lernen, damit zurecht zukommen. Alles im Leben hätte eine begrenzte Zeit. Wer Gesprächsbedarf habe, der könne sich jeder Zeit an die Psychologen des Jugendamtes wenden, sagt Susann Vollmer. Es sei nicht für jede Bereitschaftsmutter leicht, das Kind wieder abzugeben.
Während ein Drittel der Kinder wieder in die eigenen Familie zurückkehren können, werden zwei Drittel in Einrichtungen oder bei Pflegeeltern untergebracht – je nach dem, wie viele Pflege- und Bereitschaftseltern aktuell verfügbar sind. In einem Jahr seien es mal mehr, im anderen mal weniger, sagt Vollmer. Wie erfüllend und sinnvoll dieser Job sei, betont auch Monika Ebeling. Nicht die berufliche, sondern die menschliche Kompetenz sei als Pflegemutter entscheidend.
Wer Interesse an einer Pflegeschaft hat, der kann sich über bei Monika Vollmer, Pflegekinderdienst der Stadt, unter Telefon: 0531 4708468 beraten lassen.
Anmerkung der Redaktion: Um die Persönlichkeitsrechte des Kindes und dessen Eltern zu wahren, haben wir den Namen des Kindes verfälscht.
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