Häusliche Gewalt: Fälle um 15 Prozent gestiegen

Der Landkreis Goslar startet ein Forschungsprojekt mit der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Wolfenbüttel-Braunschweig zur Umsetzung der Istanbul Konvention.

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Symbolbild | Foto: pixabay

Goslar/Wolfenbüttel. 286 Fälle wurden der Goslarer Anlaufstelle für häusliche Gewalt „BISS“ im Jahr 2020 gemeldet. Dies entspricht einem Anstieg von knapp 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, für das die Statistik immerhin 249 Fälle ausweist, berichtet der Landkreis Goslar am Mittwoch.


80 Prozent der Opfer seien weiblich und die Mehrheit der Täter/innen (ebenfalls etwa 80 Prozent) männlich. Diese Zahlen würden sich mit den Erkenntnissen bundesweiter Erhebungen decken, wie der Jahresbericht des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ belegt, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erst am 10. Mai dieses Jahres vorstellte.

Häusliche Gewalt bezeichnet Gewalt innerhalb naher Beziehungen, auch wenn diese nicht immer „im Haus“ geschieht. Der Begriff meint Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer und auch wirtschaftlicher Gewalt zwischen aktuellen oder früheren Eheleuten oder Partnern. 2020 zeichnete sich ein deutlicher Anstieg ab, der sich sicher auch auf die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Lock-Down-Situationen zurückführen lässt.

Beratungen fast verdoppelt


Auch das Frauenhaus Goslar bestätigt den gestiegenen Bedarf. Trotz guter Vernetzung mit anderen Anlaufstellen in der Region, übernimmt das Team viele Aufgaben, für die sonst keine Zuständigkeit festgelegt ist. Die Leitung des Frauenhauses erklärt, das Team habe in den letzten Monaten oft „im Akkord“ gearbeitet, weil sie so viele Anfragen erreichten. Eine besondere Herausforderung bestehe darin, dass auch die Kinder der schutzsuchenden Frauen eine Begleitung brauchen, dafür aber eigentlich weder Zeit noch Personal vorgesehen sind. Auch beim Beratungsbedarf von Frauen, die bereits wieder in eine eigene Wohnung gezogen sind, ist ein Anstieg bemerkbar: Im Vergleich zum Vorjahr fanden insgesamt knapp 42 Prozent mehr Beratungen statt. Etwa 83 Prozent aller ambulanten Beratungen fallen dabei in den Bereich der Nachsorge.

Hilfe bei der Problematik zunehmender häuslicher Gewalt soll die Istanbul-Konvention schaffen. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, so der volle Titel der völkerrechtlich bindenden Menschenrechtskonvention, wurde bereits 2011 auf europäischer Ebene beschlossen. Seit 2018 gilt die Konvention in Deutschland. Ihre Vorgaben sind weitreichend, sehr konkret und rechtlich bindend, denn häusliche Gewalt ist eine schwere Menschenrechtsverletzung.

Daher fordert die Istanbul Konvention ein flächendeckendes, bedarfsgerechtes Angebot für alle Betroffenen von häuslicher Gewalt - für Frauen und Kinder, sie fordert einen wirksamen Schutz vor Gewalt, zeitnahe Unterstützung, Aufklärung und Prävention. Kein Opfer von häuslicher Gewalt darf mehr durchs Netz fallen. Doch bis auch in Goslar ein lückenloses Hilfs- und Präventionsangeboten für alle Gewaltbetroffenen gewährleistet ist, gibt es noch etwas zu tun. Die Istanbul Konvention setzt hohe Maßstäbe und macht Gewaltprävention von der Kür zur politischen Pflicht. Noch geht die konkrete Umsetzung allerdings nur langsam voran. Zum Beispiel fehlt in Goslar eine spezialisierte Fachberatungsstelle gegen Gewalt, die von der Istanbul Konvention jedoch klar gefordert wird. Auch der gerade erschienene Alternativbericht zur Umsetzung der Istanbul Konvention, geschrieben vom Bündnis Istanbul-Konvention („BIK“), zeigt auf Bundesebene noch viele Lücken auf.

Startschuss für Kooperationsprojekt zwischen Hochschule und Landkreis


Eine Kooperation zwischen der Ostfalia Hochschule und dem Landkreis Goslar will die Umsetzung der Menschenrechtskonvention jetzt effektiv angehen. Ein Forschungsteam der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Wolfenbüttel-Braunschweig wird in Kooperation mit dem Landkreis Goslar und kommunalen Akteuren dazu beitragen, die vorhandenen Hilfsangebote in Goslar zu erfassen, eine Netzwerkkarte anzufertigen und die bestehenden Angebote, aber auch Handlungsbedarfe aufzuzeigen.

Professorin Dr. Ariane Brenssell leitet das Forschungsprojekt, sie arbeitet seit 2019 zur Bedeutung der Istanbul-Konvention: „Die Konvention macht deutlich, dass häusliche Gewalt eine Menschenrechtsverletzung ist und dass diese staatlicherseits nicht geduldet wird. Wir müssen als Gesellschaft also alles dafür tun, dass häusliche Gewalt verhindert wird. Forschung und Praxis müssen eng zusammenarbeiten." Kathrin Geschke, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Goslar: „Dieses Übereinkommen ist von großer Bedeutung. Die Istanbul-Konvention versteht Gewaltschutz, Gewaltprävention und Gewaltbetroffenheit als gesellschaftliche und politische Querschnittsaufgabe. Die Umsetzung braucht einen ganzheitlichen Ansatz und gehört gerade mit Blick auf die Kommunalwahlen im September 2021 auf die politische Agenda aller Parteien. Es geht um ein gemeinsames Engagement für mehr Schutz, Ermutigung und Solidarität für Gewaltbetroffene und alle Menschen im Landkreis Goslar. Niemand soll durchs Netz fallen. Alle sollen sich sicher fühlen.“

Informationen zum Forschungsprojekt finden Interessierte online auf den Webseiten der Kreisverwaltung (www.landkreis-goslar.de) und der Ostfalia.

Wer selbst von häuslicher Gewalt betroffen ist, wende sich bitte an die BISS (Festnetz: (05321) 31 39 31 | Mobil: (0162) 49 97 11 3 oder (0172) 82 39 75 8 | E-Mail: Biss@awo-region-harz.de).

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