Corona-Krise trifft Bewohner von Lebenshilfe-Wohnheimen besonders hart

Das Besuchsverbot habe die Bewohner schwer getroffen.

Susanne Hinze-Röhrig leitet den psychologischen Dienst der Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel.
Susanne Hinze-Röhrig leitet den psychologischen Dienst der Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel. | Foto: Lebenshilfe

Helmstedt/Wolfenbüttel. Die Corona-Pandemie mitsamt ihren Einschränkungen im Leben trifft die gesamte Gesellschaft – Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen aber auf besondere Weise. Sie haben oft eine ohnehin herabgesetzte Stresstoleranz und Belastbarkeit, geringere Bewältigungsressourcen und bei kognitiven Einschränkungen große Verständnis- und Verarbeitungsschwierigkeiten. Bei der Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel sind inzwischen die Werkstätten wieder in Betrieb – zumindest zu 50 Prozent. Auch in den Kindergärten herrscht wieder Leben. Und die Bewohner der Wohnheime können unter Berücksichtigung spezieller Maßnahmen Besuch von außen empfangen. Dies berichtet die Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel.


„Wir merken, dass alle gerne zurückkommen und sich freuen, dass es wieder losgeht. Von Normalität kann aber noch nicht die Rede sein“, sagt Susanne Hinze-Röhrig, Leiterin des psychologischen Dienstes der Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel. Augenscheinlich sind die meisten Betreuten gut durch die Schließung der Einrichtungen gekommen. Doch manche Betreuten zeigen Symptome wie Ängste, Trauer, Depression oder wahnhafte Gedanken, andere waren in stationärer oder ambulanter Behandlung. „Wir können das Ausmaß der psychischen Folgen jetzt erst nach und nach erfassen“, sagt Hinze-Röhrig.

Belastungen durch Kontaktverbot


Das Kontaktverbot habe unzählige Beschäftigte der Werkstätten hart getroffen. „Für etliche Beschäftigte besteht das Sozialleben größtenteils aus Freundschaften in der Werkstatt. Die sind komplett weggebrochen. Manche Freunde haben sich Monate lang nicht gesehen“, erklärt die Psychologin.
Der direkte Kontakt sei auch für Betreuer entscheidend. Telefonate könnten das nicht annähernd ersetzen. Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen haben zudem oftmals Schwierigkeiten, den Tag zu strukturieren. Die Arbeit in der Werkstatt sei dafür ein wichtiges Element, was ebenfalls weggebrochen ist.

„Unsere größte Sorge galt – wie auch in der Gesamtgesellschaft – den Menschen, die alleine leben. Vereinsamung ist ein großes Problem“, so Hinze-Röhrig. Die Bewohner der Wohnheime seien dahingehend gut versorgt gewesen, auch wenn viele insbesondere unter dem Besuchsverbot stark gelitten haben. Selbst Angehörige durften monatelang nicht zu Besuch kommen. „Viele Menschen mit geistigen Behinderungen haben auch eine sozial-emotionale Entwicklungsverzögerung. Da ist die Bindung zu den Eltern im Erwachsenenalter oft noch sehr stark“, erklärt die Psychologin.

Kaum Konflikte in den Wohnheimen


Es gebe aber auch positive Entwicklungen. „Wir haben mit vielen Konflikten in den Wohnheimen gerechnet. Die sind größtenteils ausgeblieben.“ Manche Bewohner hätten durch die Zeit sogar profitiert.
So seien neue Freundschaften entstanden. „Manche sind jetzt erst so richtig im Wohnheim angekommen“, berichtet die Psychologin.

Auch im Elementarbereich sind die Folgen noch nicht abzuschätzen. „Die Kinder, die zu uns kommen, haben einen erhöhten Förderbedarf. Da hat vieles nicht stattgefunden“, so Hinze-Röhrig. Besonders trifft es die Kinder, die nach dem Sommer zur Schule gehen. „Im letzten halben Jahr im Kindergarten findet viel Vorbereitung für die Schule statt. Das ist in den nun verbleibenden Wochen nicht in gleichem Umfang nachzuholen.“

Kindergartenkinder auch betroffen


Ebenso betroffen seien die künftigen Kindergartenkinder. „Normalerweise kommen die im Frühjahr zum Schnuppern, es finden Elternabende statt“, berichtet Hinze-Röhrig. Auch die erforderliche Diagnostik habe nicht wie gewohnt stattgefunden – stattdessen wurde überwiegend nach Aktenlage entschieden. „Wir müssen aber die Gruppeneinteilungen vornehmen. Dabei gehen wir üblicherweise nach bestimmten Kriterien vor. Das wird dieses Jahr eine Herausforderung, da wir die Kinder teilweise gar nicht persönlich kennen.“

Gut durch die Krise gekommen sei die Lebenshilfe insbesondere durch den lobenswerten Einsatz ihrer Mitarbeiter. „Alle haben weiterhin Kontakt gehalten“, so Hinze-Röhrig. Zum Beispiel haben Bildungsbegleiter die Menschen im Berufsbildungsbereich weiter mit Lernmaterial versorgt. Die Mitarbeiter der Werkstätten waren kontinuierlich im meist telefonischen Kontakt zu den Beschäftigten und deren Angehörigen oder Betreuern. Die Kindergärten haben Kontakt zu den Familien gehalten. Das Ambulant betreute Wohnen und die Frühförderung haben mit speziellen Maßnahmen weiterhin durchgängig ihre Hausbesuche gemacht. Für die Mitarbeiter sei die Zeit auch eine große Belastung gewesen, zumal auch sie ihre Sorgen hatten und haben. So sei zum Beispiel in der Pflege und der Kinderbetreuung die von den Hygienevorschriften erforderte Kontaktlosigkeit kaum umzusetzen.

Der psychologische Dienst hat zudem frühzeitig zwei Notfall-Handynummern bekannt gegeben. „Am Anfang gab es wenig Anrufe. Das häufte sich dann mit der Zeit“, berichtet die Lebenshilfe-Psychologin. Oftmals wollten die Anrufer dabei einfach nur reden oder hatten Fragen. Insgesamt seien alle Einrichtungen mit ihren Betreuten gut durch die vergangenen Monate gekommen, betont Hinze-Röhrig noch einmal. Ein Ende der Pandemie ist aber noch nicht abzusehen und sie wird auch weiterhin unsere Arbeit und unser Leben stark beeinflussen. Die Langzeitfolgen seien noch nicht abzuschätzen. Viele Fragen seien noch offen.


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