Braunschweig. Auf den Braunschweiger Standortvorteil gut vernetzter Wirtschaft und Wissenschaft ging Oberbürgermeister Ulrich Markurth aus aktuellem Anlass gleich zu Beginn ein: Die Krise um Volkswagen bereite Sorgen und zwinge die Stadt angesichts sich abzeichnender Ausfälle bei der Gewerbesteuer die Haushaltslage und die Planungen für 2016 neu zu bewerten, sagte er vor rund 300 Gästen beim 32. Braunschweiger Unternehmergespräch im Thünen-Institut und beschrieb die Perspektiven am Standort: „Mit der Neuaufstellung an der Konzernspitze ist ein Neuanfang verbunden, bei dem auch technische Herausforderungen wie umweltfreundliche Antriebskonzepte und die Digitalisierung gemeistert werden müssen. Dabei können die kompetenten Braunschweiger mittelständischen Betriebe und die Forschungseinrichtungen helfen, die auf diesen Feldern gut aufgestellt sind.“
Allerdings: „Für wissenschaftliche Exzellenz und wirtschaftlichen Erfolg in Stadt und Region brauchen wir das Expertenwissen aus dem In- und Ausland. Deshalb ist eine ausgeprägte Willkommenskultur in unserer Stadt so wichtig“, fuhr Markurth fort. Gemeinsam mit Wirtschaft und Wissenschaft bündele die Stadtmarketing GmbH deshalb in der Fachkräfte-Initiative „Best choice“ die Kräfte im Wettbewerb um die „besten Köpfe“ und werbe mit Braunschweigs Vorzügen als Wohn- und Wirtschaftsstandort.
Als Oberbürgermeister sei er stolz auf das Engagement aus Kultur, Wissenschaft, Sport, Gewerkschaften und Politik. Das habe Braunschweigs Weltoffenheit und Toleranz bewiesen. Auch wenn Braunschweig als Standort der Landesaufnahmebehörde keine Flüchtlinge zum dauerhaften Aufenthalt zugewiesen würden, stelle deren starke Überbelegung die Stadt vor große Herausforderungen. Dies gelte auch für die Einwohner Kralenriedes, für deren Probleme eine Lösung gefunden werden müsse. Die Flüchtlingsfrage sei aber Teil der sozialen Verantwortung, der sich die gesamte Gesellschaft stellen müsse. Es gebe in Braunschweig viele Beispiele für Hilfe - aus der Bürgerschaft wie aus der Wirtschaft. Markurth wandte sich mit einem Appell an die Gäste des Unternehmergesprächs: „Beteiligen Sie sich mit Kreativität an der Lösung dieser Aufgabe. Wenn kein Ausbildungsplatz besetzt werden kann, dann vielleicht ein Praktikumsplatz.“ Wie in anderen Bereichen auch könnten mittelständische Unternehmen, die flexibler seien als Großunternehmen oder wissenschaftliche Einrichtungen, der Motor sein.
Ferner ging der OB in seiner Rede auf die große Bürgerbeteiligung mit dem Titel „Denk Deine Stadt“ ein, bei dem jeder seine Erwartungen formulieren kann, wie Braunschweig die Herausforderungen der Zukunft meistert. Auch bei diesem Thema appellierte der OB an die Entscheider aus Wirtschaft und Wissenschaft: „Bringen Sie sich in diesen Prozess ein. Teilen Sie uns Ihre Ansprüche an eine gelingende Zukunft unserer Stadt und Region mit und lassen Sie uns Ihre Ideen und Visionen wissen.“ Ein Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit liege in der Verbesserung der Verkehrsvernetzung. Er habe sich gemeinsam mit seinen Amtskollegen Mohrs in Wolfsburg und Klingebiel in Salzgitter dafür eingesetzt, dass sich die Rahmenbedingungen der Mobilität in der Region Braunschweig in den nächsten zehn bis 15 Jahren insbesondere mit dem Ausbau der Weddeler Schleife verbessern. „Braunschweig gehört zu den dynamischsten Wirtschaftsstandorten in Deutschland,“ sagte Wirtschaftsdezernent Gerold Leppa in seiner Begrüßung. „Doch in den städtischen Gewerbe- und Industriegebieten sind freie Grundstücke mittlerweile knapp. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an einem Entwicklungskonzept für Gewerbeflächen, das im Herbst der Öffentlichkeit vorgestellt wird.“ Die Braunschweig Zukunft habe dafür gemeinsam mit der Bauverwaltung das gesamte Stadtgebiet untersucht und ungenutzte oder entwicklungsfähige Flächen im Bestand auf ihre Eignung untersucht.
