Erstmals seit 30 Jahren neue "Rote Liste" für gefährdete Tiere in Niedersachsen und Bremen

Ausgestorben, gefährdet oder wieder zurück: Der Niedersächsische Landesbetrieb für Naturschutz (NLWKN) hat erstmals nach 30 Jahren die sogenannten "Roten Listen" für heimische Säugetiere sowie für Heuschrecken neu aufgelegt und damit die Gefährdungssituation für diese Tierarten in Niedersachsen und Bremen neu bewertet. "Die erstmalige Gesamtbewertung seit 30 Jahren zeigt uns dringenden Handlungsbedarf für den Schutz von Säugetieren und Insekten auf", sagte Niedersachsens Umwelt- und Artenschutzminister Christian Meyer (Grüne) am Donnerstag.

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Feldhamster (Archiv)
Feldhamster (Archiv) | Foto: Jakob Fahr via dts Nachrichtenagentur

Hannover. Ausgestorben, gefährdet oder wieder zurück: Der Niedersächsische Landesbetrieb für Naturschutz (NLWKN) hat erstmals nach 30 Jahren die sogenannten "Roten Listen" für heimische Säugetiere sowie für Heuschrecken neu aufgelegt und damit die Gefährdungssituation für diese Tierarten in Niedersachsen und Bremen neu bewertet. "Die erstmalige Gesamtbewertung seit 30 Jahren zeigt uns dringenden Handlungsbedarf für den Schutz von Säugetieren und Insekten auf", sagte Niedersachsens Umwelt- und Artenschutzminister Christian Meyer (Grüne) am Donnerstag. "Nur, wenn wir genug wissen zur aktuellen Gefährdungssituation, können wir unsere heimischen Arten und deren Lebensräume zuverlässig schützen." Einiges hat sich seit Erscheinen der letzten Roten Listen vor 30 Jahren verändert: Die früher als ausgestorben geltenden Arten Luchs, Wolf, Biber und Kegelrobbe zum Beispiel haben Niedersachsen wieder besiedelt, auch der Fischotter ist mittlerweile ungefährdet. Neben einigen Gewinnern gibt es jedoch auch Verlierer, etwa den Feldhamster und Gartenschläfer sowie einige Fledermausarten, die in ihrer Häufigkeit und Verbreitung stark zurückgegangen oder bereits vollständig ausgestorben sind.


"Das liegt vor allem daran, dass die Qualität ihrer natürlichen Lebensräume immer weiter sinkt oder diese Lebensräume ganz verschwinden", sagte Meyer. Ein Team aus 34 Fachleuten unter Leitung von Sophie Kirberg, Mitarbeiterin des Aufgabenbereichs "Landesweiter Artenschutz" im NLWKN, hat 74 heimische Arten nach bundesweit einheitlichen Kriterien bewertet. Mehr als ein Drittel (35 Prozent) der bewerteten Säugetierarten gelten als bestandsgefährdet oder sind bereits ausgestorben.

Weitere zehn Prozent stehen auf der Vorwarnliste. Neu auf der Vorwarnliste taucht etwa auch der Igel auf, eine ehemals sehr häufige Art, der neben dem Straßenverkehr auch verstärkt Rasenmährobotern zum Opfer fällt. "Die aktuellen Zahlen zeigen unmissverständlich, dass beim Schutz unserer heimischen Säugetiere dringender Handlungsbedarf besteht", so NLWKN-Mitarbeiterin Kirberg.

"Ohne gezielte Schutzmaßnahmen und verlässliche Daten drohen wir das Artensterben nur zu dokumentieren - anstatt es zu verhindern." Besonders kritisch zeigt sich die Situation bei den Fledermäusen und Kleinsäugern, von denen unter anderem die Fledermausart Graues Langohr sowie die Kleinsäugerarten Feldhamster und Gartenschläfer als vom Aussterben bedroht gelten. Intensive Landnutzung verbunden mit einem starken Strukturverlust in der Landschaft und der großflächige Einsatz von Pestiziden haben durch den Verlust von Lebensraum und Nahrung zu einem starken Rückgang der Arten geführt. Weitere Gefährdungsursachen ergeben sich für die heimischen Säugetiere durch die fortschreitende Urbanisierung, die hohe Dichte an Verkehrswegen und die Auswirkungen des Klimawandels.

