Brüssel. Deutschland ist im Ranking für die rechtliche Gleichstellung queerer Menschen unter 49 europäischen Ländern von Platz 15 auf Platz zehn vorgerückt. Wie die LGBTQIA-Dachorganisation ILGA Europe am Mittwoch mitteilte, verbesserte sich Deutschland von 55 Punkten im Vorjahr auf 66 von 100 möglichen Punkten. Mit einem Plus von elf Punkten ist es die bislang größte jährliche Verbesserung Deutschlands.
Nicht im Ranking berücksichtigt wurde das sogenannte "Selbstbestimmungsgesetz", da dieses noch nicht in Kraft getreten ist. Das Gesetz dürfte die Punktzahl Deutschlands um rund drei weitere Punkte erhöhen. Ausschlaggebend für den Aufstieg in die Top 10 war stattdessen der Beschluss des Bundestags im Juni 2023, "geschlechtsspezifische" sowie "gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Tatmotive in die Strafgesetze zu Hasskriminalität aufzunehmen. Auch das Verbot der Diskriminierung von homo- und bisexuellen sowie von transgeschlechtlichen Menschen bei der Blutspende erhöhte die Punktzahl Deutschlands.
"Der Aufstieg im Regenbogen-Ranking von ILGA-Europe zeigt, dass die Ampel-Koalition ihre queerpolitischen Versprechen hält", erklärte der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne). "Unser Ziel ist die Top 5. Das können wir schaffen, wenn wir die noch offenen im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben umsetzen."
Regenbogenfamilien müssten durch die geplante Anpassung im Abstammungsrecht rechtlich anerkannt und gleichgestellt werden, so Lehmann. "Entsprechende Eckpunkte hat der federführende Justizminister Marco Buschmann Anfang des Jahres vorgestellt, jetzt muss zügig der Gesetzentwurf folgen." Zudem forderte der Queer-Beauftragte eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie eine Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes, für die allerdings auch eine Zustimmung der Unionsfraktion nötig wäre.
ILGA Europe empfiehlt der Bundesregierung, bei verheirateten gleichgeschlechtlichen Ehepaaren die Elternschaft für Kinder automatisch rechtlich anzuerkennen. Bei transgeschlechtlichen Eltern solle in offiziellen Dokumenten das rechtliche Geschlecht genannt werden. Angemahnt wird zudem ein besserer Schutz von Flüchtlingen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität, ihres Geschlechtsausdrucks oder ihrer Geschlechtsmerkmale verfolgt werden.
"LSBTIQ bleiben eine verwundbare Gruppe", sagte Lehmann. "Laut offiziellen Zahlen gibt es jeden Tag mindestens drei Angriffe auf LSBTIQ in Deutschland. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Die Antwort auf die zunehmenden Übergriffe muss sein: mehr Schutz, bessere Gesetze gegen Diskriminierung, mehr Solidarität auf allen politischen Ebenen mit LSBTIQ."
Sorge bereiten ILGA Europe insbesondere die Entwicklungen in den meisten EU-Beitrittskandidaten. Die deutlichsten Rückschritte hatte Montenegro zu verzeichnen. "Die EU muss nicht nur auf die Zunahme politischer Hassreden gegen LGBTI-Personen achten, sondern auch auf neue Instrumente der Unterdrückung, wie die Kriminalisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe in Russland", erklärte ILGA-Europe-Geschäftsführer Chaber. "Die Bemühungen um Spaltung und Ablenkung durch gefestigte autoritäre Regime sickern weiter in andere europäische Länder, und das zu einer Zeit, in der Wahlen Europa in die Hände von Führern treiben könnten, die eine rechtsradikale, antidemokratische Europäische Union gestalten wollen."
Europa brauche strengere Gesetze und Maßnahmen zum Schutz von LGBTI-Personen, so Chaber. "Ohne diese können wir weder von Sicherheit noch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sprechen."
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