Il Mulino: Bis bald auf Stippvisite »nach Bari«

von Andreas Molau




Das erste Essen im Il Mulino: Nette Menschen, Überraschungen und ein leidenschaftlich gutes Menü. Alla prossima.


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Wenn man einen guten Grund hat, wiederzukommen, dann sollte man das unbedingt tun. Noch dazu, wenn es um Kulinarisches geht und nette Menschen. Das ist eine Überlegung. Gibt es böse Menschen, die gleichzeitig gutes Essen genießen können? Schließlich sagt man auch: »Wo man singt, lass Dich ruhig nieder. Böse Menschen kennen keine Lieder.« Bei Nadja und Massimo Casadibari geht die Gleichung jedenfalls auf. Nach dem ersten Kennenlernen stand jetzt ein zweiter Termin auf dem Kalender. Neugier begleitet solche Besuche. Aber genauso etwas Skepsis. Man ist ja Gewohnheitstier. Kaviar etwa kriege ich gar nicht runter. Tintenfische gehören ebenfalls nicht gerade zu dem, was für mich als optischer Appetitanreger durchgeht. Als Kind mochte ich keine Kapern. Bei den Königsberger Klopsen wurden sie, sehr zum Ärger der Eltern, rausgepuhlt. Und was kommt als Erstes auf den Teller? Kleine Tintenfische. Moscardini. Wenig später: Austern mit Kapernsauce. Kapern habe ich natürlich schon lange entdeckt. Moscardini an diesem Abend. Und schließlich, ganz unkulinarisch, dass es richtig nette VfL-Wolfsburg-Fans gibt. Als Einträchtler eine sonderbare Vorstellung.

Die erste Überraschung

17 Uhr, die Zeit für die Kulinarisch38-Restaurantbesuche liegen immer etwas vor der Stoßzeit. Dann ist noch genug Luft, um in Ruhe über das Essen zu sprechen. Draußen ist es leider zu kalt. Rudi Carells Frage, wann es denn endlich wieder richtig Sommer werden würde, kommt einem in den letzten Jahren nicht selten. Klimaerwärmung hin, Klimaerwärmung her. Aber drinnen ist es gemütlich. Trotz der frühen Stunde sind schon einige Tische besetzt. Nadja Casadibari begrüßt mich und schmunzelt. Sie habe eine Überraschung. Im Laufe des Abends erfahre ich: nicht nur eine. Erst einmal steuern wir einen Tisch an, an dem ein Ehepaar sitzt. In guter Stimmung, wie es scheint. Die beste Freude ist bekanntlich die Vorfreude. Und das gilt erst recht für ein Menü. Man stellt sich vor und findet bei einem Gläschen Prosecco mit einem Schuss Granatapfelsirup schnell zusammen. Allzumal, wenn man Leidenschaften teilt. Italien. Schöne Musik. Leckeres Essen. Da kann man dann bei der Wahl des Lieblingsvereins getrost ein Auge zudrücken. Denn mein Gegenüber pilgert, wie ich, gern ins Stadion. Allerdings nicht zur Hamburger Straße, sondern zu den Wölfen. Wolfsburg mag nicht die Tradition und den Charme des unterklassigen Kickerkonkurrenten haben. Jedoch den Erfolg. Und einen sympathischen Fan wenigstens. [wowslider id="172"]