Ein Anstieg des Meeresspiegels kann zum Verlust von Sandbänken führen, die für Kegelrobben und Seehunde als Ruheplätze und Aufzuchtstätten von zentraler Bedeutung sind. Zunehmende Extremwetterereignisse wie langanhaltende Dürreperioden wiederum lassen Feuchtbiotope austrocknen und entziehen semi-aquatischen Arten wie der Wasserspitzmaus und dem Europäischen Nerz ihren Lebensraum und Nahrungsgrundlagen. Trotz dieser negativen Trends gibt es auch positive Entwicklungen aus Sicht des Arten- und Naturschutzes: Die Rückkehr ehemals ausgestorbener Arten wie die Atlantische Kegelrobbe, der Europäische Biber und der Wolf, die fortschreitende Wiederbesiedlung durch den Fischotter sowie die erfolgreiche Wiederansiedlung des Luchses sind Beispiele für gelungene Schutzmaßnahmen in Niedersachsen und Bremen.

Der Wolf, der bei der letzten Aktualisierung noch "ausgestorben" war, befindet sich in einem guten Erhaltungszustand und wird nun als "ungefährdet" eingestuft. Auf Basis eines umfangreichen Datenbestands von mehr als 130.000 Heuschreckendaten wurde auch die Bestandsentwicklung und Gefährdungssituation der 53 heimischen Heuschreckenarten durch ein Autorenteam von acht Artexperten unter der Federführung der Arbeitsgruppe Biodiversität und Landschaftsökologie von Professor Thomas Fartmann der Universität Osnabrück neu bewertet. In der aktuellen Fassung sind 14 der 53 und somit etwa ein Viertel der in Niedersachsen und Bremen regelmäßig vorkommenden Arten bestandsgefährdet.

Hiervon ist mit der Heideschrecke eine Art vom Aussterben bedroht. Wie bereits in der vorherigen Fassung sind vier weitere Arten als ausgestorben eingestuft. Zudem gilt eine Art als extrem selten, eine weitere steht auf der Vorwarnliste.

"Zu den Verlierern der letzten zwei Jahrzehnte zählen vor allem Arten, die kühl-feuchte Standortbedingungen bevorzugen wie etwa die Kurzflügelige Beißschrecke, der Bunte Grashüpfer und der Sumpfgrashüpfer. Der Klimawandel verstärkt hier durch sommerliche Dürreperioden den Druck auf die noch vorhandenen Lebensräume dieser Arten", sagte Felix Helbing, Heuschreckenspezialist an der Universität Osnabrück und Erstautor der Roten Liste Heuschrecken. Neben den Sommerdürren wurden noch weitere Gefährdungsursachen identifiziert.

Hierzu zählen unter anderem die Überbauung, Beseitigung oder Umnutzung von Flächen, die Ertragsoptimierung in der Landwirtschaft, die Grundwasserabsenkung, der Eintrag von Stickstoff aus der Luft sowie ungeeignete Maßnahmen zur Lebensraumpflege. Im Zuge der veränderten Landnutzung sind unter anderem Arten extensiv genutzter, magerer Offenlandlebensräume wie Sandheiden, Magerrasen und magerem Grünland zunehmend in ihren Populationen gefährdet und isoliert, zum Beispiel der Warzenbeißer. Positive Entwicklungen zeigen dagegen zahlreiche wärmeliebende Arten, deren Bestände in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem klimabedingt wachsen und sich ausbreiten konnten. Hierzu zählen unter anderem die Große Goldschrecke, die Langflügelige Schwertschrecke und die Südliche Eichenschrecke. Auch einige spezialisierte Arten konnten sich zuletzt ausbreiten, zum Beispiel die Blauflügelige Sandschrecke und die Blauflügelige Ödlandschrecke.

Es bleibe jedoch abzuwarten, ob dieser positive Trend in den kommenden Jahren anhält, so die Experten. Dies soll im Rahmen der nächsten Fassung der Roten Liste kritisch überprüft werden. Für die langfristige Erhaltung der heimischen Tierwelt sei die dauerhafte Förderung strukturreicher Lebensräume mit vielfältigen Standortbedingungen entscheidend.

Artenreiche Offenlandlebensräume wie Sandheiden, Magerrasen und Feuchtgrünland müssten durch geeignete Pflegekonzepte - etwa extensive Beweidungssysteme oder jährlich rotierende Insektenschutzstreifen auf Wiesen - erhalten werden. "Insbesondere in den stark vom Menschen geprägten Landschaften Niedersachsens und Bremens sind geeignete Artenschutzmaßnahmen von hoher Bedeutung", sagte Jakob Fahr, Leiter des Aufgabenbereichs "Landesweiter Artenschutz" im NLWKN. Maßnahmen, die den Biotopverbund zwischen bestehenden Lebensräumen fördern, wie die Anlage, Erhaltung und Pflege von Wegrändern, Einzelbäumen, Hecken und Waldsäumen sowie Querungsmöglichkeiten wie Unter- oder Überführungen von Verkehrswegen könnten dabei einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz leisten.

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