Wenn nur noch die Pflegefamilie bleibt

von Sina Rühland


| Foto: Sina Rühland



Braunschweig. Was tun, wenn Eltern nicht gut für ihre eigenen Kinder sind? Viele Kinder in Braunschweig sind in Pflegefamilien untergebracht. Der Bedarf dafür wächst weiter, und auf der Suche nach Familien, die sich die Aufnahme eines Pflegekindes vorstellen können, geht der Pflegekinderdienst der Stadt Braunschweig jetzt neue Wege.

Mit der Aktion "Ist hier noch Platz? Lebensmodell Pflegefamilie“ möchte der Kinderpflegedienst in Kooperation mit Stadtbibliothek und dem Raabe-Haus über Pflegefamilien informieren. Im Vordergrund steht die Aufklärung, gleichzeitig soll aber auch auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht werden, ein Pflegekind aufzunehmen. In den vergangenen Jahren sind die Zahlen der Kinder, die in Obhut genommen wurden, gestiegen. Die Zahl hat sich innerhalb eines Jahres vervierfacht. "2013 waren es noch 10 Kinder, 2014 sind es schon 42", erzählt Susann Vollmer, Leiterin des Kinderpflegedienstes Braunschweig. Grund für die gestiegene Zahl sei die erhöhte Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. "Die Anteilnahme bei den Menschen ist unter anderem durch die mediale Berichterstattung größer geworden. Nachbarn oder Kita-Mitarbeiter schauen nun deutlich genauer hin, wenn ein Kind Auffälligkeiten zeigt."

Um diesen Kindern ein liebevolles Zuhause vermitteln zu können, bedarf es Eltern, die ihre Zeit und Fürsorge zur Verfügung stellen. Zwar nehmen auch Einrichtungen die Kinder auf, gerade aber bei den Kleinsten seien feste Bezugspersonen wichtig, so Vollmer. Gerade Pflegeeltern könnten den Kindern Struktur, Verlässlichkeit und Konstante bieten – eine familiäre Zukunft, wenn die eigene Familie keine gemeinsame mehr hat. "Neun von zehn Kindern können trotz unterstützender Hilfsmaßnahmen für die Familien nicht mehr zurück, weil das Risiko der Kindeswohlgefährdung einfach zu hoch wäre. Das heißt, dass wir immer mehr Vollzeitpflegeeltern suchen. Je jünger das Kind, desto eher braucht es einen familiären Rahmen. Gerade für Kinder, die sich längere Zeit in Risiko-Lebenslagen befanden, ist das doppelt wichtig." Zur Zeit gebe es noch immer 35 Kinder, denen aufgrund des mangelnden Angebotes keine Pflegeeltern vermittelt werden konnten.

Unterschiedliche Arten der Pflege


Bereitschaftseltern: Zum einen gibt es die Bereitschaftseltern. Bereitschaftspflege ist die kurzfristige und zeitlich begrenzte Aufnahme eines Kindes in eine Familie. Bereitschaftsmutter oder -vater kann werden, wer belastbar, geduldig und flexibel ist. Gesucht werden Menschen mit Lebens- und Erziehungserfahrungen, die Grenzen setzen und Grenzen respektieren können. Wichtige Voraussetzung ist die Auseinandersetzung mit sich selbst, die Bereitschaft zur Fortbildung und zur Zusammenarbeit mit dem Pflegekinderdienst und den Herkunftsfamilien der Kinder. Wichtig ist auch, das alle Familienmitglieder mit der Aufnahme von Kindern auf Zeit einverstanden, die Hauptbetreuungsperson nicht berufstätig und die eigenen Kinder älter als 4 Jahre sind.

