Das ist der Traum von der Ferne. Eine andere Kultur wirklich erleben und ins Fremde eintauchen. Im Katané ist das sogar in Braunschweig möglich.
So etwas ist ein Wunschtraum. Für jeden Urlauber. Man fährt durch italienische Dörfer, ob im Veneto, in der Toskana, in Apulien oder Sizilien oder wo auch immer. Die Straßen winden sich über Hügel, an Küsten vorbei, durch Weinberge oder karge Landstriche mit Zypressen. Der Himmel ist Azzurro, die Stimmung erst recht. Flanieren in der lauen Luft, zwischen den Häusern mit dem morbiden Charme, die man am liebsten umarmen möchte, wie die Menschen. Und wenn es dämmert, der Magen knurrt, dann ist da die Hoffnung auf das Restaurant. Keine Touri-Absteige, vor der der Kellner wie ein aufdringlicher Versicherungsvertreter die Gäste einsammelt und in eine Systemgastronomie verfrachtet, in der man sich vor allem so fühlen soll wie in Italien. Vielmehr ist es der Geheimtipp, der Ziel der kulinarischen Träume ist. Einen, den man nicht aus dem Reiseführer erfahren kann, weil jede Erwähnung eh abgekauft ist. Das authentische Lokal. In dem die Einheimischen essen. In dem Italien lebt. Das ist der Traum von der Ferne.
Aus dem Grau ins Blau
Die Ferne kann manchmal ganz nah sein. So etwa am letzten Freitag. Ende September. Die Tage sind schon ganz schön kühl. Besonders nachts. Aber tagsüber müht sich die Sonne, den Nebel zu verscheuchen, und an diesem Tag erst recht. Die Stimmung in der Stadt vor dem Schloss, wo Bierbuden aufgebaut sind, ist noch bis in den frühen Abend richtig spätsommerlich. An der Hagenbrücke würde man als Fremder vieles suchen. Nicht den Traum von der Ferne. Die Autos donnern in Kolonnen vorbei. Alles ist ein bisschen zu grau und zu laut. Als ich vom Katané vor ein paar Wochen einen Anruf bekam, ob ich über die Weinprobe berichten möchte, die man für die neue Weinkarte angesetzt hatte, hatte ich mir das notiert. Obwohl ich abends eigentlich eine Verabredung mit einem Freund ausgemacht hatte. Ein paar begleitende Happen, ein paar gute Weine und dann lässt sich mit dem Abend noch etwas anfangen. Dachte ich. Wie schön können Irrtümer sein.
Lebendige Gespräche
»Zu Gast bei uns die Kellerei Fontan Avecchia Campanien« steht auf der Menükarte, die ausgelegt ist. Vittorio und Daniela begrüßen die eintretenden Menschen wie gute Freunde. Und im Verlauf des Abends werden es tatsächlich gute Freunde und Gäste. Vittorio geht zwischen den Gängen immer wieder mit einem Weinglas von Tisch zu Tisch und spricht und scherzt. Daniela hat im Blick, dass während des Menüs alle Dinge klappen. Ein gutes Team. Es ist Weinprobe mit einem Menü im Katané und doch ist es viel mehr. Der Abend verdichtet sich im Verlauf der Stunden, sodass am Ende nicht nur italienische Speisen serviert werden. Der ganze Raum ist Italien. Sizilien. Die Hagenbrücke liegt in Campanien oder Sizilien. Von draußen gucken Passanten rein und können von der Stimmung doch kaum etwas ahnen. An meinem Tisch sitzen drei Italienerinnen, die während, beim und zwischen dem Essen angeregt reden. Mit Händen und Gesten und ausgeprägter Mimik. Ich verstehe kein Wort und verstehe trotzdem alles. Gerald Kauczor sitzt mit mir am Tisch. An diesem Abend ist er mit seiner Frau Rosa nicht Gerald sondern Andriano. Und die beiden sollen für gute Stimmung sorgen.
