Braunschweig. Im Braunschweiger Podcast "We Do-Wie Du" erzählen Jugendliche mit psychischen und psychosomatischen Störungen über ihr alltägliches Leben, ihre Erfahrungen sowie Lebensgeschichten und sprechen dabei auch über Themen aus dem Bereich der Jugendhilfe. Unterstützt werden sie dabei von den Betreuern der Mansfeld-Löbbecke-Stiftung. Der Podcast ist auf allen einschlägigen Plattformen zu hören und richtet sich an alle Interessierte.
Geschützt vom Schilde Siegfrieds auf dem Burgundenplatz, hinter einigen Laubbäumen versteckt, befindet sich das Salm-Studio der Mansfeld-Löbbecke-Stiftung. In dieser ehemaligen Fischräucherei, die mittlerweile ein Werkstatt- und Ausstellungsraum ist, entsteht ein besonderer Podcast, der von Bewohnern und Betreuern der Stiftung in Eigenregie produziert wird.
"Viele der Jugendlichen leiden unter psychischen Erkrankungen, wie etwa Persönlichkeitsstörungen oder Autismus, aber auch Jugendliche, die keine Pflegefamilie gefunden haben kommen zu uns", erklärt Kai-Peter Hain, Heilerziehungspfleger und Kunstpädagoge, der bereits seit acht Jahren in der Stiftung arbeitet und das Salm-Studio mitbegründet hat. Die Idee für den Podcast entstand bei einem abendlichen Beisammensein der Bewohner und Betreuer, bei dem darüber nachgedacht wurde, wie zu Beginn der Corona-Zeit an die Öffentlichkeit herangetreten werden könnte, da Kunstausstellungen zu jener Zeit nicht möglich waren: "Der Podcast ist relativ schnell entstanden: Wir haben uns darüber informiert, wie man das Studio aufbaut und welches Equipment wir nehmen und zwei Wochen später ging es los", erzählt Moritz, ein Bewohner der Stiftung und aktives Mitglied des Podcasts. Bei der Themenwahl sei die ständig wechselnde Besetzung des Podcasts frei: "Es sollen Themen sein, die uns persönlich betreffen und es soll authentisch rüberkommen. Was besprochen wird, hängt auch immer von der Konstellation ab", erklärt Hain.
Zu Beginn sei es für die Teilnehmer des Podcasts etwas ungewohnt gewesen, doch man habe sich an das Aufnehmen gewöhnt. Man habe zudem gemerkt, dass sich dabei der Sprachduktus ändert, da man sich automatisch gewählter und reflektierter ausdrücke. "Wir mussten aber nicht üben, uns nicht zu unterbrechen, das fand ich ulkig", berichtet Hain erfreut. Das Schneiden übernehmen ebenfalls diejenigen Bewohner, die Lust darauf haben. Dabei werden sie von den Betreuern, wie Lina, Studentin der sozialen Arbeit, unterstützt. Für diese Aufgabe fänden sich jedoch weniger Freiwillige, als für das Einsprechen des Podcasts. Im Nachhinein werde von vielen verschiedenen Stellen geschaut, ob das Gesagte auch so veröffentlicht wird oder nicht. Deshalb dauere die Produktion der Folgen länger. Das Veröffentlichen und das Aufnehmen fänden daher unregelmäßig statt. "Manchmal kommt etwas Wichtigeres dazwischen. Der Podcast ist eine schöne Art herauszukommen und Schwellen zur Öffentlichkeit abzubauen, aber es ist ein Substitut in Zeiten von Corona. Wir bevorzugen eher analoge Mittel", erzählt Hain. "Es ist kein Muss und wir haben keine Regelmäßigkeit. Wir sprechen uns immer spontan ab", ergänzt Moritz.
Das Salm-Studio im Inneren: Hier sollen Kunstausstellungen stattfinden, aber momentan dient es zum Aufnehmen der Episoden. Foto: Martin Laumeyer
Zurzeit gibt es drei veröffentlichte Folgen und zwei, die noch in Arbeit seien. Thematisch werden sich die nächsten Episoden beispielsweise darum drehen, wie man seine persönliche Freude behält. Bei härteren Themen, wie etwa Suizidalität, die durchaus aufkommen können, werde darauf geachtet, dass die Veröffentlichung für die jeweilige Person in Ordnung gehe. "Es muss jeder wissen, ob er über ein Thema sprechen möchte oder nicht. Die anderen respektieren diese Entscheidung auch und wenn es gar nicht geht, wird das Thema übersprungen", erzählt Moritz.
Das Studio solle ein Ort der Begegnung werden
Die Schwere des Themas habe auch Einfluss auf den Schnitt der Episoden: "Kommentiert man so ein Thema, nach dem die Geschichte zu Ende erzählt wird? Das Sprechen darüber schult aber auch die eigene Reflexion. Die Geschichte wird etwas Abgeschlossenes, wie ein Brief an sich selbst", erzählt Hain weiter. Trotz der Schwere mancher Themen, sei es ein lockeres Umfeld. Gerade für Betroffene werde der Podcast daher zu einer geeigneten Informationsquelle. Ferner solle das Projekt auch die Persönlichkeit Betroffener stärken: "Man muss nicht jede Einrichtung nehmen, die das Jugendamt vorschlägt, auch wenn man das Gefühl hat, man müsse. Man kann seine Wünsche äußern und die müssen gehört werden", beschreibt Hain die Problematik, die manch ein Betroffener habe. Der Podcast solle gegenüber der Öffentlichkeit Schwellen abbauen und zeigen, dass das Erwachsenwerden in einer solchen Einrichtung ein normales sei. Auch mit der "individuellen Wohnform" solle dieser Abbau gelingen: Die "Klienten" wohnen in ihren eigenen Zwei-Zimmer-Wohnungen, neben anderen Mietern, die nicht in Verbindung mit der Stiftung stehen. Das Besondere an diesem Modell sei, dass jeder seine Individualität, seinen Kontakt zur Öffentlichkeit und im Notfall einen Ansprechpartner habe. Es gehe darum, die Autonomie des Alltags zu erlernen: "Je mehr ein Klient das kann, desto weniger muss er auf uns zurückkommen", versichert Hain.
Auch das Salm-Studio, das im Oktober 2020 eröffnete, solle ein Ort der Begegnung für das Viertel werden. "Man soll sich treffen und begegnen; etwas gemeinsam machen. Immer wenn man etwas zusammen macht, schafft man es, sich auf Augenhöhe zu begegnen und eine gemeinsame Sprache zu sprechen", hält Hain abschließend fest. Im Studio sind Kunstaktionen und Workshops, aber auch Ausstellungen von Werken der Bewohner angedacht. Die Mansfeld-Löbbecke-Stiftung wurde 1833 in Braunschweig gegründet und betreut sowie fördert junge Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen nach ihren individuellen Bedürfnissen. Es gibt heute zehn Standorte, unter anderem in Braunschweig, Goslar, Salzgitter und Wolfenbüttel. Wer sich am Podcast beteiligen möchte, sei herzlichst eingeladen.
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