Predigt zur Hubertusmesse


Die Klosterkirche Riddagshausen wurde für die Hubertusmesse entsprechend dekoriert. Foto: Siegfried Nickel
Die Klosterkirche Riddagshausen wurde für die Hubertusmesse entsprechend dekoriert. Foto: Siegfried Nickel | Foto: Siegfried Nickel



Braunschweig. "Ungewöhnlich", so beschreibt Pfarrer Bernhard Knoblauch die Hubertusmesse vom vergangenen Sonntag in der evangelischen Klosterkirche Riddagshausen in seiner Predigt, die wir an dieser Stelle unkommentiert und ungekürzt veröffentlichen:

Predigt zur Hubertusmesse



Eine Hubertusmesse – in einer evangelischen Kirche – ist schon etwas Ungewöhnliches. Ungewöhnlich nicht nur durch die besondere Form der Musik. Ungewöhnlich nicht nur, weil die Kirche sonst wohl eher selten mit Laub und Tannengrün geschmückt ist. Ungewöhnlich auch nicht nur deshalb, weil wohl nur zu diesem Anlass Jagdhunde und Jagdvögel im Gotteshaus zu sehen sind. Letztere gehören – wenn schon dann – oben in den Kirchturm. Aber das macht das Ungewöhnliche noch nicht vollständig. Nein, ungewöhnlich ist eine Hubertusmesse in einer evangelischen Kirche besonders deshalb, weil wir Protestanten mit der Reformation und aus guten theologischen Gründen eigentlich Schluss gemacht haben mit jedweder Heiligenverehrung. Berufs- oder Schutzheilige – wie der Heilige Hubertus – haben in der protestantischen Frömmigkeit keine besondere Bedeutung. Schlicht deshalb, weil im Zentrum des protestantischen Selbstverständnisses das unvermittelte, das unmittelbare, das mittlerfreie Verhältnis zwischen Mensch und Gott steht. Keine Institution – weder Kirche noch Heilige – außer Jesus Christus selbst – ist zwischen den Einzelnen und Gott geschaltet. Jede und jeder ist selbst der Mann – ist selbst die Frau – die sich ihrem lieben Herrgott zuwenden kann und soll. „Durch Schrift aber mag man nicht beweisen, dass man die Heiligen anrufen oder Hilf bei ihnen suchen soll. ‚Dann es ist allein ein einziger Versöhner und Mittler gesetzt zwischen Gott und Menschen, Jesus Christus’, welcher ist der einzige Heiland.“ So heißt es in der Confessio Augustana, der Augsburgischen Konfession von 1530, einer der wichtigsten lutherischen Bekenntnisschriften im 21. Artikel:

Allerdings heißt es dort auch positiv: „Vom Heiligendienst wird von den Unseren also lehret, dass man der Heiligen gedenken soll, auf dass wir unsern Glauben stärken, so wir sehen, wie ihnen Gnad widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist; darzu, dass man Exempel nehme von ihren guten Werken, ein jeder nach seinem Beruf.“

Denn Heilige sind nach protestantischem Verständnis alle, die an Jesus Christus glauben und damit von ihm geheiligt sind. Die Heiligen sind wir, die Glaubenden dieserzeit und hierzulande und jenerzeit und dortzulande. Also Menschen mit durchwachsenen Lebensläufen und verhagelten Lebensentwürfen. Menschen, deren farbenfrohes Lebenskleid auch unschöne Flecken hat, einen schmutzigen Schleier gar nicht vermeiden konnte. Und zu dieser Gemeinschaft der Heiligen – gehörte dann durchaus auch der Heilige Hubertus von Lüttich.

Das war – sozusagen – die Apologie, die theologische Rechtfertigung und Begründung dafür, warum wir heute diesen Gottesdienst feiern. Aber – damit es in diesem Gottesdienst nicht bei einer schlichten Gedächtnisveranstaltung bleibt, damit wir uns nicht nur wohlgefällig in der Pflege alter Traditionen genügen – bleibt die Frage, worin dem Heiligen Hubertus denn Gnad widerfahren ist, wie ihm denn durch den Glauben geholfen wurde, welches Exempel wir von seinen guten Werken nehmen können.

Fangen wir beim Letzteren an. Was kann man aus dem Leben des Hubertus lernen? Nachdem ihm Gott erschienen war „baute er sich eine Hütte aus Baumzweigen und Schilf und führte, von der Welt geschieden, in stiller Waldeinsamkeit ein bußfertiges, abgetötetes Leben.“ Findige Tierschutzorganisationen protestieren bekanntlich genau mit diesem Argument – Hubertus habe doch selbst für sich der Jägerei, dem Waidwerk entsagt - gegen die Tradition der Hubertusmesse und die Jagd insgesamt. Der christliche Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung – lasse sich nicht mit dem Töten unschuldiger Lebewesen vereinbaren – kann man lesen.

Bewahrung der Schöpfung – ein Begriff der heute übrigens gerne auch von denen im Munde geführt wird, die nicht dem Schöpfungsglauben anhängen. Und – ich will es mal scharf formulieren – der von vielen im Munde geführt wird, die um die Zusammenhänge des Schöpfungsglaubens nicht wirklich wissen.

