Sensationsfund im Museum - 300 Jahre altes Geheimnis aufgedeckt

Mit der anspruchsvollen Restaurierung eines prunkvollen Vitrinenschrankes fing alles an.

Vitrinenschrank für das Braunschweiger Residenzschloss, Detail mit Hohlraum und Schriftstück.
Vitrinenschrank für das Braunschweiger Residenzschloss, Detail mit Hohlraum und Schriftstück. | Foto: Herzog Anton Ulrich-Museum / Kathrin Ulrich

Braunschweig. Was als anspruchsvolle Restaurierung begann, entpuppt sich als wissenschaftliche Sensation: Im Herzog Anton Ulrich-Museum (HAUM) wurde ein prunkvoller Sammlungsschrank aus der Zeit Herzog August Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel (1662–1731) restauriert. Neueste Analysen und ein spektakulärer Fund bringen nun Licht in ein bislang verborgenes Kapitel der höfischen Kunst- und Möbelgeschichte des frühen 18. Jahrhunderts und versprechen ein besonderes Highlight für die große Jubiläumsausstellung 2029. Das berichten die 3Landesmuseen in einer Pressemitteilung.



Zwischen 1725 und 1730 ließ Herzog August Wilhelm zwölf aufwendig gestaltete Vitrinenschränke zur Ausstattung seines neuen Braunschweiger Residenzschlosses, den „Grauen Hof“, anfertigen. Zehn waren für den bedeutendsten Raum seiner Kunstsammlung bestimmt, als Schau- und Aufbewahrungsmöbel für kostbarste Preziosen aus Gold, Silber, Edelstein, Elfenbein, Bergkristall und Bernstein. Ihr Aufbau mit verspiegelten Rückwänden, seitlichen Fenstern und einer Glastür war innovativ und auf Wirkung angelegt: eine Inszenierung von Reichtum, Wissen und Weltgewandtheit.

Überraschung bei der Sanierung


Von dieser ursprünglich zehnteiligen Schrankgruppe haben sich heute vier Möbel im Herzog Anton Ulrich-Museum erhalten. Sechs Exemplare wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Tausch gegen Kunstwerke an andere Institutionen und Sammlungen abgegeben. Nun wurde eines der verbliebenen Stücke grundlegend restauriert – mit überraschenden Ergebnissen.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse


Im Fokus des Restaurierungsvorhabens stand anfangs die Untersuchung der ursprünglichen Oberfläche. Zunächst ließen sich lediglich die beiden aus früheren Analysen bekannten Materialien Dammar (Naturharzfirnis) und Wachs nachweisen. Das Besondere daran: Dammarharzlack wurde erst seit dem 19. Jahrhundert als Abschlussfirnis für Gemälde verwendet, soweit bekannt aber nicht für holzsichtige Objekte. Der Lack trübte im Laufe der Zeit ein und nahm einen orangefarbenen Ton an, der das äußere Erscheinungsbild der Möbel beeinträchtigte.

Der Vitrinenschrank für das Braunschweiger Residenzschloss sowie das Schriftstück mit Künstlersignatur.
Der Vitrinenschrank für das Braunschweiger Residenzschloss sowie das Schriftstück mit Künstlersignatur. Foto: Herzog Anton Ulrich-Museum / Kathrin Ulrich


Eine aufwendige Analyse durch das Labor von Frank Mucha (FH Erfurt) ermöglichte schließlich erstmals den zweifelsfreien Nachweis des historischen barocken Glanzlacks. Damit ließ sich auf ein ursprünglich vollkommen anderes Erscheinungsbild der fürstlichen Vitrinenschränke schließen: Die lebendige Farbigkeit der verwendeten Hölzer – von hellem Eschenholz bis zu dunklen Palisandereinlagen – tritt nun wieder deutlicher hervor. Hervorzuheben ist, dass erstmalig die Verwendung von Olivenholz an einem Braunschweiger Möbel nachgewiesen werden konnte.