Wirtschaftsförderung, so Leppa weiter, bedeute, junge Unternehmen mit neuen Geschäftsideen zu unterstützen. „Sie schaffen die Innovationen, die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand. Deshalb kümmert sich die Braunschweig Zuklunft GmbH gemeinsam mit den Unternehmen und Institutionen im Gründungsnetzwerk so intensiv um Existenzgründer. Leider mangele es häufig an der Bereitstellung von Risikokapital. Davon seien vor allem junge High-Tech-Unternehmen betroffen. „Daraus ergibt sich im Wertschöpfungsprozess bei der Entwicklung zukunftsträchtiger Produkte und Dienstleistungen eine reale Verwertungslücke. Sie soll nach dem Modell eines ‚High-Tech Accelerator‘ geschlossen werden“, kündigte der Wirtschaftsdezernent an. Dafür bereiteten die TU Braunschweig und die Ostfalia Hochschule in Kooperation mit der Braunschweig Zukunft GmbH einen Förderantrag beim Land vor. Ziel sei, eine Plattform zu bilden, auf der Wissenschaft und Wirtschaft zusammengeführt werden, damit wissenschaftliche Erkenntnisse schneller in die betriebliche Praxis gelangen und die Bereitschaft erhöht wird, in Start-ups und damit in Innovationen zu investieren.
Zur Stärkung der technischen Kompetenz und zur Verbesserung der Innovationskraft und Wettbewerb strebt Braunschweig überdies eine Vorreiterrolle als „smart city“ an, blickte Leppa in die Zukunft. Voraussetzung dafür sei ein öffentliches WLAN mit einer Vernetzung nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Region. Dies ermögliche digitale Kommunikationsprozesse, die nötig sind, um intelligente Verkehrsmanagementsysteme zu installieren oder das „Internet der Dinge“ zu fördern, in dem Infrastruktureinrichtungen miteinander Informationen austauschen. Dazu zähle ganz praktisch auch, dass Parkgebühren künftig per Handy bezahlt werden können.
Der Wirtschaftsdezernent ging ferner auf das Fachkräftebündnis SüdOstNiedersachsen ein, das jetzt vom Land offiziell anerkannt worden sei. Darin hätten sich 27 regionale Partner aus den Städten und Landkreisen, den Agenturen für Arbeit, Hochschulen sowie Vertretern der Gewerkschaften und Kammern organisiert. Professor Folkhard Isermeyer, Präsident des gastgebenden Thünen-Instituts, stellte seine Institution vor. Sie stehe in der Tradition Johann Heinrich von Thünens, der bereits vor 200 Jahren zu bahnbrechenden Erkenntnissen gelangt sei, indem er die wirtschaftlichen Realitäten mit wissenschaftlicher Akribie analysierte und Vorschläge für Politik und Praxis ableitete. Damals wie heute gehe es um die Frage, welche Form der Land- und Forstwirtschaft an welchen Standort gehört, damit für die Gesellschaft ein bestmögliches Gesamtergebnis erzielt wird. Isermeyer: „Heute fragt uns die Politik zum Beispiel, wie die Fischfangquoten festgesetzt werden sollen, ob man die Wälder wegen des Klimawandels umbauen sollte, ob die Förderung der Bioenergie auf unseren Ackerflächen der richtige Weg ist oder wie sich die Tierhaltung in Einklang mit den gesellschaftlichen Erwartungen bringen lässt. Solche Fragen auf wissenschaftlicher Grundlage zu beantworten, ist eine faszinierende Aufgabe.“
Den Schlusspunkt setzte der Gastredner Dr. Helmut Tschiersky, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Er sprach darüber, welche Aufgaben und Herausforderungen sich durch den globalen Handel mit Lebensmitteln ergeben. „Das BVL wird sich in Zukunft verstärkt dem Thema Fälschung von Lebensmitteln (Food Fraud) widmen und Strukturen für deren Früherkennung mitentwickeln“, sagte Dr. Tschiersky. Der Pferdefleischskandal von 2013 habe gezeigt, wie viele Verbraucher, aber auch Wirtschaftsbeteiligte von derartigen Betrügereien betroffen sein können.
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