Braunschweig. Das Klinikum Braunschweig mit der größten Krankenhausapotheke Norddeutschlands erreichen täglich Hilferufe aus medizinischen Einrichtungen der Region. Grund ist ein Mangel an medizinischer Schutzausrüstung. Doch ausgerechnet jetzt hängt eine Lieferung von 100.000 Schutzmasken an den Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich, sowie Deutschland und Österreich fest. Weitere 25.000 der dringend benötigten FFP2-Masken liegen in Magdeburg beim Zoll. Dies berichtet Thu Trang Tran, Sprecherin des Braunschweiger Klinikums im Interview mit regionalHeute.de.
"Uns wurde nicht gesagt, wie lange das dauert", stellt die Sprecherin mit Bedauern fest. "Wir haben jetzt auch schon die Stadt und das Land Niedersachsen kontaktiert, ob man da auf politischer Ebene etwas tun könnte. Da warten wir noch auf Rückmeldung." Dieses Problem betrifft mitnichten nur das Klinikum Braunschweig. "Wir mit unserer Klinik und unserer Apotheke wollen die ganze Region versorgen und haben das entsprechend kalkuliert und bestellt." Im Klinikum Braunschweig selbst reiche der aktuelle Vorrat, sollten die beschlagnahmten Masken nicht freigegeben werden, nur noch für eine Woche. Einige Arztpraxen in der Region kämpfen schon jetzt gegen den Mangel, was das Klinikum Wolfenbüttel jüngst zu spüren bekam. (regionalHeute.de berichtete)
Es geht nicht nur um das Klinikum Braunschweig. Pflegeheime und Arztpraxen überall brauchen diese Schutzausrüstung. Es geht um die ganze Region."
Besonderes Kopfzerbrechen bereite derzeit auch die dynamische Entwicklung der Lage: "Wir wissen leider nicht, wie sich das noch entwickeln wird. Wir sehen ja die Infektionsgeschwindigkeit in den letzten zwei Wochen. Wie schnell trifft es uns? Wie viele Patienten werden irgendwann krankenhauspflichtig? Darauf müssen wir vorbereitet sein." erläutert die Sprecherin die Bemühungen des Klinikums. In der gesamten Region sind derzeit 217 Menschen infiziert (Stand 23. März). Seit dem ersten Fall in Braunschweig sind am heutigen Montag 19 Tage vergangen. Durchschnittlich sind in der gesamten Region also zirka elf Neuinfektionen pro Tag aufgetreten. "Wenn die Anzahl innerhalb von kürzester Zeit hochschnellen sollte, sind die Kapazitäten sehr schnell erschöpft. Deswegen haben wir ja auch diese großen Bestellungen getätigt", erläutert die Klinikumssprecherin die großen Zahlen der Bestellung. Im bundesweiten Vergleich sei man mit diesen Zahlen in Sachen Neubeschaffung absolute Spitze.
Grippesaison läuft noch immer
Bei den festhängenden Schutzmasken handele es sich vornehmlich um einfache Mund-Nasen Schutze. Diese schützen Mediziner und Pflegende zwar nicht vor dem Coronavirus, seien aber dennoch unabdingbar. Thu Trang Tran: "Die einfachen Mundschutze werden im Moment etwas stiefmütterlich behandelt. Wir sind ja auch noch in der Grippezeit, was ja gerne vergessen wird. Der einfache Mundschutz schützt das Gegenüber vor Erkältungsviren. Die FFP2 Maske schützen vor Coronaviren in der Luft", erklärt die Sprecherin. Diese "Scheinsicherheit", die diese einfachen Masken laut der Sprecherin böten, hätte überhaupt erst zur jetzigen Situation geführt: "Die Bevölkerung hat plötzlich so viel Schutzausrüstung gekauft, dass diese jetzt in den Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeheimen fehlt. Einfacher Mundschutz schützt nicht vor Corona."
