Braunschweig. Bei der Eröffnung des Handelsforums in der Industrie- und Handelskammer fand IHK-Vizepräsident Joachim Wrensch deutliche Worte: „In vielen Städten haben wir sehr viel Verkaufsfläche. Bei den Städten über 200000 Einwohnern liegt Braunschweig bundesweit hinter Magdeburg, Erfurt und Chemnitz auf Platz 4 – mit 2,4 Quadratmetern pro Einwohner. Das bedeutet Platz 1 in den alten Bundesländern – und das soweit ich weiß ohne den BraWo-Park! Und Wolfsburg und Goslar liegen deutlich über dem Braunschweiger Wert.“
Die Flächenproduktivitäten seien in den letzten Jahren deutlich gesunken. Wrensch: „Das heißt, wir haben bereits jetzt erhebliche Überkapazitäten im Einzelhandel. Neue Verkaufsflächen führen in diesem Umfeld zur Verdrängung und zur Schließung bestehender Unternehmen.“ Aus Sicht der IHK müssten die Kommunen in unserer Region unter diesen Rahmenbedingungen neue Verkaufsflächen genauestens prüfen und abwägen – sowohl in den Innenstädten und insbesondere außerhalb der Innenstädte.
„Städte der Region zum Nachdenken und Einlenken bewegen“
Die IHK, so Wrensch weiter, habe zu einem Handelsforum eingeladen, um nicht nur Braunschweig, sondern auch alle anderen Städte der Region zum Nachdenken und Einlenken zu bewegen. Das Handelsforum befasste sich aber nicht nur mit dem Problem der räumlichen Steuerung des Einzelhandels in der Region Braunschweig, sondern auch mit den Herausforderungen durch Internet und demografischen Wandel. „Als umsatzrelevant entpuppt sich für den stationären Handel auch zunehmend der Online-Kauf der Konsumenten. Die Innenstadt ist nicht mehr alleiniger Verkaufsraum. Die bisherige Flächenexpansion wird möglicherweise in überschau-barer Zeit auslaufen. Es besteht die Gefahr von Überkapazitäten in den Innenstädten mit Leerständen und Standorterosionen. Andererseits eröffne die Digitalisierung dem stationären Handel auch Chancen“, stellte Joachim Wrensch vor rund 100 Teilnehmern fest.
„Online-Handelszuwachs steigt“
Wie die Handelswelt der Zukunft aussieht, schilderte Dr. Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung, Köln. Der Online-Handelsumsatz sei in Deutschland im letzten Jahr in einem stagnierenden Marktumfeld weiter deutlich gestiegen auf 37,5 Milliarden Euro. Das entspreche knapp neun Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Ohne die Güter des täglichen Bedarfs seien es sogar 16 Prozent. Lebensmittel, Kosmetik und Möbel würden nach wie vor am liebsten stationär gekauft. Den höchsten Online-Anteil hätten technische Produkte (40 Prozent), Schuhe (18 Prozent), Kleidung (17 Prozent) und Wohnaccessoires (13 Prozent). Die steigenden Online-Aktivitäten bezeichnete Stüber als Hauptursache für die sinkenden Besuche der Innenstädte.
Stüber forderte die Einzelhändler auf, das sogenannte Cross-Channel-Verhalten der Konsumenten nicht zu unterschätzen und als Chance zu begreifen. „Online ist inzwischen der Showroom des stationären Handels“, betonte sie, von Beratungsdiebstahl ist heute keine Rede mehr.“ Über 32 Prozent der Käufe in stationären Geschäften sei eine Informationssuche in Online-Shops vorausgegangen. 2008 habe diese Quote lediglich bei 23 Prozent gelegen. Umgekehrt würden sich nur 11 Prozent im stationären Handel informieren, um dann in Online-Shops zu kaufen. 2008 seien dies noch 27 Prozent gewesen.
Die vorgelagerte Informationssuche im Internet führe darüber hinaus zu einer deutlich höheren Ausgabebereitschaft der Kunden. Den Durchschnittsbetrag bei einem Kauf im stationären Geschäft im Jahr 2013 bezifferte Stüber mit 302 Euro (2008: 220 Euro). Erfolge der Kauf dagegen ohne vorherige Information im Internet, seien es lediglich 135 Euro (2008: 140 Euro). Ein entscheidender Faktor für den Erfolg des stationären Einzelhandels seien im Übrigen individuelle Konzepte und Dienstleistungen, um dem Kunden ein besonderes Einkaufserlebnis zu bieten. Genauso wie der stationäre Handel stehe aber auch der Online-Handel vor großen Herausforderungen. „Aufgrund der geringen Marge werden 90 Prozent der reinen Online-Händler nicht überleben. Nur diejenigen, die absolut professional agieren, werden es schaffen“, vermutet Stüber.
„Die Folgen der demografischen Entwicklung“
Eine schrumpfende Nachfrage ist für den stationären Handel im Großraum Braunschweig auch aufgrund der demografischen Entwicklung zu erwarten. Das machte Siegfried Thom vom Zweckverband Großraum Braunschweig deutlich. Er rechnet bis zum Jahr 2030 mit einem Bevölkerungsrückgang von 66 000 Einwohnern und einem Rückgang des Kaufkraftvolumens von 374 Millionen Euro. Extreme Bevölkerungsrückgänge erwartet Thom in den Landkreisen Goslar, Helmstedt und Wolfenbüttel. Demgegenüber geht er in den Städten Braunschweig und Wolfsburg von einer stabilen Bevölkerungsentwicklung aus. Der Anteil der Rentner (ab 60) an der Gesamtbevölkerung wachse von 28 Prozent im Jahr 2011 auf 36 Prozent im Jahr 2030.
Im zweiten Teil des Handelsforums ging Hans-Jürgen Tarrey, Erster Stadtrat der Stadt Peine, auf die aktuelle Entwicklung des Mittelzentrums Peine ein und Marc Föhrer von der Dortmunder Beratungsgesellschaft Stadt + Handel berichtete über kommunale Einzelhandelskonzepte.
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