Die Falanghina Traube
Als Duo touren sie am Wochenende von Bühne zu Bühne. Meine Sorge, ob das für diesen Abend passen kann, verfliegt schnell. Die Gänge werden serviert und die beiden singen zwischendurch von italienischen Nächten, von blauem Himmel, sie swingen und können Schlager – deutsch, italienisch, englisch. Musikalisch gut abgestimmt die Arrangements, saubere Stimmen. Und zwischendurch wird getafelt. Da kommen als erstes Körbchen von Filouteig auf den Tisch. Mit einem frischen Thunfisch-Tatar, frischer Minze und marinierter Zucchini. Der Winzer höchstpersönlich mit einer charmanten Übersetzerin ist zu dem Abend gekommen und erläutert geduldig Tisch für Tisch die Weine. Zum ersten Gang ist es ein Spumante von der Falanghina Traube, der ausgeschenkt wird. Strohgelb perlt er im Glas, hat einen sagenhaften Körper, schäumt fruchtig und blumig auf dem Gaumen. Ein Traum.
Die Stimmung steigt
Die Stimmung steigt mit jedem Gang. Rosa greift sich bei den Ausflügen in den Schankraum Gäste zum Tanz heraus. Und beim zweiten oder dritten Gang tanzt eine Seniorin, vielleicht mit ihrem Enkel. Die Gäste sind nicht mehr einzeln da, sondern eine Gemeinschaft, die bei Vittorio und Daniela nichts weniger als einen italienischen Abend genießen, von dem man geträumt hat. Das Carpaccio vom geräucherten Schwertfisch hat eine kernige Note, die durch das Fleur de Sel verstärkt wird. Die Feige ist der Kontrapunkt dieses zweiten Gangs, zu dem der Greco serviert wird, der durch feine Noten von Anis und Bittermandel auffällt. Zur frischen hausgemachten Linguine wird Krebsfleisch gereicht. Sherry-Tomaten und Zitrone machen den Gang zum Erlebnis. Wie der Wein. Für mich der absolute Höhepunkt des Abends. Ein Falanghina del Sannio.
Aus dem Duo wird ein Terzett
Er erinnert beim ersten Schluck an einen Riesling, leicht herb und knackig und gleichzeitig fein duftend nach Zitrus und Birne. Ein Gedicht. Dieser Geschmack trägt zu den Kalbsröllchen mit Artischockencreme gefüllt, die mit den karamellisierten Schalotten fein harmonieren. Der rote Agiasnico del Taburna erdet mit seinen weichen Tanninen. Er ist zwei Jahre und sechs Monate im französischen Barrique gereift und taugt ebenso für gemütliche Stunden am Kamin. Die Panserotti Siciliani zum Dessert sind kein Abschied. Der gefüllte Mürbeteig – so was können die Italiener! – geben ein großartiges Duett mit einem samtigen Süßwein ab. Und Gesangspaar von »nite n day«, das die Gäste in den Sog italiensicher Weinseligkeit singt, wird zum Terzett. Vittorio betritt mit Kochschürze und Piratentuch auf dem Kopf die improvisierte Bühne und verwandelt sich in Adriano Celentano.
Von der Illusion leben wir
»Azzurro, il pomeriggio è troppo azzurro e lungo per me.« Meine schönen italienischen Tischnachbarinnen singen mit ihren Landsleuten textsicher mit. Und auch als deutsche Italienfans stimmen wir anderen, wenn auch mehr summend, aber dafür mit ebenso viel Herzblut mit ein. So könnte ein Abend im Urlaub enden. Im richtigen Restaurant. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Im Katané kann man das sogar im Alltag haben. Nun kommt bald der Oktober mit der Hoffnung auf ein paar goldene Tage. Und wenn es dann richtig kalt wird, werden sich die Gäste an diesen Abend erinnern. An den italienischen Abend. An den Traum von der Ferne, der Wirklichkeit werden kann. Auch wenn er Illusion ist. Aber von denen leben wir ja. Spätestens bis zur nächsten Weinprobe im Katané.