Perspektivwechsel: Was erwartet Einwanderer in Braunschweig?

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Braunschweig. In Braunschweig leben und arbeiten hochqualifizierte Wissenschaftler aus über 80 Ländern. Gleichzeitig beherbergt die Stadt als größter Standort der Niedersächsischen Landesaufnahmebehörde derzeit mehr als 1000 Asylsuchende. Das dokumentarische Theaterstück "Fliehen & Forschen" untersucht Migrationserfahrungen von Menschen, die auf unterschiedlichen Wegen nach Braunschweig gelangt sind.



Als bedeutender internationaler Forschungsstandort spiegelt Braunschweig die Widersprüchlichkeit deutscher Einwanderungspolitik. 17 mehrstündige Interviews haben die Mitglieder der "werkgruppe2" geführt - sowohl mit Wissenschaftlern als auch mit Flüchtlingen, die aus Krisengebieten wie Syrien, Sudan, Palästina, Pakistan und Afghanistan nach Braunschweig gekommen sind. Aus den mehr als 400 Seiten Interviewmaterial ist eine Textfassung entstanden, die gemeinsam von sechs Schauspielern für die Bühne erarbeitet wurde.

Wie wird ein Mensch aus dem Ausland in Deutschland empfangen? Welche bürokratischen und zivil-gesellschaftlichen Hürden stellen sich ihm? Der 40-jährige Saeed Maissara floh 2010 aus dem damaligen Sudan über Wien und München nach Braunschweig. Seine Erfahrungen sind neben vielen anderen in das Theaterstück "Fliehen & Forschen" eingeflossen. Maissara verbrachte, in Braunschweig angekommen, zehn Monate in der Landesaufnahmestelle in Kralenriede. "Es war eine schwierige Zeit. Als ich in Deutschland angekommen war, musste ich als Asylsuchender erst einmal alle Rechte abgeben. Ich durfte nicht arbeiten, ich durfte mich nicht frei bewegen." Die Menschenrechte, die ihm durch das Regime im Sudan genommen wurden, blieben ihm indes auch in Deutschland durch das Asylrecht versagt. Dies, so Maissara, habe er nicht verstanden.

Islamfeindlichkeit im Alltag


Der Wirtschaftswissenschaftler Zabi Hamidi berichtet aus seiner Sicht als Forscher. Der 34-Jährige kam Anfang der 1982er Jahre von Afghanistan nach Deutschland. Zwar könne er sich an diese Zeit nicht erinnern und sei auch eher wenig mit Rassismus im Alltag konfrontiert gewesen, habe jedoch gerade in den vergangenen Jahren als Islamgläubiger seine Erfahrungen gemacht. "Ich habe mich lange gar nicht als Muslim wahrgenommen, sondern eher als Ausländer. Im Alltag habe ich keine Probleme, doch man sieht und liest viel in Online-Medien, speziell in den Kommentaren." Nach seinem Studium besuchte Hamidi sein Geburtsland Afghanistan. "Als ich wieder kam, standen bei mir eines Tages Kriminalbeamte vor der Tür. Sie stellten mir Fragen, wo ich gewesen sei und warum. Wie kamen die auf mich? Es stellte sich heraus, dass ein Mensch bei Polizei angerufen und mich auf Verdacht gemeldet hatte. Es war ein Sachbearbeiter meiner Krankenversicherung. Er saß am Nebentisch als ich eine Termin hatte und bekam mit, wie ich von meiner Reise erzählte. Später entschuldigte er sich bei mir und ich verzichtete auf weitere juristische Maßnahmen." Einen weiteren Eindruck hat Zabi Hamidi bei der Wohnungssuche gemacht, erzählt er. "Ich rief bei der Firma an, nuschelte schnell meinen Namen über und fragte in fehlerfreiem Deutsch nach der ausgeschriebenen Wohnung. Als meine Frau und ich – sie trägt ein Kopftuch – dort ankamen, wurde uns gesagt, dass die Wohnung vergeben sei. Daraufhin bat ich eine Freundin nochmals bei der Immobilienfirma anzurufen und nach selbiger Wohnung zu fragen und siehe da – sie war noch frei."

Das freie Theaterkollektiv "werkgruppe2" hat aus diesen Erfahrungsberichten das dokumentarische Theaterprojekt "Fliehen und Forschen" inszeniert. "Fliehen und Forschen" ist ab dem 27. März im Kleinen Haus des Staatstheaters zu sehen.


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