Gifhorn. Künstler Gunter Demnig hat am gestrigen Mittwoch die ersten neun Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes in Gifhorn verlegt. Aus den Niederlanden sind Nachfahren von Alice Frieda Nathansohn angereist und begleiteten die Aktion.
Sichtlich bewegt zeigte sich die angereiste, 88-jährige Anneliese van der Sluys - Enkelin der ermordeten Alice Frieda Nathansohn - als sie im Rathaus begrüßt wurde. „Ich habe keine Erinnerungen mehr an Alice Frieda Nathansohn, ich war damals zu jung“, sagte sie. Über ihre Oma, die 1942 nach Auschwitz deportiert wurde, wurde nach dem Krieg nicht gesprochen. Sie sei aber mehr als glücklich, dass die Gifhorner an die Vergangenheit ihrer Großmutter erinnern.
Die sichtlich bewegte Anneliese van der Sluys vor dem Stolperstein ihrer Großmutter. Foto: Axel Otto
Zahlreiche Steine und noch mehr Geschichten
Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat in Gifhorn insgesamt neun Stolpersteine verlegt. Angefangen am Schillerplatz 2 für Erich Lehmann - vertrieben und zwangsenteignet, am Steinweg für Willy und Anna Maria Hedwig Redlich - die sich aus Verzweiflung das Leben genommen haben, in der Torstraße für Alice Frieda Nathansohn und Berta Müller - beide nach Auschwitz deportiert und ermordet sowie bei den Diakonischen Heimen in Kästorf für Heinrich Alberts, Walter Hartung, Albrecht Muenk und Erich Willigeroth - alle drei wurden zwangssterilisiert.
Bereits 80.000 Stolpersteine konnten europaweit verlegt werden. Gunter Demnig bei seiner kurzen Ansprache. Foto: Axel Otto
Neben Anneliese van der Sluys begrüßte die Stadt Gifhorn fünf weitere Gäste aus der Familie der ermordeten Nathansohn. Darunter auch Hans Frankenberg: "Was mich sehr rührt ist, dass die Stadt das jetzt macht für meine Urgroßmutter. Dass so vieles gemacht wird, dass wir eingeladen sind. Das finde ich wundervoll". Beim späteren Festakt im Ratssaal schlug Bürgermeister Matthias Nerlich nachdenkliche Töne an: "Ich habe mich gefragt, würde ich zu so einem Anlass überhaupt in eine Stadt fahren, in der meiner Familie Unrecht passiert ist? Die Antwort darauf ist irgendwie nicht einfach - aber sie sind heute hier. Und das freut uns unheimlich."
Ein Geschenk an die Stadt Gifhorn
Matthias Nerlich (rechts) nimmt die Kiste mit alten Dokumenten von Hans Frankenberg (links) entgegen. Foto: Axel Otto
Hans Frankenberg erklärt, dass er nie den Eindruck gehabt habe, dass alle Deutschen Nazis seien - und überrascht den Bürgermeister mit einem Geschenk an die Stadt Gifhorn. Eine Kiste mit historischen Dokumenten, bestimmt für das Stadtarchiv: "Wir würden die Dokumente ganz gerne hier lassen. Die gehören wohl hierher. Mehr als zu uns auf den Dachboden." Nerlich zeigte sich überrascht und erfreut: "Ein tolles Geschenk, weil es eine Lücke in unserer Geschichte schließt, die wir ohne Sie nie schließen könnten." Auch die Stadt Gifhorn überreichte den anwesenden ein Geschenk. Ein Buch über die Stadt Gifhorn mit Einblick ins Mühlenmuseum, das bei der 88-Jährigen Anneliese van der Sluys auch direkt die Frage aufwarf, weshalb manche Mühlen eigentlich fünf Flügel haben. Die Frage blieb zunächst unbeantwortet. Beim nächsten mal, so Nerlich, sollen die Gäste aber eine Führung durchs Mühlenmuseum erhalten.
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