Jahrestagung 2016 der Internationalen Raabe-Gesellschaft


Prof. Dr.h.c. Gerd Biegel wurde zum Präsidenten wiedergewählt, Foto: privat
Prof. Dr.h.c. Gerd Biegel wurde zum Präsidenten wiedergewählt, Foto: privat

Braunschweig. Am 8 und 9. Oktober fand die Jahrestagung 2016 der Internationalen Raabe-Gesellschaft statt. Die Vorträge der diesjährigen Jahrestagung gruppierten sich ohne vorherige Absprache in dichtem Bezug aufeinander um zwei Pole, erstens die Frage nach den medialen Rahmenbedingungen und der Veröffentlichungspraxis (nicht nur) der Texte Raabes, zum anderen die Frage nach der Funktion der unterlaufenen, destabilisierten, auf jeden Fall aber beerbten literarischen Form der Idylle.


Gleich der Eröffnungsvortrag von Madleen Podewski (Freie Universität Berlin) zeigte die Vielfalt der Publikationsformen auf – von Prachtausgabe über Zeitschrift bis hin zur Serie und zeichnete damit ein sehr viel genaueres Bild, als das eines einfachen Binarismus von Zeitschriftenvorabdruck und traditioneller Buch-Einzelpublika­tion. Das ein solcher Ansatz auch auf konkrete Texte bezogen werden kann, zeigte Madleen Podewski dann gleich im Anschluss am Beispiel einer den medialen Rahmen der Zeitschrift Über Land und Meer einbeziehenden Neulektüre von Holunderblüte.

Patrick Eiden-Offe (Universität Duisburg-Essen) fragte am Beispiel von Horacker nicht nur thematisch nach dem Zusammenhang von Idylle und sozialer Frage, sondern fasste den Bezug beider aufeinander überzeugend als eines der wichtigeren Erzählmodelle Raabes auf. An die von Eiden-Offe dabei erwähnten »Hausidylle[n]«, wie es in Pfisters Mühle heißt, konnte Ansgar K. Mohnkern (Universiteit van Amsterdam) direkt anschließen. Er koppelte das soziale Konzept des ›Hauses‹ (in der Traditionslinie des ›ganzen Hauses‹ der Antike) mit Überlegungen zum Stellenwert von ›Nachbarschaft‹ bei Raabe, wobei er Haus und Nachbarschaft als Orte verstand, die – mit Ferdinand Tönnies gesprochen – zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft anzusiedeln sind. Ein Bogen zurück zum Eröffnungsvortrag ergab sich durch jene Zeitungsausschnitte, die in Horacker mehrmals zum Fortgang der Handlung führen. War das früher – und parallel zu Raabe bei Fontane – noch der Brief, so registriert Raabe sehr genau die breite Verankerung der periodischen Medien seiner Zeit in der Bevölkerung.

Den abschließenden Vortrag in diesem Teil der Jahrestagung hielt Kai Sina (Universität Göttingen) zu Raabes »Schlusspoetiken«, seinen literarischen und außerliterarischen Strategien der Selbstarchivierung und -historisierung, wie sie in Raabes Spätwerk – man denke nur an Die Akten des Vogelsangs – fast schon systematisch durchgespielt werden: als Blick auf die selbstarchivarische Praxis ebenso wie in Form der Selbsthistorisierung. Für Raabe selbst, so konnte Kai Sina aufzeigen, gehörte zu diesen Strategien auch der forciert im Spätwerk zu beobachtende Anschluss an die literarischen Optionen der frühen Moderne, wie sie Marianne Wünsch herausgearbeitet hat.

Etwas kleiner fiel in diesem Jahr das »Forum junge Raabe-Forschung« aus, welches aber auch diesmal wieder Aspekte der Tagung aufnahm und weiterführte. So ergänzte Corinna Sauter (Universität Tübingen) die Frage nach möglichen Idyllentraditionen und -umschriften in Raabes Werk durch eine Analyse der Texte Das letzte Recht und Stopfkuchen im Hinblick auf Formen einer ›poetischen Gerechtigkeit‹ negativer Idyllik. Stopfkuchen stand neben Zum wilden Mann auch im Zentrum des Vortrags von Anna-Rebecca Nowicki (Washington University St. Louis). Sie widmete sich dem intrikaten Verhältnis von Freundschaft und Feindschaft vor dem Hintergrund der sozialen Fragen von Macht, Konsum und Männlichkeit. Im Sinne der Digital Humanities bediente sie sich dazu einer Wortzählungs-Software des Freundschaftsbegriffs, dessen Häufung sie anschließend als Leerformel interpretierte, was eine rege Diskussion über Vor- und Nachteile einer solchen Methode provozierte.

Prof. Dr.h.c. Gerd Biegel zum Präsidenten wiedergewählt


Nach den interessanten Vorträgen am Sonntag endete die Jahrestagung mit der Mitgliederversammlung der Internationalen Raabe-Gesellschaft e.V. Einstimmig wurde Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel als Präsident der Gesellschaft wiedergewählt und geht damit in das 25. Amtsjahr seiner Präsidentschaft. Auch Frau Dr. Angela Klein wurde erneut als Geschäftsführerin bestätigt. Nach dem Ende der Amtszeit des bisherigen Vizepräsidenten Prof. Dr. Rolf Parr von der Universität Essen-Duisburg wurde als neuer Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Blödorn, Germanist an der Universität Münster gewählt. Damit kann die Internationale Raabe-Gesellschaft e.V. mit ihrem Stammsitz in Braunschweig am Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte auch zukünftig mit einem funktionstüchtigen Vorstand, einer gefestigten Mitgliederzahl (350) und einer gesicherten Basis die Forschungen und Vermittlungen zu Wilhelm Raabe, dem literarischen Realismus und zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts fortführen. Die wissenschaftliche Bedeutung und der aktuelle Rang der Raabeforschung wird durch das gerade erschienene »Raabe- Handbuch«, das u.a. vom bisherigen Vizepräsidenten, Prof. Dr. Rolf Parr, mit herausgegeben wurde, verdeutlicht.