KolumneHeute: Armes Schwein

von Sina Rühland


| Foto: Wikimedia Commons, Daniel Bülow



„Perspektive statt Agrarwende“ lautete das Motto der 4000 Landwirte, die am Freitag in Hannover auf die Straßen gegangen sind. Die Kritik der Bauern: die Agrarwende gefährde Existenzen der Landwirte; Tradition und Landvolk erführen keine Wertschätzung. Die Kritik des Landwirtschaftsministers: die Tierschutzgesetze würden zu oft umgangen, der Wille der Verbraucher fände keine Beachtung.

Das Leben eines Landwirts ist sicherlich nicht einfach. Neben den Weltmarktpreisen und den unsicheren Wetterbedingungen drückt die Bauern heute noch eine andere Last: das tiefe Misstrauen der Gesellschaft. Jahrhunderte lang waren Landwirte gut angesehen. Sie galten als Ernährer. Heute wird ihr Tun an den Pranger gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, Tiere zu quälen und Grundwasser zu verseuchen. Das aktuelle Feindbild vieler niedersächsischer Landwirte ist aktuell der grüne Landwirtschaftsminister Christian Meyer. Ihm wird vorgeworfen, den Berufsstand der Bauern zu diffamieren und mit dem Tierschutzplan Existenzen zu vernichten. Das Landvolk will also Meyer loswerden und Meyer will die Massentierhaltung und gekaperte Tierschutzgesetze loswerden.

Laut Landwirtschaftsminister Meyer ist industrielle Massentierhaltung nicht mehr akzeptabel. Dass Küken vergast würden, sobald sich herausstellt, dass sie männlich sind, sei ethisch und moralisch nicht mehr vertretbar. Gekürzte Schnäbel und gekappte Ringelschwänze sind zudem eigentlich (!) gar nicht mehr erlaubt. Die Realität sieht jedoch anders aus in Niedersachsen. Nun kann man aber aus unterschiedliche Blickwinkeln auf die Landwirtschaft schauen. Ich kann nur mit meinen Augen blicken – und meine Augen schauen erst einmal voller Achtung auf die Natur und das Leben. Ich möchte also den Bilderbuch-Bauernhof, wo ein Schwein, eine Kuh, ein paar Schafe und Hühner fröhlich auf der Wiese grasen. Ich möchte nicht, dass Tiere für den Nutzen gezüchtet, gequält und gegessen werden. Zu naiv? Ja. Die Realität sieht nämlich anders aus. Zum Beispiel beginnt das Leben von Küken meist in einer Plastikbox. Wenige Stunden nach dem Schlüpfen werden sie auf ein Fließband geworfen und begutachtet. 50 Millionen männliche Küken werden so jährlich nach einen Tag Leben aussortiert, vergast und geschreddert.

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Die Autorin: RegionalHeute.de-Redakteurin Sina Rühland. Foto:



Nun kann man aber auch versuchen, aus dem Blickwinkel eines durchschnittlichen Landwirts zu blicken. Er, der vermutlich noch mit dem Bewusstsein aufgewachsen ist, dass der Beruf des Landewirtes etwa anerkennbares sei, stellt morgens fest, dass Tierschützer den neuen Stall kurz vor Beendigung der in Bauphase angezündet haben. Immer strengere Auflagen bedeuten immer weniger Marge. Zudem sinken die Lebensmittelpreise am Weltmarkt. Um wirtschaften zu können, müssten Milchbauern 35 Cent pro Liter Milch bekommen. Aktuell sind es nur etwa 27 Cent. Der Grund für diesen Tiefstand ist laut Bauernverband das Überangebot auf dem Weltmarkt. In diesem Jahr hat man die Milchquote abgeschafft. Das heißt, Bauern dürfen so viel Milch produzieren, wie sie wollen. Besonders wütend machen die Landwirte die Milchpreise bei den Discountern: im Verkauf nehmen die Läden zirka 51 Cent pro Liter vom Kunden. An der Biomilch verdienen Landwirt schon etwas mehr: pro Liter erhalten sie etwa 47 Cent, wobei der Liter im Verkauf bei etwa 99 Cent liegt. Steigende Kosten, vermehrte Bürokratie und Kontrollen – Landwirte haben es zurzeit nicht leicht.

So sieht jeder also aus seiner Perspektive auf die Agrarwirtschaft. Der Landwirt möchte mehr Freiheiten, mehr Wertschätzung und besser Bezahlung. Der Landwirtschaftsminister möchte härtere Kontrollen und eine Revolution in der Massentierhaltung. Der Verbraucher will entweder Bio-Fleisch von glücklichen Schweinen oder ein 1500-Gramm-Schnitzel im Angebot für 2,20 Euro. Und der Tierrechtler möchte eigentlich gar keine Nutztierhaltung. Doch was würde das arme Schwein wohl wollen?


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