Sasha Marianna Salzmann erhält Ricarda Huch Poetikdozentur 2020


Symbolbild: pixabay
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Braunschweig. Die Roman- und Theaterautorin, Essayistin, Theatermacherin und Kuratorin Sasha Marianna Salzmann erhält für ihr bisheriges Werk den Preis der Ricarda Huch Poetikdozentur für Gender in der literarischen Welt 2020. Dies berichtet die Stadt Braunschweig.


Der Preis wird von der Stadt Braunschweig, der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Carolo Wilhelmina Braunschweig, dem Braunschweiger Zentrum für Gender Studies (BZG) und dem Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte und Geschichtsvermittlung (TU) gestiftet und umfasst ein Preisgeld von 7.000 Euro sowie einen dotierten Lehrauftrag im Sommersemester 2020.

Die Verleihung des Preises an Sasha Marianna Salzmann sowie der Auftakt zu den öffentlich zugänglichen Vorlesungen findet am 7. Mai 2020 im Roten Saal, Schlossplatz 1, um 18.30 Uhr statt.

Das Votum der Jury:


„Die Jury würdigt mit der Verleihung der 6. Poetikdozentur Sasha Marianna Salzmann als Autorin, die konsequent für eine vielfältige, demokratische, geschichtsbewusste Kultur eintritt, und zwar mit Werken von hohem künstlerischem Niveau, die eine breite Öffentlichkeit ansprechen. Mit Salzmann gewinnen wir für die Ricarda Huch Poetikdozentur 2020 eine schon in jungen Jahren herausragende vielversprechende Romanautorin und gleichzeitig zum ersten Mal eine Theatermacherin.

Die Jury hebt mit dem Preis in besonderem Maße die Vielseitigkeit ihrer künstlerischen Arbeiten hervor, darunter ihren Erstlingsroman ‚Außer sich‘ (2017), der u.a. 2017 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, 2018 den Mara-Cassens-Preis erhielt und sage und schreibe bereits in 15 Sprachen übersetzt wurde. Bemerkenswert ist ihre Vermittlungsarbeit zwischen Identitäten und Kulturen. Sie öffnet und sensibilisiert in ihrem vielseitigen Schaffen den Blick auf die Notwendigkeit von Verbündetenschaft und den Widerstand gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Erstlingsroman "Außer sich"


Die Protagonistin ihres Erstlingsromans ‚Außer sich‘, Ali (Alissa), kommt mit den Eltern und dem Zwillingsbruder in den 1980er Jahren aus Russland nach Deutschland. Der Bruder, Anton, verschwindet eines Tages spurlos, und nur eine Postkarte aus Istanbul ohne jeden Text verweist auf seinen möglichen Aufenthaltsort. Ali macht sich auf die Suche und geht ebenfalls nach Istanbul. Dort gerät sie*er mitten in die Revolte- und Aufbruchsstimmung der türkischen Gesellschaft hinein. Ali macht einen Selbstfindungsprozess durch, der nicht in einem neuen stabilen Ich, sondern in der Stabilisierung von Instabilität endet. Trotz wiederkehrender Phasen von Depression und Erstarrung lernt Ali die verschiedensten, oft queeren Lebensentwürfe in einer anderen, in sich vielfach gebrochenen und doch reichen Kultur kennen. Vor diesem Hintergrund werden die Familiengeschichte und die Geschichte des Zwillingspaars in Bruchstücken erzählt: Es entsteht eine Collage, in der transgenerationelle Gewalt, kulturelle Brüche und Widersprüche, das Scheitern und doch auch teilweise das Gelingen von Integration dargestellt werden. Ali, schon lange lesbisch lebend, bewegt sich in Richtung auf ein männliches Ich, spritzt sich Testosteron und nimmt zum Schluss den Namen des Bruders an. Dieser hingegen bleibt ein Phantom, ein Alter Ego und gleichzeitig das Gespenst eines nie geahndeten Missbrauchs und eines der Mutter abhanden gekommenen Kindes. Die Bilder einer Istanbuler Gegenwart, die lebendig, zum Teil gewalttätig, dann wieder sexgeladen, zärtlich, poetisch und politisch sind, mischen sich mit Erinnerungen an die verstörende Migrationserfahrung. Immer wieder blitzt die Einsicht auf, dass es noch etwas Schlimmeres gibt, als wegen der russischen Herkunft ausgegrenzt zu werden, nämlich jüdisch zu sein – auch dies ein transgenerationelles Erbe.

"Mut zum Experiment"


Die Autorin hat Mut zum Experiment, sie probiert wiederholt verschiedene Arten des Erzählens aus. In ihrem Buch über Grenzen, über sexuelle, kulturelle, nationale, religiöse Identität, über Trauer, Gewalt und Wut variiert Salzmann einige etablierte Erzähltopoi, wie den der Identitätssuche mittels Reise, der inzestuösen Liebe, aber auch der transgenerationellen Gewalterfahrung. Und es ist auch eine Liebeserklärung an Istanbul.

Auch Salzmanns Theaterszenerien sind mehrdeutig, irreal, unterdeterminiert, doch auch phantasievoll, kaleidoskopartig, politisch, tragisch und komisch. Ihre Figuren stehen im Leeren, in Nicht-Welten; oder in Welten, die so montiert sind, dass Klebestellen, Risse und Spalten sichtbar sind oder im Laufe der Stücke sichtbar werden.

Trotz der gekonnt erzeugten Verknappung und Kargheit erinnern manche ihrer Szenen an barocke trompe l’œil Bilder: Je nachdem, aus welcher Perspektive sie gesehen werden, entsteht eine andere Szene oder eine andere Gestalt. Und dies, obwohl die dargestellten Figuren aus wenigen Elementen zusammengesetzt sind.“


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