Gelesen, gelöscht, vergessen: Die stille Grausamkeit des Ghostings

Ghosting mag von außen banal wirken - doch innen kann es wie eine unsichtbare Wunde bluten.

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Ghosting: Wenn man plötzlich keine Antwort mehr erhält. (Symbolbild)
Ghosting: Wenn man plötzlich keine Antwort mehr erhält. (Symbolbild) | Foto: canva/regionalHeute.de

Es beginnt harmlos: Eine Nachricht bleibt unbeantwortet, ein Anruf verhallt. Zunächst sucht man nach Erklärungen - keine Zeit, Stress, ein Missverständnis. Doch Tage vergehen, Wochen, und irgendwann wird klar: Der andere ist verschwunden. Ohne Erklärung, ohne Abschied. Ghosting nennen Psychologen dieses plötzliche Verstummen, das die Zurückgelassenen in ein Vakuum aus Schweigen und Selbstzweifeln stürzt.



Dass Ghosting mehr ist als eine lästige Erfahrung, belegen mehrere Studien. Forschende der Universität Valencia (Navarro et al., 2020) zeigten, dass Geghostete häufiger unter Einsamkeit, Hilflosigkeit und sinkender Lebenszufriedenheit leiden. Eine Untersuchung in Ungarn (Forrai et al., 2023) kam zu dem Ergebnis, dass vor allem abrupt beendete Freundschaften depressive Symptome verstärken können. Und Naomi Freedman (2024) belegte, dass Ghosting zentrale menschliche Bedürfnisse verletzt: das nach Zugehörigkeit, nach Selbstwert, nach Kontrolle.

Von Tinder bis zum Büro


Am häufigsten begegnet man Ghosting im Dating. Ein Match, ein Gespräch, vielleicht ein Treffen - und plötzlich bricht der Kontakt ab. Forschungen zeigen, dass gerade im romantischen Kontext Nähe- und Bindungsängste eine Rolle spielen. Für die Betroffenen bleibt nur Leere.

Doch das Phänomen reicht längst über die Liebe hinaus. Auch im Berufsleben häuft sich Ghosting: Bewerberinnen und Bewerber, die nach einem Vorstellungsgespräch nie wieder erreichbar sind. Unternehmen, die nach langen Bewerbungsprozessen einfach schweigen. Für die einen bedeutet es Unsicherheit, für die anderen Kränkung – in beiden Fällen bleibt ein bitterer Beigeschmack.

Ein altes Muster in neuer Härte


„Zudem ist das Phänomen an sich nicht neu: Unvermittelte Kontaktabbrüche gab es auch schon vor der Ära sozialer Medien, wenngleich sie heutzutage möglicherweise schneller, intensiver und breiter wahrgenommen werden“, sagt Dörte Herfarth vom AWO Psychiatriezentrum in Königslutter.

Wortlose Abbrüche hat es immer gegeben. Neu ist die Unerbittlichkeit der digitalen Spuren: der blaue Haken bei WhatsApp, das Online-Symbol, der verschwundene Status. Das Smartphone hält die Zurückweisung ständig präsent - sichtbar, unübersehbar, unausweichlich.

Warum Menschen verschwinden


Die Gründe sind vielschichtig. Manche hoffen, so weniger zu verletzen, andere scheuen schlicht die Konfrontation. Eine qualitative Studie (SSH Journal, 2021) nennt Konfliktvermeidung, Überforderung und Beziehungsunzufriedenheit als zentrale Motive. Eine Untersuchung aus China (Liang et al., 2025) zeigt: Menschen mit vermeidendem Bindungsstil ghosten häufiger und verschärfen dadurch die psychischen Belastungen bei den Zurückgelassenen. Für die einen bedeutet das Schweigen kurzfristige Ruhe, für die anderen eine seelische Erschütterung.

Wenn Schweigen krank macht


Für Betroffene ist Ghosting ein quälendes Echo. „Was habe ich falsch gemacht? War ich nicht genug?“ Diese Fragen nagen, rauben Schlaf, verstärken Selbstzweifel. Freedman zeigte, dass Ghostees besonders stark in ihrem Selbstwert und ihrem Bedürfnis nach Kontrolle getroffen werden, während Ghoster zwar Schuld empfinden können, aber oft auch Erleichterung spüren. Das Ungleichgewicht ist offenkundig: Das Schweigen des einen wird zur Last des anderen.

Fachleute warnen: Wenn die Traurigkeit nicht nachlässt, wenn Rückzug und Antriebslosigkeit den Alltag bestimmen, wenn das Grübeln nicht verstummt, ist es Zeit für professionelle Hilfe. Ghosting mag von außen banal wirken - doch innen kann es wie eine unsichtbare Wunde bluten.

Der lange Weg zurück


Heilung bedeutet, die Leerstelle auszuhalten und sie nicht als eigenes Versagen zu deuten. Psychologen raten, soziale Kontakte zu stärken, das Grübeln zu unterbrechen, Selbstmitgefühl zu üben. Denn Ghosting erzählt am Ende mehr über die Grenzen des anderen als über die eigene Person.

Ob auf Tinder, im Freundeskreis oder beim Bewerbungsgespräch - Ghosting hinterlässt Spuren. Aber es darf nicht das letzte Wort haben.