Aber: geht es im Leben des Heiligen Hubertus um die Bewahrung der Schöpfung? Ich meine: Nein. Und ich meine Ja. Nein, denn auch Hubertus wird nach seiner Gottesbegegnung nicht nur von roten Linsen oder vom Fleisch natürlich verendeter Tiere gelebt haben. Und darüber dass die Bewahrung der Schöpfung die Hege und Pflege und Bebauung und jagdliche Nutzung der uns von Gott anvertrauten Welt ausschließen solle – darüber hätte jeder mittelalterliche Denker verwundert den Kopf geschüttelt. Der – heute häufig falsch verstandene – weil zugegebenermaßen häufig missbrauchte – Schöpfungsauftrag des „dominium terrae“ der „Herrschaft über die Welt“ schließt Eingriffe in die Welt eben nicht aus. Aber es geht nicht um menschliche Herrschaft im Sinne von verantwortungsfreiem Tun und Lassen was man will. Es geht um verantwortungsvolle „Kultivierung der Welt“ – die etwas anderes ist als die moderne Maßlosigkeit unserer räuberischen Zivilisation.

Aber – noch einmal gesagt – zunächst geht es im Leben des Heiligen Hubertus, wie es uns die Legende berichtet, überhaupt nicht um die Bewahrung der Schöpfungswelt in der wir leben. Es geht vielmehr und zuallererst um den Menschen Hubertus. Oder um es doch mit dieser Formulierung zu sagen: Es geht um die Bewahrung des Geschöpfes Hubertus.

Es war einmal der wilde Hubert – dem war vor allem er selbst wichtig. Seine Lust. Seine eigene Leidenschaft. Sein Auto. Sein Haus. Seine Garderobe. Seine jährlichen Urlaubsreisen. Sein durchtrainierter Körper. Ach nee, die Jagdlust. Die Geselligkeit mit dem Jagdgefolge. Das sich gegenseitig auf die Schultern Klopfen. Sicherlich auch das Gefühl der Macht mit der Waffe in der Hand Herr über Leben und Tod zu sein. Und der Triumph des perfekten Schusses. Das war der wilde Hubert. Und wenig war ihm heilig: Der Sonn- und Feiertagsschutz nicht, denn weil er so ein schlechtes Gedächtnis hatte musste er am Sonntag immer Brötchen kaufen gehen. Ach nee, aber seine Jagdlust brannte so sehr, dass er selbst die Karfreitagsruhe nicht aushielt. Dass er auch die Verletzung der religiösen Gefühle seiner Mitmenschen – in dem Fall seiner eigenen Ehefrau – billigend in Kauf nahm.
Der wilde Hubert – er war ein ziemlich moderner Mensch. Denn er war, er ist nicht mehr oder weniger als die Personifikation des modernen Menschen aller Zeiten. Ein Sinnbild des Menschen, der der maßlosen Selbstbefriedigung seiner eigenen Triebe frönt. Des Menschen, der nicht nach Gott fragt und dem das Mitgeschöpf nur Lustobjekt ist.

Der wilde Hubert. Der sich bei aller lustvollen Selbstverkrümmtheit jedoch nicht endgültig vor Gottes Wort und Stimme verkrümeln konnte.

Als er einem prächtigen Hirschen nahe kam und schon den Bolzen nach dem Tiere abdrücken wollte, bleibt dasselbe plötzlich stehen, wendet sich nach dem Jäger, und mitten in seinem Geweih erscheint ein strahlendes Kreuz. Eine Stimme ertönt und klagt ihn an: 'Hubertus, ich erlöste dich und dennoch verfolgst du mich!'

Mitten im Treiben ruft Gott Hubertus an. Gottes Stimme ist es, nicht die des Hirschen, die da spricht: „Hubertus, ich erlöste dich und dennoch verfolgst du mich.“ „Hubertus, ich erlöste dich.“ Das strahlende Kreuz bringt Licht in das Halbdunkel des wilden Hubert. „Hubertus, ich erlöste dich.“ Wozu hastest du weiter im Selbstverwirklichungswahn? Warum tust du alles, um ja nicht zur Besinnung zu kommen? Wieso verweigerst du dich deiner eigenen Bestimmung zur Gemeinschaft mit mir, zur Gottebenbildlichkeit?
BAAAM. Der Schuss saß. „Hubertus erbebte.“ Diese Fragen brachten seine eigene, innere Welt ins Wanken. Er war wie gelähmt – und begann zu sich zu kommen.

In der Legende heißt es, er warf sein Geschoss von sich und flehte innig zu Gott. Was sollte er jetzt auch mit der Waffe? Jetzt ging es um Innerliches. Um ihn selbst. Hubertus begann zu sich zu kommen. Und traf für sich den Entschluss, in aller Abgeschiedenheit und ablenkungsfrei über Gott und die Welt nachzudenken. Das dauerte. Und Hubertus veränderte sich dabei. Er kam dabei zu sich – und kam zum Glauben – und machte den zu seinem Beruf.

Der Heilige Hubertus, liebe Hubertusgemeinde, hätte – nachdem er zu sich selbst und zum Glauben gekommen war – auch wieder auf die Jagd gehen können. Denn verantwortlich praktiziert widerspricht dieser nichts. Hubertus hätte auch sein altes Leben als Aristokrat wieder aufnehmen können. Verantwortlich praktiziert ist die Politik eine gute Ordnung Gottes. Oder Hubertus hätte ganz irgendetwas anderes machen können. Denn nachdem ihm die Wahrheit seiner eigenen Existenz aufgegangen war, hätte er sein Selbst- und Welt- und Gottesverhältnis überall verantwortlich und bewusst gelebt. Und das ist unsere Aufgabe als Christenmenschen. Uns selbst als Geschöpf – unsere Welt als Mitgeschöpf und unseren Gott als Schöpfer in aller Verantwortlichkeit die Ehre zu geben.

Amen.


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