In dieser Debatte vertritt der Chefvirologe der Charité Berlin, Christian Drosten, der mit seinen täglichen Podcasts im NDR inzwischen zu einer Art "Stimme der Krise" geworden ist, eine andere Meinung. In einem Interview mit dem NDR erklärt er, dass Mundschutze zwar nicht vor Coronaviren in der Luft schützen, jedoch könnte durch sie effektiv die Ansteckung anderer durch Tröpfchen verhindert werden - die vornehmliche Verbreitungsart des neuartigen Coronavirus. Dies sei aber nur effektiv, wenn "jeder, aber auch wirklich jeder" so eine Maske tragen würde. Darauf angesprochen räumt die Sprecherin ein: "ja, bringt was, wenn alle sich daran halten würden und man diese Ressourcen hätten, würde es was bringen. Nur haben wir in Deutschland das Problem, dass wir selber den Mundschutz nicht herstellen. In China, wo auch produziert wird werden die Masken auch zuhauf an die Bevölkerung verteilt." Sowohl Drosten als auch Thu Trang Tran halten selbstgenähte Masken und andere "alternative Mundschutze" für eine bessere Lösung in dieser Debatte. Die medizinisch geprüfte Ausrüstung müsse zwingend den entsprechenden Einrichtungen vorbehalten bleiben.
Hilferuf für den schlimmsten Fall
Falls alle Maßnahmen zur Beschaffung der Masken ins Leere laufen, hofft das Klinikum auf Unterstützung aus Industrie und Handwerk. Thu Trang Tran: "Wir richten einen Appell an sämtliche Unternehmen da draußen, die in ihren Tätigkeiten auch häufig FFP Masken verwenden. Solange unsere Masken noch aufgrund von Zollbestimmungen festgehalten werden, sind wir sehr dankbar über jeden, der solche Masken noch vorrätig hat und uns diese zur Verfügung stellen kann." So hätte beispielsweise schon ein Molkereibetrieb einige Masken ans Klinikum gespendet. Zustand und Alter der Maske würden dabei zunächst keine Rolle spielen: "Wenn sie abgelaufene Masken haben, können sie uns dennoch kontaktieren - für den Notfall würde das immer noch reichen. Letzten Endes hat in Deutschland alles ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Und nur weil die Masken vielleicht einen Monat darüber sind, macht sie das ja nicht unbenutzbar." Im Moment gehe es darum zu prüfen, was es überhaupt für Bestände in der Stadt und in der Region gibt - Für den Fall, das die Bürokratie über die Bedürfnisse in der Krise siegt.
Wie die Klinikumssprecherin andeutet, habe das Klinikum jedoch noch einen Ass im Ärmel. 2,5 Millionen Mundschutze sollen per Luftbrücke die Region erreichen. Weitere Details lesen Sie hier.
Problem der Desinfektion ist bereits gelöst
Der Engpass bei den Desinfektionsmitteln konnte immerhin jüngst abgewendet werden. Die Krankenhausapotheke des Maximalversorgers stellt nun ihr eigenes Desinfektionsmittel her. (regionalHeute.de berichtete) Dies sei laut Klinikumssprecherin Thu Trang Tran auch den großzügigen Spenden von Rohalkohol durch Jägermeister und andere Firmen möglich. Sie erklärt: "Wir produzieren derzeit noch manuell, wollen aber ab Donnerstag in die maschinelle Produktion gehen. Wenn das gut anläuft werden wir pro Tag 2.000 Desinfektionsmittelflaschen abfüllen und können die Region damit für die kommenden Monate ausstatten. Das geht dann an die Apotheken des Vertrauens jeder Arztpraxis und jedes Pflegeheims. So wird es auch mit der Schutzausrüstung sein, die wir hoffentlich erhalten werden."
Für die Abgabe an Privatpersonen werden diese Vorräte jedoch nicht produziert. Im privaten Raum sei das Händewaschen mit Seife nach wie vor völlig ausreichend. Beim Coronavirus handelt es sich um einen Virus, der im Grunde von einer Fettschicht umhüllt ist. Neben Alkohol reagiere das Virus somit auf alles extrem empfindlich, was auch fettlösend ist - wie die Tenside in der gewöhnlichen Handseife. "Wir haben im Krankenhaus jedoch auch mit ganz anderen Erregern zu kämpfen. Dafür brauchen wir das Desinfektionsmittel", so Thu Trang Tran abschließend.
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