Wolfsburg. Die Corona-Pandemie hat in unserer Region bisher den traurigen Höhepunkt im Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg erreicht. In dem Pflegeheim für Demenzerkrankte starben binnen kürzester Zeit 15 Bewohner an dem Virus. Drei alleine in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Nicht nur für die demenzerkrankten Bewohner bedeuten die verschärften Sicherheitsmaßnahmen in dem Heim massive gesundheitliche Risiken. Die Angehörigen können sich aktuell nicht von ihren sterbenden Verwandten verabschieden. Seit dem 13. März gilt eine strenge Besuchssperre.
"Zu unserer Sterbekultur gehört es, dass Angehörige sich auch verabschieden können. Das ist ihnen jetzt verwehrt", erklärte Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs während der Pressekonferenz zur Situation in dem Pflegeheim: "ich glaube, dass für viele dieser Abschied daher jetzt besonders schmerzlich ist. Jeder von ihnen hätte sich gewünscht, sich anders verabschieden zu können." Ralf-Werner Günther vom Diakonischen Werk Wolfsburg schließt sich dieser Aussage an: "Es ist eine besondere Situation, vor allem für die Angehörigen. Dass eben der liebe Vater, die liebe Mutter, die Schwester, einfach beim Sterbeprozess nicht mehr begleitet werden können."
Der Diakonie-Vorsitzende meint jedoch auch, dass alles seine Zeit habe: "Es wird sicher eine Zeit geben, in der wir die Trauer nachholen können." Gleichzeitig mahnt Günther, dass nun die Zeit sei, gegen das Virus zu kämpfen: "Wir müssen dagegen kämpfen, denn die Perspektive, die wir zurzeit haben, ist eine katastrophale Perspektive. Und die Herausforderung für das Hans-Lilje-Heim mit den demenziell veränderten Menschen ist eine riesengroße, weil diese Menschen ganz anders reagieren, als normal zu pflegende Menschen."
"Wir müssen dagegen kämpfen, denn die Perspektive, die wir zurzeit haben, ist eine katastrophale Perspektive."
Veränderungen lösen Angst aus
Im Hanns-Lilje-Heim hat sich am vergangenen Wochenende noch einmal einiges verändert. 79 der 165 Bewohner sind nachweislich mit dem COVID-19 Erreger infiziert. Hinzu kommen etliche Angestellte. 28 Freiwillige sind einem Aufruf der Stadt Wolfsburg gefolgt, um den Angestellten des Heims zumindest ein wenig die Last von den Schultern zu nehmen. Dort wurden die Bewohner strikt nach Corona-positiven und Corona-negativen Fällen getrennt - auch räumlich. Nicht einmal mehr die Pflegekräfte beider Bereiche kommen in Kontakt miteinander. Das alles bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich, wie Heimleiter Thorsten Juch zu berichten weiß: "Unsere Mitarbeiter haben Hygienemaßnahmen eingesetzt, die haben Schutzkittel an, Schutzmasken und Schutzbrillen auf, sie müssen sich das so vorstellen, da kommt jemand zu ihnen ins Zimmer, den sie überhaupt nicht kennen. Das ist für einen demenziell veränderten Bewohner eine Situation, die kann er nicht verstehen." Verstehen würde er ebenso wenig die Maßnahmen, die Zur Eindämmung des Virus getroffen wurden.
Die Bewohner haben sich immer frei bewegen können. Nun seien sie auf eine Station, oder sogar auf ihr Zimmer beschränkt. "Das erschwert auch unseren Kollegen die Versorgung der Bewohner." Auch im Bereich der nicht-Infizierten mussten die Bewohner massive Einschnitte hinnehmen - alles, was sich nicht einwandfrei desinfizieren lässt, musste aus den Zimmern weichen. Polstermöbel, Kleidung, Bilder - persönliche Gegenstände. Diakonie-Sprecherin Bettina Enßler fasst zusammen: "Die Bewohner reagieren auf diese Veränderung mit Angst. Und ganz oft mit Ablehnung. Da braucht man sehr viel Zeit und sehr viele Gespräche, um das aufzulösen. Auch wenn es nur Umzüge innerhalb des Gebäudes sind."
Verlegung komme nicht infrage
Angesichts der Situation im Pflegeheim stellt sich die Frage, ob die gesunden Bewohner nicht generell verlegt werden könnten, wie es beispielsweise nach der Flutkatastrophe in Goslar 2017 in großem Stil geschehen ist, da ein Pflegeheim unter Wasser stand. Thorsten Juch rät eindringlich davon ab: "Der Bewohner weiß, wenn er in ein anderes Haus kommt, überhaupt nicht mehr wohin. Er hat jetzt schon Einengungen, die er nicht nachvollziehen kann und wenn wir dann noch andere Personen, andere Örtlichkeiten in Erwägung ziehen, wird sich sein Gesundheitszustand auch aus fachlicher Sicht ganz schnell verändern." Der Heimleiter prognostiziert, dass eine Verschlechterung, die normalerweise ein Jahr dauert, unter diesen Umständen in wenigen Tagen eintreten kann. Abschließend ergänzt Juch: "In Bereichen, wo er sich überhaupt nicht mehr auskennt, würde es zu vermehrten Stürzen kommen und es werden Folgeerkrankungen auftreten. Wir wissen nicht, ob das in einem Verhältnis zum Nutzen steht."
Die Situation, wie sie im Hanns-Lilje-Heim ist, stelle laut Gesundheitsdezernentin Monika Müller ein Extrem dar: "Ich möchte ganz klar machen, dass nicht alle Pflegeheime solche Probleme zu erwarten haben. Aber das Virus wird in Heimen mit Demenzerkrankten schwer aufzuhalten sein."
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