Befristete Pflegeschaft: Zum anderen gibt es die zeitlich befristete Vollzeitpflege. Wenn Eltern aus den unterschiedlichsten Gründen so überfordert sind, dass sie ihr Kind gefährlich vernachlässigen kann das die Ursache für die Herausnahme sein. Weil aber Kinder, egal was sie erlebt haben, ihre Eltern lieben und in ihrem sozialen Umfeld verwurzelt sind, sollen Eltern und Kinder nach Möglichkeit die Chance auf eine Rückführung erhalten. Während das Kind für einen befristeten Zeitraum in der Pflegefamilie betreut wird, arbeiten die Eltern mit der Unterstützung durch Fachleute daran, die Erziehungsbedingungen zu verbessern und die Erziehungsfähigkeit so weit herzustellen, das eine Trennung auf Dauer vermeidbar ist. Die Pflegeeltern bringen die Bereitschaft mit, sich auf das Kind und seine Familie einzulassen und arbeiten gemeinsam mit allen Beteiligten auf eine Rückführung hin. Mit Rückführungen können alle Beteiligten gut umgehen, wenn von vornherein Klarheit über die Perspektive des Kindes und die Haltung der Pflegeeltern besteht.

Dauerhafte Pflegeschaft: Wenn Kinder für einen längeren Zeitraum oder auf Dauer nicht bei ihren Eltern leben können, finden sie in einer Pflegefamilie einen neuen Lebensmittelpunkt. Manche Kinder werden zu Ihren Eltern zurück keh- ren, während andere in der neuen Familie aufwachsen werden. Pflege- kinder sind Kinder zweier Familien. Unabhängig davon, wie wahrscheinlich eine Rückführung ist, sollte der Kontakt zur Herkunftsfamilie in jedem Fall erhalten bleiben. Das hilft Kindern, in Kontakt mit ihren Wurzeln zu bleiben, sich ein realistisches Bild ihrer Eltern zu machen und ihre Geschichte besser zu verarbeiten.


Ausstellung zum Thema Pflegeeltern


Die Ausstellung zur Aktion "Ist hier noch Platz? Lebensmodell Pflegefamilie“ informiert unter anderem in Stadtbibliothek über Kinder in Pflegefamilien. Das Sachbuch für Kinder "Alles Familie" von Anke Kuhl und Alexandra Maxeiner erklärt Kindern im Grundschulalter spielerisch, welche unterschiedlichen Arten von Familienkonstellationen es in Deutschland gibt. Neben Patchwork-Familien werden auch Pflegefamilien oder Familien mit gleichgeschlechtlichen Paaren gezeigt.

Außerdem hatte der Pflegekinderdienst in Kooperation mit dem Haus der Familie und der Kommunikationsdesignerin und Künstlerin Sonja Warntjen Pflegefamilien im Vorfeld zu einer besonderen Aktivität eingeladen. Mit den eigenen Kindern und den Pflegekindern im Alter zwischen 5 und 12 Jahren sollte gemeinsam ein Bild entstehen. "Wir malen unser Familienbild - gemeinsam, gleichzeitig und intuitiv“ geht davon aus, dass es für eine Familie ein emotional verbindendes Erlebnis ist, in einem gemeinsamen Prozess ein individuelles Bild zu erschaffen, denn jedes Familienmitglied ist als Einzelperson sehr wichtig für das Gelingen und stellt gleichzeitig einen Teil des Gesamtbildes dar. So zeigt sich Zusammengehörigkeit, die auch für andere sichtbar wird und auch so soll Interesse geweckt werden, selbst darüber nachzudenken, ein Pflegekind aufzunehmen.

Vier der Kunstwerke sind bis 15. Juni in der Stadtbibliothek (Kinder- und Jugendbibliothek, 3. OG) zu den üblichen Öffnungszeiten (Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr) ausgestellt. Gezeigt werden ergänzend Illustrationen der Künstlerin Anke Kuhl aus dem Kinderbuch "Alles Familie!“ von Alexandra Maxeiner. Ein Infoabend des Pflegekinderdienstes für Paare, Singles und Lebensgemeinschaften in der Kinderbibliothek findet am 3. Juni von 18.30 bis 20 Uhr ebenfalls in der Stadtbibliothek statt.


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