Tierischer Rekord: NABU-Artenschutzzentrum versorgte 3.612 Notfälle

Insektenmangel und extremes Wetter machen den Vögeln zu schaffen. Auch bei Säugetieren und Reptilien gibt es eine besorgniserregende Entwicklung.

Das Storchenfest im Leiferder Artenschutzzentrum ist immer ein beliebtes Veranstaltungshighlight. Archivbild
Das Storchenfest im Leiferder Artenschutzzentrum ist immer ein beliebtes Veranstaltungshighlight. Archivbild | Foto: Alexander Dontscheff

Leiferde. Mit 3.612 Tieren aus 200 Arten wurde im vergangenen Jahr ein neuer Höchststand bei den Pflegetieren im NABU-Artenschutzzentrum Leiferde erreicht. Hierbei wurde die Tieranzahl aus dem Vorjahr nochmals um 541 Tiere übertroffen, wobei sich allein schon die heimischen Vögel auf 2.383 Individuen summierten. Das teilt der NABU Niedersachsen in einer Pressemitteilung mit.


Vogelnotfälle in zwei Jahren um 1.002 Exemplare gestiegen


„Noch vor wenigen Jahren lag die Gesamtzahl aller Pflegetiere der verschiedenen Gruppen etwa in diesem Bereich, nun sorgen allein die heimischen Vögel für diese Menge an Pfleglingen“, wie Bärbel Rogoschik erläutert. „In zwei Jahren sind unsere Vogelnotfälle um 1.002 Exemplare gestiegen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Insektenmangel und das extreme Wetter der letzten beiden Jahre für viele Vogelarten zu äußerst ungünstigen Lebensbedingungen geführt hat.“ Die häufigsten Pflegetiere unter den heimischen Vögeln waren Haussperlinge (259), Ringeltauben (215), Amseln (171) und Mehlschwalben (149). Als seltenere Arten sind eine Rohrdommel, vier Austernfischer und gleich acht Waldschnepfen hervorzuheben.

Einen hohen Versorgungsaufwand bereiteten im letzten Jahr Rauch- und Mehlschwalben sowie Mauersegler, deren Zahl sich auf 371 summierte. Der überwiegende Teil bestand hier aus Jungtieren, die noch nicht flügge das Nest verlassen hatten. Als Ursache kommen hohe Temperaturen als auch Nahrungsknappheit bei diesen auf Insekten spezialisierten Vögeln in Frage.

Greifvögel profitieren von hoher Mäusepopulation


Profitiert von der Trockenheit im Frühjahr und Sommer haben die Mäuse und letztendlich deren Fressfeinde die Greifvögel, von denen 199 (darunter 86 Mäusebussarde und 68 Turmfalken) im Zentrum zu versorgen waren. Hervorzuheben sind gleich 15 Rotmilane, von denen neun wieder ausgewildert werden konnten. Ähnliches wie für die Taggreifvögel gilt auch für die Nachtgreifvögel, die ebenfalls vom Mäusereichtum des vergangenen Jahres profitierten. 78 versorgte Eulen bedeuten auch hier einen neuen Höchstwert. Besonders erfreulich ist der hohe Anteil an Schleiereulen (33 Tiere), was belegt, dass diese Art ihr Bestandstief nach zirka zehn Jahren überwunden hat.

Ein zumindest in unseren Breiten sehr erfolgreiches Jahr kann für den Weißstorch bilanziert werden, bei dem 1.133 Paare in Niedersachsen und Bremen 2.463 Junge zum Ausfliegen brachten. Auch hier avancierten Mäuse zur Hauptbeute. Im NABU-Artenschutzzentrum ist dieser Storchenboom glücklicherweise noch nicht angekommen. Es wurden 34 Weißstörche versorgt, von denen 17 wieder ausgewildert werden konnten. Auffällig war, dass fast alle im NABU-Artenschutzzentrum versorgten Jungstörche sogenannte Hungermale im Gefieder aufwiesen, was auf eine zeitweise Nahrungsunterversorgung deutet.

Besorgniserregende Entwicklungen bei Säugetieren und Reptilien


Da im Jahr 2019 keine größeren Beschlagnahmungen durchgeführt wurden, sank die Zahl der zu versorgenden Reptilien auf 302 Tiere aus 46 Arten. Diese Zahl liegt aber noch immer deutlich über dem, was an Reptilien vor den beschlagnahmungsreichen Jahren 2017 und 2018 im NABU-Artenschutzzentrum zu versorgen war. Besonders dreist war ein Fall einer selbsternannten Reptilienauffangstation, deren Geschäftsmodell es war, übrig gebliebene oder unliebsam gewordene Reptilien gegen Schutzgebühr aufzunehmen und später gegen eine weitere Schutzgebühr mit Gewinn wieder abzugeben. Im Rahmen des Zucht- und Wiederansiedlungsprojektes für die Europäische Sumpfschildkröte konnten im vergangenen Jahr weitere 38 Tiere in die Freiheit entlassen werden, so dass nunmehr 300 Tiere ausgewildert wurden. Zudem wurden in einem Zusatzprojekt gewässernahe Brutplätze mit angrenzenden Flachgewässern zur Eiablage geschaffen.