Historischer Lack rekonstruiert


Der historische Lack wurde rekonstruiert und in Proben erfolgreich angewendet, sodass eine vollständige Restaurierung und die Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes möglich waren. Die authentische Farbigkeit und Tiefenwirkung des Holzes sowie der Glanz des Möbels konnten wieder sichtbar gemacht werden!

Nach 300 Jahren gefunden


Den eigentlichen Sensationsfund allerdings machte das Restaurierungsteam um die Diplom-Restauratorinnen Ursel Gaßner und Julia Köhler mithilfe der neuen digitalen Röntgenanlage des HAUM: In einem verborgenen Hohlraum des Gesimses kam ein gerolltes Schriftstück zum Vorschein, das rund 300 Jahre dort verborgen war. Das auf 1729/30 datierte Dokument identifiziert den bislang unbekannten Auftragnehmer und Schöpfer der Möbel: den Braunschweiger Kunsttischler Johann Ulrich Staats. Dieser hatte mit seinen kostspieligen Holzvertäfelungen maßgeblich zur Ausgestaltung des Braunschweiger Residenzschlosses in den 1720er Jahren beigetragen. Zwar war Staats aus historischen Baurechnungen bekannt, sein Werk galt jedoch seit dem Schlossbrand von 1830 als verloren.

Für Ursel Gaßner, die am Herzog Anton Ulrich-Museum für Lack- und Möbelrestaurierung verantwortlich ist, ist der Fund etwas Besonderes: „Trotz vieler früherer Restaurierungseingriffe blieb dieses Dokument immer fest verschlossen und verborgen. Es ist fast so, als hätte uns Meister Johann Ulrich Staats die Hand gereicht.“ Durch diesen Fund kann sein Name nun erstmals eindeutig mit den erhaltenen Vitrinenschränken in Verbindung gebracht werden. Dies markiere einen Durchbruch für die Forschung zur barocken Möbelkunst in Norddeutschland.

Ausblick auf 2029


Die Restaurierung des ersten Sammlungsschranks wurde durch Mittel des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder und durch mobile Gesellschaft der Freunde von Möbel- und Raumkunst ermöglicht. Auf Grundlage der neuen Erkenntnisse ist nun geplant, bis zum 275-jährigen Jubiläum des Herzog Anton Ulrich-Museums im Jahr 2029 alle vier erhaltenen Schränke zu erforschen, zu restaurieren und im historischen Kontext mit Blick auf die ursprüngliche Sammlungsinszenierung Herzog August Wilhelms neu zu präsentieren.

Dr. Thomas Richter, Leitender Direktor des HAUM, betont: „Ich freue mich sehr, dass die deutsche Barock-Forschung hierdurch wichtige Impulse erlangt und dass wir an diesem Beispiel zeigen können, wie wichtig Expertise und zielorientierte Museumsarbeit sind! Hiervon profitieren in allererster Linie die ‚Eigentümer der Kunst‘: die Bürgerinnen und Bürger, unser Publikum!“ Zugleich fließen die Ergebnisse in ein umfassendes Forschungsprojekt zur höfischen Kunst- und Repräsentationskultur des 18. Jahrhunderts ein, das derzeit am Museum entsteht und 2029 in einer groß angelegten Ausstellung gipfeln wird.

Führung am Samstag


Eine erste Führung zum Thema „Innovatives Möbeldesign für Braunschweig“ mit der Diplom-Restauratorin Ursel Gaßner findet am 21. September 2025 von 11:30 bis 12:30 Uhr im Herzog Anton Ulrich-Museum statt. Im Zentrum der Führung steht der jüngst restaurierte barocke Vitrinen-Schrank aus dem ehemaligen Braunschweiger Residenzschloss. Anmeldung unter buchung.haum@3landesmuseen.de oder telefonisch (Mo–Fr von 10 bis 17 Uhr) unter 0531 1225-2424.