Neue Eindrücke und alte Vorurteile

Während wir über die schönen Dinge des Lebens sprechen, erschafft Massimo Casadibari in der Küche diese. Zu den Moscardini, die in einer leichten Tomatensauce gereicht werden, die den Geschmack der Meeresfrucht unterstreichen, aber nicht erdrücken, gibt es Sardellen. Letztere erinnern ein bisschen an die Stinte in Hamburg. Die kleinen Fische sind kross gebraten. Sie sind nicht zu saftig, nicht zu trocken. Mit oder ohne Zitronensaft lecker. Mit Suchtfaktor. Mir kommt eine kleine Geschichte von Kishon in den Sinn, wo jemand sich bei einem Empfang an den Knabbereien gütlich tut und dabei die ganze Zeit sinnt, ob noch etwas auf die Teller kommt, um sich für ein Maß zu entscheiden. Hier kommt noch etwas und es fällt trotzdem schwer, aufzuhören. Es sind oft die Kleinigkeiten, die ein Bild bestimmen. Beim Il Mulino ist es zum Beispiel das selbst gebackene Brot, das herrlich duftet, eine angenehme Salznote hat. Und es passt bestens zu dem, was über den Abend hin gereicht wird. Das Thema ist Fisch. Und Massimo Casadibari, der zwischendurch immer mal wieder in die Gaststube kommt, erklärt, dass es sich alles um Rezepte aus seiner Heimat Apulien handelt, die da, ansprechend angerichtet, auf den Teller kommen.

Typisch apulisch

Es folgen wunderbare Scampi, die in Olivenöl geschwenkt sind und bestens mit den süßen Aromen der Kirschtomate und den herzhaft nussigen Noten der Rauke harmonieren. Oder die himmlischen Austern aus Neptuns Reich in Kapernsauce. Mit einer weißen Bohnensuppe kommt dann zwischendurch etwas Herzhaftes auf den Tisch. Heute, erzählt Massimo Casadibari, gelte sie als toskanisches Gericht, sei jedoch ursprünglich ein süditalienisches Rezept gewesen. Während derlei früher ein Bauernessen gewesen sei, erhalte man es heute vor allem in der gehobenen Gastronomie. Der Aufwand sei einfach zu hoch. Die Bohnen müssten eingeweicht und lange gekocht werden. Man könne allerlei Ausgefallenes essen. Aber solch ehrliche Gerichte seien ihm doch die Liebsten, schwärmt der Koch. Es folgen noch einmal Meeresfrüchte mit einer typischen Nudel – natürlich aus Apulien. Das Gespräch am Tisch zieht sich über Chormusik zum Thema Lokale in und um den Gardasee, bis Nadja Cadibari ein Tablett mit einem großen Fisch zeigt. Der St. Petersfisch, ein wirklich ausgezeichneter Speisefisch, wird später mit Kapern und Mandeln zu Spaghetti aglio e olio und gratinierten Kartoffeln auf dem Teller liegen. Nadja Casadibari erzählt eine alte Sage. Der Apostel Petrus persönlich habe den Fisch festgehalten, um aus seinem Maul Gold zu holen. An der Flanke sieht man tatsächlich einen Abdruck, wie von einem Finger. Solche Geschichten und Bräuche geben den Kreaturen Würde. Man verzehrt sie mit Achtung und nicht achtlos. Das Gegenteil zum mythischen Fisch wäre das industriell hergestellte Fischstäbchen. Das Schnitzel, das in den Toaster wandert.

Die Zeit fliegt

Die Zeit fliegt. Man spürt sie kaum. Als das Dessert kommt, ist die Frau meines Gegenübers leider bereits auf dem Weg zur Chorprobe. Die wunderbare Tischgemeinschaft ist dezimiert. Wir schlagen uns allein, allerdings mit Wonne, durch diesen letzten Akt einer süßen Verführung. Zitronenparfait mit einer Schokoladenhaube. Dazu gibt es Mousse au Chocolat, frische Früchte und ein Mangomousse. Leicht und delikat wie das ganze Menü. Obwohl wir jetzt am Tisch schon fast heimisch geworden sind und einiges vertilgt haben, stellt sich keine Übersättigung ein. Nach dem obligatorischen Espresso kommt Massimo Casadibari noch einmal mit einem Grappa aus der Küche heraus, den wir zusammen trinken. Was für ein wunderbarer Abend. Wenn man einen guten Grund hat, wiederzukommen, dann sollte man das unbedingt tun. Alla prossima, sagt Massimo bei der Verabschiedung. Bis bald auf Stippvisite »nach Bari« in Königslutter.


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