Erstmals die Fünfhunderter-Marke überschritten haben die im NABU-Artenschutzzentrum gepflegten Säugetiere. Mit Abstand die häufigste Art war der Igel, welcher mit 333 Tieren zugegen war. Darüber hinaus wurden auch 50 Eichhörnchen und 48 Zwergfledermäuse versorgt. Als Besonderheit ist ein junger Fischotter zu nennen, der weit abseits des nächsten Gewässers überaus hungrig aufgelesen und dem Otterzentrum in Hankensbüttel zur weiteren Aufzucht übergeben wurde. Von sechs aufgenommenen Wildkatzen konnten vier bereits ausgewildert werden, die zwei weiteren sollen im Frühjahr 2020 folgen.

Einzugsgebiet reicht weit über die Grenzen des Landkreises Gifhorn


Wie in jedem Jahr stammen die meisten Tiere aus dem Landkreis Gifhorn, erstmals wurde mit 1.109 Tieren jedoch die Tausender-Grenze überschritten. Danach folgten die benachbarten Landkreise und Städte Peine (416 Ind.), Braunschweig (384 Ind.), die Region Hannover (258 Ind.), Wolfsburg (241 Ind.), Celle (222 Ind.), Hildesheim (205 Ind.) und Wolfenbüttel (151 Ind.). Insgesamt erreichten das Zentrum Tiere aus 53 Landkreisen oder kreisfreien Städten aus zehn verschiedenen Bundesländern oder Stadt-Staaten.

Nach wie vor besteht die größte Gruppe der zu versorgenden Tieren aus „verwaisten“ Jungtieren, die mit 1.075 Exemplaren einen Höchststand erreichten. Mit gehörigem Abstand folgen die Kollisionsopfer (520) vor den behördlich eingezogenen Tieren (296). Für Joachim Neumann, Mitarbeiter des NABU-Artenschutzzentrums, müsste die Kategorie der behördlich eingezogenen Tiere eigentlich wesentlich mehr Raum einnehmen. „Bei den beschlagnahmten Tieren handelt es sich fast immer um exotische Reptilien, die entweder schlecht gehalten oder zurückgelassen wurden oder um geschützte Arten, für die keine Herkunftsnachweise vorlagen. Bei den Tieren, die wir letztlich erhalten, handelt es sich fast immer um Zufallsfunde oder um Tiere, die aufgrund von Anzeigen im privaten Bereich eingezogen wurden. Funktionierende Kontrollmechanismen gibt es nicht“. Die Auswertung der Einlieferungszeiten hat wie in jedem Jahr ergeben, wie wichtig die durchgehende Erreichbarkeit des NABU-Artenschutzzentrums ist. Knapp 30 Prozent aller Tiere erreichten das NABU-Artenschutzzentrum außerhalb der regulären Öffnungszeiten von 9 bis 17 Uhr.

Artenschutzzentrum auch als Umweltbildungszentrum gefragt


Über die Tierpflege hinaus fungiert das NABU-Artenschutzzentrum seit den 1990er Jahren auch als Umweltbildungs- und Naturerlebniszentrum. Im vergangenen Jahr fanden 133 Veranstaltungen statt, an denen 2.265 Personen teilnahmen. Hinzu kommt das alljährlich stattfindende Storchenfest, welches zusätzlich von etwa 4.500 Personen besucht wurde. Uwe-Peter Lestin, der Vorsitzende des Förderkreises des NABU-Artenschutzzentrums zeigte sich einmal mehr begeistert von der Arbeit des NABU-Artenschutzzentrums: „Wenn man sich die stark gestiegenen Tierzahlen anschaut, kann man nachvollziehen, dass jeder Euro im NABU-Artenschutzzentrum willkommen ist. Auf Grund dessen, hat sich der Förderkreis letztes Jahr entschlossen, ein Jahr lang die Kosten für einen Tierpfleger zu übernehmen. Erwähnen möchte ich auch noch das Storchenfest, welches wieder ein tolles Event mit vielen gutgelaunten Besuchern war. Ich freue mich schon auf das diesjährige Storchenfest, das am 26. April stattfindet“.


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